Eine herrlich fantastische Welt voller Nerds

PenumbraEs gibt Bücher, bei denen bleibt es einem persönlich immer unerklärlich, warum sie völlig unterschiedliche Resonanz finden. Man findet sowohl Lobeshymnen und empörte Verrisse, schlägt sich selbst auf eine Seite und vermag – trotz genannter Argumente – gedanklich nicht nachvollziehen, was denn die Gegenseite zu solch diametralen Urteil bewegte. Und es gibt Bücher, da ist der Grund ganz offensichtlich, auch wenn sich dies mancher Rezensent selbst nicht eingestehen mag. Zu den letzteren zähle ich Robin Sloans Roman „Die sonderbare Buchhandlung des Mr. Penumbra.

Ich erachte diesen Roman nicht literarisch, jedoch mit dem Versuch eine Einsicht zu vermitteln, für schlichtweg genial. Kein mir bekannter Roman versteht es bislang auf so unterhaltsame, amüsante und kluge Weise, die Parallelität zweier Medienrevolutionen gegenüber zu stellen und den aktuellen, unsinnigen Glaubenskrieg ihrer Evangelisten zu entlarven.

Auf der einen Seite der elitäre Zirkel der Bibliophilen, die sich hinter ihren Bücher-Barrikaden verschanzen und einzig ihr hart erworbenes, dechiffriertes Wissen, das in den vergangenen Jahrhunderten zwischen zwei Buchdeckel gepresst wurde, als legitim und wertvoll zu erachten.

Ihnen gegenüber die selbstgefälligen jugendlichen Revoluzzer, denen nichts Elitäres heilig ist, die eine sozialistische Allwissenheit auf Touchscreen propagieren und das bislang noch Unerklärliche in der Welt einzige nur als zu decodierende Knobelaufgabe verstehen.

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Aldus Manutius, venezianischer Buchdrucker und Verleger um 1500.

Beide Seiten sind sich mit ihrer Allmachtphantasie und Alles-ist-Möglich-Philosophie verdammt ähnlich. Und beide Seiten sind im Roman mit einem Blick aus kritischer Leserdistanz einfach nur krude Nerds – viele davon sind liebenswert und verschroben, doch einige so fanatisch (auch gegenüber ihren Feindbildern), dass es beängstigen sollte. Doch vom Glauben an die Macht der Bücher beseelt und zur Bibliophilie bekennend gibt es offenbar auch viel schwer enttäuschte Leser. Man lese hierzu nur die aktuellen Rezensionen auf amazon.

Robin Sloan, der hier trotz seines beruflichen Silicon Valley Hintergrunds, sehr liebevoll beide Seiten gleichberechtigt karikiert, wird von Seiten der buchliebenden Leser Googlianismus vorgeworfen. Denn während der im Roman benannte Geheimbund des ungebrochenen Buchrückens mit seiner Parole „Festina lente“ (Eile mit Weile) frei erfunden ist, lässt der Autor das reale Google als zeitgemäßen Gegenspieler auftreten. Und der Konzern und seine Repräsentanten werden für viele offenbar nicht ausreichend dämonisiert. So beschreibt sie der Autor ebenso leidenschaftlich begeistert von der aktuellen Technologie wie es wohl vor gut 500 Jahren auch die historisch realen Begründer des Geheimbundes waren, der Typograf Francesco Griffo und der Drucker und Verleger Aldus Manutius. Solch eine vergleichende Gegenüberstellung erachten einige Mitglieder der Gemeinde der Buchliebhaber als ketzerisch.

Angesichts des schönen, bibliophilen Schutzumschlags verlockt, waren nicht wenige furchtbar geschockt, dass in dem Roman auch seitenlang auf die heutigen digitalen Errungenschaften und ihre faszinierenden Möglichkeiten eingegangen wird. Ja, diese verführen sogar Mitglieder des Geheimbundes (u. a. den Buchhändler Penumbra) sich ihrer zu bedienen, um einem ewigen Rätsel – der Dechiffrierung eines Buches des Gründers – auf die Spur zu kommen. Bei Erfolg verspricht das den lebenden Mitgliedern ewiges Leben und den schon verstorbenen die Auferstehung. Doch ähnliche Wunschphantasien treiben auch die Googlianer im Roman um.

