„Lies, Baby, lies!“

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Herrlich, wenn einem exakt zum passenden Lebensabschnitt ein Buch aus dem eigenen Regal wieder in die Hände gerät. Daniel PennacWie ein Roman“ ist für mich eine der schönsten Wiederentdeckungen in diesem noch jungen Jahr. Ich hatte es wohl Ende der 90er – damals kinderlos, doch seit kurzem Patenonkel – erworben und, wie ich an einigen angestrichenen Stellen und Anmerkungen erkennen durfte, auch gelesen.

Wie so viele Bücher, ist es völlig aus meinem bewussten Erinnerungsvermögen entschwunden. Doch wie ich beim Wiedereintauchen wahrnahm wirkte es im Unbewussten rege nach. Und genau jetzt, wo ich nicht mehr kinderlos bin, sondern die allabendliche Freude genieße, meinem sechsjährigen Sohn als Vorleser zu dienen, fällt mein Blick auf dieses Buch. Ich schmökere kurz hinein, entdecke einen umfangreichen Schatz an liebevollen Aufforderungen, inspirierenden Gedanken und geistreichen Bonmots, die alle darauf zielen, wie wir bei unseren Kindern die Leselust erwecken und wie man sie hegt und pflegt, damit sie auf dem Weg zur Adoleszenz sich nicht zu Lesefrust wandelt.

Pennac ist ein wahrer Schulmeister. Als Lehrer, den seine eigene Zeit als Schüler in Frankreich frustrierte, gelang es ihm offenbar, seine Klasse von pubertierenden Lesemuffeln durch stundenlanges Vorlesen (Beginnend mit Patrick Süskind „Das Parfüm“) für die Welt der Bücher wiederzugewinnen.

Seine daraus gewonnenen Erfahrungen und viele kluge Gedanken dazu, packte er in dieses Plädoyer, dem der Zeitgeist der vergangenen 20 Jahre nichts anhaben konnte und es so bis heute zu einem sehr, sehr lesenswerten Longseller macht. Es ist einer Unzahl an lamentierenden, schulsystemkritischen Erziehungsratgebern vorzuziehen, besonders von Müttern und Vätern, die sich ihre Liebe zum Lesen bewahren konnten. Und auch allen Nichtlesern sei es als Ausnahme ans Herz gelegt. Fordern kann man es ja nicht – wie Pennac ganz zu Beginn seines Buches schreibt – denn „lesen“ duldet, wie „lieben“ oder „träumen“, einfach keinen Imperativ.

In einem Abschnitt berichtet er von einer Befragung seiner Schüler, die wohl die ganze Tragik veranschaulicht, die junge Menschen beim Gedanken an das Lesen erfasst:

„„Beschreibt mir einen Leser.“ … „Die Respektvollsten beschreiben mir Gottvater persönlich, eine Art vorsintflutlichen Eremiten, der seit unvordenklichen Zeiten auf einem Berg Bücher sitzt, deren Sinn er in sich aufgesaugt hat, bis er das Warum aller Dinge verstanden hat. Andere skizzieren mir das Porträt eines tiefgründigen Autisten. … Wieder andere malen ein Negativbild, wobei sie sich bemühen, alles aufzuzählen, was ein Leser nicht ist: nicht sportlich, nicht lebendig, nicht amüsant, einer, der sich weder für gutes Essen noch für Klamotten, noch für tolle Schlitten interessiert, weder fürs Fernsehen noch für Musik, noch für Freunde.“

Das Buch ist geschrieben voller Esprit und Leichtigkeit. Man spürt es, der Autor nimmt sein Thema sehr, sehr ernst, mit dem größten Vergnügen für uns Leser.

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