Martin Suters Montecristo – kann man lesen, muss man aber nicht.

MontecristoZugegeben, ich bin verwöhnt. Martin Suter lese ich schon seit seinem Erstling „Small World“ und dem von ihm bis heute unübertroffenen Roman „Die dunkle Seite des Mondes“. Also wer noch immer nichts von ihm gelesen hat, dem seien diese Romane empfohlen. Auch danach habe ich einiges von ihm gelesen und bin immer gut unterhalten worden. Mir persönlich gefielen noch „Lila, Lila“ und „Der letzte Weynfeldt“ ziemlich gut. Danach war bei mir erst mal Pause. Doch jetzt – nach den überwiegend euphorischen Kritiken – war ich wieder ganz begierig auf seinen neuen.

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Bertolt Brecht, Zigarrenraucher und Kenner der Finanzwirtschaft.

Das Thema „dubiose Machenschaften in der Finanzwirtschaft“ ist zwar nicht sehr originell, aber zeitgemäß. Über nichts findet man derzeit wohl so sicheren Common Sense wie über das Bashing der Repräsentanten der Finanzwelt. Der alte Bertolt Brecht würde heute sicher schmunzelnd an seiner Zigarre schmauchen (war aber keine Montecristo) und krächzen: „Hab ich euch ja schon immer gesagt: „Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?““ Auf diesem agitatorischen Bonmot-Level bewegt sich auch Martin Suters Roman. Herausgekommen ist ein Werk, das man – im Gegensatz zur Finanzwirtschaft – durchaus als solide bezeichnen kann. Doch mehr bitte nicht.

Was ich an Begeisterung in den Feuilletons las, allen voran in der SZ, aber auch im Spiegel, lässt mich doch an dem Urteilsvermögen in den Redaktionen zweifeln. In diesem Fall wäre es sicher mal angebracht gewesen, sich mit den Kollegen in der Wirtschaftsredaktion auszutauschen. Ja, originell wären mal zwei parallele Ansichten zu der Geschichte. Einerseits die literaturkritische des Feuilletonisten und dann die inhaltliche Einschätzung eines Wirtschaftsredakteurs. Denn mit der Konzentration auf das Literarische hätte dann vielleicht so mancher Feuilletonist gemerkt, dass er hier bestenfalls gutes schriftstellerisches Handwerk zu lesen bekommt.

Allein die Entwicklung der Story ist schon sehr hanebüchen. Alles beginnt in einem Pendlerzug, indem sich die Hauptfigur Jonas Brand (der archetypische Held wider Willen) befindet, ein freier Videojournalist, der nach einer Notbremsung aufgrund eines aus dem Zug gefallen/gestoßenen Gastes mit der Videokamera zufällig und selbst noch nichts ahnend die Handlanger einer riesigen Finanzwirtschaftsverschwörung filmt. Doch bevor er die Brisanz seines Materials erkennt, muss ein zweiter riesiger Zufall her: er entdeckt, dass er zwei Hundertfrankenscheine mit der selben Seriennummer hat. (Die geringe Wahrscheinlichkeit dieser Entdeckung ist ein wesentlicher Aspekt im Roman. Sie liegt wohl niedriger als ein Sechser im Lotto)

Zwei große Zufälle, um eine Story ins Laufen zu bringen sind mir schon einer zu viel. Doch hier genügt selbst dies noch nicht. Denn Jonas Brand marschiert sofort zu seiner Hausbank, um sich die Echtheit beider Scheine bestätigen zu lassen (was man dort auch tut, ohne ihm die Scheine dann umzutauschen, sondern ihm einzig zu diesem formidablen Sammlerstück gratuliert) und ebendiese Bank ist denn auch der Hort und Ausgangspunkt eines finanzpolitischen Skandals, der – wie man am Ende erfährt – apokalyptisch Ausmaße weltweit annehmen würde, wenn er an die Öffentlichkeit käme.

Der Verlauf dieser Verschwörungsgeschichte wird dann mit allen vorhersehbaren Stereotypen besetzt. Zunächst mal der namenlose Killer und eine ausschließlich männliche Mischpoke in den Führungsriegen der Finanzwirtschaft, Politik und den Medien die allesamt für ihren Machterhalt buchstäblich über Leichen gehen. Dann der einzige integre Durchblicker und Helfer Jonas Brands. Er ist natürlich eine von aller Lebenslust befreite, saufende, sich gänzlich gehen lassende gescheiterte Existenz, die man denn auch der Dramaturgie zu liebe mittels Mord opfern kann. Und dann noch die obligatorisch attraktive, intelligente, sympathische Frau, für die sich all der heldenhafte Harakiri von Jonas Brand lohnen soll.

Wie der Aufbau der Story, so auch die Gestaltung der Charakter. Es gibt nicht wirklich ambivalente Figuren. Die Fiesen sind durchweg fies, die Opportunisten gänzlich ohne Rückgrat und die Diener des Staates – gleich, ob Polizisten oder Politiker – allesamt korrupt.

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Das Ende der Geschichte hat dann auch noch eine Moral, die uns die Frage stellt, wozu das Ganze eigentlich. Denn dass es solche Machenschaften im Kleinen gibt – das ganz große Rad, dass hier gedreht wird ist denn doch etwas zu dramatisch überspitzt – überrascht uns ja nicht, sondern lesen wir ja regelmäßig in der Zeitung.

