The Party’s Over. Danke, Leipzig.

FullSizeRender_21Ich gehöre der Generation von „Sven Väth“ an. Der wird dieses Jahr 50 und ist noch immer eine Größe im Party-Geschäft. Mit ihm habe ich – ein bisschen Namedropping sei mir gestattet – vor 30 Jahren in meiner Geburtsstadt Frankfurt im angesagtem Club „Omen“ die Nächte durchgefeiert und am nächsten Morgen gemeinsam vor der Uni am späten Vormittag im Cafe Bastos gefrühstückt. Und, man mag es kaum glauben, wir unterhielten uns über aktuelle Bücher, die wir gerade lasen.

Generation der Tag- und Nachtschwärmer

Schon damals liebten wir es, das eine zu tun ohne das andere zu lassen: die Nächte mit Party bis zum Rauswurf und am Tage dann über Sten Nadolnys „Die Entdeckung der Langsamkeit“ zu schwärmen. Literatur war in meinen jungen Jahren ziemlich cool. Es gehörte zum „urbanen Lifestyle“ und – neben Rauchen – war auch Lesen in der Öffentlichkeit eine charmante Einladung zum Flirten. Heute ist Rauchen eher ein Ausschlusskriterium und Bücher mit viel versprechenden Titeln (z. B. Henry Millers „Stille Tage in Clichy“) in attraktiven Händen sind weitgehend Smartphones gewichen.

Statt roter Teppich eine liebenswerte Vera.

Doch bloß keine Wehmut, selbst wenn das auch für die derzeit populärste Literaturparty in Deutschland gilt: der Leipziger Buchmesse. Hier war auch jede Menge gute Stimmung, die eifrig per Smartphone verbreitet wurde. Und da ich das Glück hatte als Bloggerpate schon zur Eröffnungsfeier eingeladen zu sein, hatte sie für mich auch ein wenig Glamour. Zwar wurde kein roter Teppich ausgerollt, und das Blitzlichtgewitter blieb aus, doch dafür gab es Vera, die uns sehr herzlich in Empfang nahm und uns auch die Tage auf der Messe begleitete.

 

Keine Ausrutscher auf dem edlen Parkett.

Zudem war meine Neugier auf die ersten Partygäste sehr groß, so dass ich die feierlich gediegene Veranstaltung mit Wagner, Berlioz und Beethoven zu schätzen wusste. Denn nach kurzer Aufwärmphase mit ungeübtem Smalltalk bildeten wir geladenen Blogger dann doch bald ein illustres Grüppchen, das sich in das geistig elitäre Partyvolk zu integrieren verstand. Auch wir plauderten bald mit ausladenden Gesten und geistreich nickend miteinander auf diesem Jahrmarkt der kleinen und großen Eitelkeiten. Der Abend endet leider auch dort, wo er begonnen hatte: im Gewandhaus. Gerne wäre ich noch durch die Leipziger Nachtszene gezogen, doch fand ich keine Weggefährten.

Cover-Stars, Bloggerfreuden & Leselust.

Die Party ging ja dann am nächsten Morgen richtig los. Ich verließ sie leider sehr früh, nämlich schon am selben Abend. Doch einige Begegnungen bis dahin haben mich sehr gefreut, unter anderem das reale und herzliche Kennenlernen eines Cover-Stars auf der Messe: Mel Raabe. Sie lächelte mir an jeder Ecke und auf jedem Stuhl vom Cover des Buchjournals zu, was ich ihr per Tweet auch mitteilte. Ein kluges Kalkül des Magazins.

Auch ein kurzer Plausch mit Joachim Unseld freute mich, den ich noch privat aus meiner oben beschriebenen Frankfurter Jugendzeit kenne. Ihm verdanke ich meine Marcel Proust Erweckung, den er mir damals in einem langen Kneipengespräch ans Herz legte. Hier auf der Messe erzählte er mir, dass er der Bloggerszene sehr dankbar sei. Denn Wahrnehmung und Erfolg seines in der Frankfurter Verlagsanstalt verlegten Buches von Nino Haratischwili „Das achte Leben“ resultiere auch im erheblichen Maße aus begeisterten Bloggerbeiträgen.

Dies finde ich ebenso bemerkenswert, wie einige andere Engagements der Verlage. Schon vor und auf der Messe freute ich mich über den Austausch mit Diogenes. Als langjähriger Werber (wie Martin Suter, auf dessen neues Buch ich sehr gespannt bin) begeistert mich die erfolgreiche Kampagne des Verlages, die auch meine persönliche Haltung zu Literatur und zum Lesen widerspiegelt: sich nicht so ernst nehmend und nicht so bildungsbürgerlich schwergewichtig die Literatur preisen, sondern zeigen, dass man Leselust besser mit Lebenslust und Esprit erweckt.

Amazon war kein Thema. Oder doch?

Eine weitere Begegnung verdanke ich Jacqueline Böttger. Ich traf den Verleger Chris Deutschländer vom Seitenstrassenverlag, der vor kurzem viel Furore mit seinem Beitrag „amazon sei gar nicht so schlimm“ machte. Der belebte einmal mehr die Debatte um die leidige Diabolisierung von amazon, die meines Erachtens zunehmend eine Sündenbock-Argumentation ist, mit der sich Betroffene kritischer Selbstbetrachtung verschließen.