Die ganze Geschichte wird launig aus der Perspektive des sympathischen Ich-Erzählers Clay Jannon erzählt, einer von vielen wohl unzähligen in San Francisco lebenden Webdesignern. Er ist der einzige, dem nichts Nerdiges anhaftet und von dem sich der Leser herrlich wundernd durch diesen Kosmos an skurrilen Typen geleiten lassen könnte – wäre da nicht des bibliophilen Lesers eigene Skurrilität. Die lässt ihn an keiner Buchhandlung vorbeiziehen ohne sich dankbar davor zu bekreuzigen. Und die Frage, ob er sich nicht doch mal einen eReader zulegen möchte, angesichts der hunderten an Devotionalien in seinem heimischen Regal, verstünde er als Aufforderung zur Blasphemie.

Wohl deshalb hat sich Robin Sloan noch mal einen eigenen Spaß gemacht. Er hat noch eine kurze Vorgeschichte über seine Romanfigur Mr. Penumbra geschrieben und veröffentlich – doch die kann man nur als € 0,99 eBook erwerben ;-).

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„Metal movable type“ von Willi Heidelbach.

Es ist auch ein kleines Vergnügen die von Robin Sloan gewählten Chiffren zu decodieren. Eine eigene englischsprachige Page gibt hier schon einige Hinweise. So spielt im Roman die Schrifttype Gerrit Gerritszoon eine bedeutende Rolle. Der Name der Type ist auch der holländische Geburtsname Erasmus von Rotterdam, der wiederum tatsächlich ein Freund des Verlegers Manutius war. Oder auch der Name „Penumbra“ (Halbschatten). Er steht sowohl für ein Fantasy-Computerspiel als auch medizinisch für den Teil des Gewebes, das bei einem Hirninfarkt nur teilgeschädigt ist. Nicht zuletzt lohnt es die Biografien und kulturhistorische Bedeutung von Aldus Manutius und dem Typografen Griffo zu recherchieren. Denn das sowohl deren Ambitionen damals als auch deren Start-Up „Buchdruck“ Parallelen zu Google und seinen Gründern heute aufweist, ist offensichtlich. Nur damals war „global“ eben noch auf einen kleinen Kulturkreis an „Usern“ in Mitteleuropa beschränkt, von denen nur wenige das gedruckte Wissen dechiffrieren, sprich lesen und verstehen konnten.

Robin Sloan liefert mit seinem Roman eine grandiose Satire, die nicht nur humor- und liebevoll die oben beschriebenen verfeindeten Jünger zweier Glaubensbekenntnisse persifliert, sondern es ist ihm zugleich gelungen einen wirklich spannenden Fantasy-Thriller ohne magische Effekthascherei zu schreiben, der sehr plausibel den aktuellen Clash der Medienkulturen beschreibt. Für mich war es ein großer, sehr empfehlenswerter Spaß.

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12 Gedanken zu “Eine herrlich fantastische Welt voller Nerds

  1. Richtig, richtig gutes Buch. Der Klappentext wird dem Ganzen irgendwie nicht so ganz gerecht – davon sollte man sich nicht beirren lassen, genauso wenig von den negativen Stimmen.

  2. Das Buch stand eigentlich auf meiner Wunschliste und dann habe ich so viele negative Stimmen dazu gelesen, dass ich es doch wieder gestrichen hatte. Ein schwerer Fehler, so scheint es mir. Danke für’s Neugierigmachen!

  3. Steht auch hier seit geraumer Zeit im Regal. Die liebste Ehefrau der Welt hat es gelesen und für gut befunden. Ich selbst habe es bislang ignoriert; war wohl ein Fehler. Der wird baldmöglichst ausgebügelt. lg_jochen (Fazit: Man sollte auf seine Ehefrauen hören!)

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