In der Realität findet sich ja doch auch immer Whistleblower. Doch beschämend ist es dann zu verfolgen, wie diese moralisch angetriebenen und handelnden Menschen, denen wir eigentlich größten Respekt zollen sollten, ihr zukünftiges Leben abschreiben können. Denn sie erhalten langfristig kaum Solidarität und nicht selten müssen sie für den Rest ihres Lebens das Kainsmal des Denunzianten tragen. Diese Geschichte erzählt uns Martin Suter aber nicht. Wir sollten sie uns jedoch klar machen, bevor wir uns über sein gewähltes Ende der Geschichte mokieren, wie es einige Kritiker tun – und anfänglich auch ich tat.

Vielleicht ist dieses Ende für mich sogar das Versöhnliche mit diesem Roman, der zweifellos gut zu lesen und unterhaltsam wie ein sonntäglicher Tatort ist. Denn der Schluss, den Martin Suter gewählt hat, behagt mir überhaupt nicht. Das ist vielleicht aber das Perfide, was mir sonst in der Story rundweg gefehlt hat. Denn ist es nicht dieses Unbehagen, das uns Literatur verschaffen muss, um uns auf unsere Haltung in der Wirklichkeit zu stoßen? Der Ausgang von Montecristo ist das Authentischste der Geschichte, das wir akzeptieren müssten, wenn wir uns unseren eigenen Kleinmut eingestehen.

Vielleicht tue ich also Martin Suter letztlich doch unrecht, wenn ich den Roman etwas undankbar und unbefriedigt zuklappe.

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14 Gedanken zu “Martin Suters Montecristo – kann man lesen, muss man aber nicht.

  1. Lange war mein letzter Suter her und die Kritiken haben mich dann doch bewogen zu diesem Buch zu greifen. Je nun, bisher und eben besonders bei „Die dunkle Seite des Mondes“ konnte Suter mich durch einen gelungenen Plot überzeugen.
    Dieses Mal jedoch so überhaupt nicht.
    Du sprichst mir aus der Seele!
    Vielen Dank für diese Rezension.

    • Ja, die Mehrzahl der guten Kritiken in den Feuilletons haben auch mich bewegt, es zu lesen. Mir ist das nur dadurch erklärlich, dass man offenbar in den Redaktionen gerne blindlings jegliche literarisch verpackte Finanz- und Kapitalismuskritik bejubelt und man sich trotzig verweigert, die Komplexität der Ökonomie und ihre ambivalenten Folgen zu verstehen und auch mal selbstkritisch zu hinterfragen.

  2. Irgendwie konnte ich noch nie etwas mit Martin Suter anfangen, woran es liegt, weiß ich nicht, seine Bücher sprechen mich einfach nicht an und das wird sich mit diesem Buch wohl auch nicht ändern …

  3. ich hab das gefühl, suter lässt irgendwie nach… vielleicht weiß er zu gut, dass alles aus seiner feder erstmal richtung bestseller schießt.

    • Die Empfindung hat man ja häufiger bei Künstlern, die man früh entdeckte. Da muss man sich sicher auch selbstkritisch eingestehen, dass man nun mal mit den nachfolgenden Arbeiten nicht mehr ganz so überrascht werden kann. Ein Autor erfindet sich ja selten mit jedem Buch neu und irgendwann ist wohl jeder etwas gesättigt von einem Autor und seinem „typischen“ Stil. Ähnliches gilt ja auch für Musiker oder bildende Künstler.

      Dennoch lässt sich in diesem Fall auch nicht ganz von der Hand weisen, dass man als erfolgsverwöhnter Autor wohl immer weniger kritische Stimmen um sich hat und wenn doch, dann immer seltener noch auf sie hört. Zudem honoriert ja ein großer Teil der etablierten Literaturkritik, dass er wieder was Beeindruckendes vorgelegt hätte. Da mag er unserer Ansicht dazu sicher weniger Gewicht beimessen.

    • sicher hat jeder schreiber/musiker/künstler sein sujet, sein thema und seine muster… aber irgendwie merkt man doch, wenn jemand sich trotzdem immer weiter zu entwickeln versucht und nicht nur mit dem weitermacht, was mehrmals erfolgreich funktioniert hat. das vermisse ich bei suter so ein bisschen (was nicht heißt, dass er schlechte bücher macht, oh nein. nur werden die zufälle und überraschungen etwas weniger überraschend, da könnten die genannten kritischen stimmen vermutlich dafür sorgen, dass es weniger auf dem EffEff daherkommt.)

  4. Du sprichst mir aus der Seele mit Deiner Montechristo-Besprechung. Spannend, ja, ganz gut unterhalten fühlte ich mich auch – aber sonst? Es ist ähnlich wie mit Begleys „Mörder“: Die Kernfrage des Romans ist gut, die Handlung, die Charaktere recht plakativ. Das erschreckende Ende immerhin bleibt in Erinnerung.
    Viele Grüße, Claudia

    • Ja, ich hab mich auch an die Enttäuschung über Begley erinnert gefühlt. Doch Martin Suter legt mir hier denn doch ein stringenteren und solideren Thriller vor. Dass jedoch die etablierte Kritik den Roman so begeistert und weit mehr als nur wohlwollend aufnahm, hat mich wirklich irritiert. Bei Begley haben sie ja fast alle ebenso geheult wie ich, wenn auch nicht so wütend wie ich.

  5. Zwei große Zufälle, um eine Geschichte ins Laufen zu bringen, sind mir dann schon einer zuviel – das werde ich morgen an die Tafel meiner Romanwerkstatt schreiben … Schöne Grüße!

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