Selbst unter Bloggern herrscht die Ansicht vor, amazon zu verteufeln und dort keine Rezensionen zu veröffentlichen. Dem mag ich aus meiner Warte nicht folgen. Amazon ist noch mal ein eigener Leserkosmos, der sich kaum in der Bloggosphäre bewegt. Auch diese Leser möchte ich zum Lesen verführen.

Und ebenso meiden viele Verlage und Autoren die Sonntagsrezensenten auf amazon. Es gibt zahlreiche (positive) Rezensionen, die nicht mal ein „hilfreich“ haben. Gefälligkeitsrezensionen oder gar gefakte entdecke ich im Bereich der Bücher kaum. Eher ab und an Verrisse, die wohl aufgrund persönlicher Ressentiments verfasst werden. Neben Socialmedia im Allgemeinen wäre konkret auch hier mehr Aktivität seitens der AutorInnen und Verlage meines Erachtens angebracht.

Mission Leipzig mehr als erfüllt.

Das Engagement der Buchmesse Leipzig für die Bloggerszene hatte mich dorthin gelockt. Ich hatte mich als Bloggerpate empfohlen und verband dann damit eine Mission wie ich schon im Vorfeld schrieb. Diese Mission wurde mehr als erfüllt. Die Aufmerksamkeit für Blogger war weitaus größer als ich erwartet hatte. Dass es dann doch, wie bei Partys oft nicht zu vermeiden, einen Wermutstropfen gab, beschränkt sich auf die Patenschaften: sie wurden seitens der betroffenen Verlage und Autoren kaum „gewürdigt“. Je nach persönlicher Ambition und Selbstverständnis kann man als Pate darüber mehr oder weniger enttäuscht sein, wie es dann auch von anderen publiziert wurde. Mein Frust hält sich in Grenzen.

Nachtrag: In diesem Hörfunkbeitrag werde ich sogar aufgezählt. Ist leider ein etwas maliziöser Tenor, aber beruht auf dem ewigen Missverständnis der Medienprofis, Blogger seien verhinderte Feuilletonisten. Irgendwann fangen sicher auch Sterne-Köche an sich zu beklagen, warum alle zum Italiener gehen und überhaupt jeder, der Wasser kochen kann, gleich zum Essen einladen muss.

Dabei sein ist fast alles.

Wer heute schon sehr früh eine Party verlässt, kann dennoch eine Menge erleben. Dank Facebook, Twitter und Blogs verfolgte ich die weiteren Tage noch intensiv und auch ein bisschen wehmütig mit. Viele Blogger habe ich nicht mehr persönlich kennengelernt und bei der einen oder anderen Veranstaltung wäre ich gerne noch live dabei gewesen. So manche Party hätte mir vielleicht bestätigt, was ich in der Literaturszene ein wenig vermisse: weniger steife, intellektuelle Eitelkeit, mehr lässiger Glamour (Ja, ich werde Jan Brandt lesen, wenn ich ein Rezensionsexemplar bekomme) oder amüsante Exzentrik (Ja, Sybille Berg mag ich, lese aber ihre Bücher – vorsichtshalber – nicht.) und ausgelassenere Stimmung.

Zu schlechter Letzt: Miesepeter und Spaßbremsen.

Wie geschrieben, ich zähle mich zu der Generation, die kein entweder/oder kennt. Alles hat seine Zeit: gerne anregend über Literatur am heimischen Esstisch plaudern und spätestens im kommenden Jahr mal wieder Leipzig abfeiern. Dafür wünsch ich mir dann immer noch keinen roten Teppich, aber ´ne Partymeile in der Stadt wäre schon lässig. Ob wir dann Lyrik oder Prosa feiern, soll mir egal sein. Und die Stimmung durch Miesepeter wie Georg Diez oder sonstige bornierte journalistische Partylöwen lass ich mir da auch nicht trüben.

Danke, Leipzig. Ihr habt es gut gerockt.

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16 Gedanken zu “The Party’s Over. Danke, Leipzig.

  1. Sehr schöner Artikel, der auch den Daheimgebliebenen – ach stimmt ja gar nicht, ich mußte in Gießen (!) arbeiten – viel Flair von einem schönen Ereignis vermittelt.

  2. Tach, wieder mal einer dieser »typischen Braschs«. Die Lektüre hat mir wie immer Spaß gemacht.
    Bei der nächsten Messe bleibst Du dann bitte etwas länger, ja? Wir alle hätten noch so viel miteinander zu bereden. Nicht nur via Blog, FB und Co., sondern Face to Face. lg_jochen

  3. Wunderbarer Artikel. Allerdings ist amazons einiziger Sinn, die Buchpreisbindung zu kippen und dann ist Feierabend mit den kleinen Buchhandlungen um die Ecke und das muss unter allen Umständen verhindert werden. Also, amazon bitte ignorieren…

  4. Ich hatte ein Dauerschmunzeln im Gesicht, als ich Deinen wunderbaren Beitrag gelesen habe. Dein Humor ist herrlich. Mit Blick auf das Gewandhaus-Orchester: eher eine Triangel als eine Kesselpauke. Auch ich habe die Zeit in Leipzig mit all den Bloggerpaten, Verlagen und Büchern sehr genossen. Dass letztlich dann doch die Kritik mehr gehört wurde (siehe Perlentaucher), hat mich traurig gemacht. Viele Grüße aus dem Nah-Leipziger-Bereich

    • Ja, das bedauere ich auch. Hat bei mir auch etwas länger gedauert bis ich Dich „zuordnen“ konnte. Freue mich auf die nächste Gelegenheit, die wir dann besser nutzen werden.

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