„Science-Fiction ist eine Literatur, die der ganzen Menschheit gehört. In ihr geht es um Ereignisse, die die ganze Menschheit angehen, und deshalb sollte sie das Literaturgenre sein, das für Leser aller Länder am ehesten verständlich und zugänglich ist.“
schreibt der chinesische Autor Cixin Liu im Nachwort zu seinem Roman „Die drei Sonnen.“ Zu dieser Ansicht gelangte er wohl aufgrund des für ihn ebenso wie für mich überraschenden internationalen Erfolges seines Romans. Nicht nur wurde er mit dem „Hugo Award“ und dem „Galaxy Award“ ausgezeichnet, sondern auch von prominenter Seite als sehr lesenswertes Buch empfohlen. Sowohl Marc Zuckerberg pries diesen in China 2006 erstmals als Fortsetzungsroman veröffentlichten Bestseller an, sondern auch Barack Obama nannte ihn unter den zehn Büchern, die er während seiner Amtszeit gelesen und ihn beeindruckt hätten.
Das war für mich dann doch ein willkommener Anlass, mich mal wieder diesem Genre zu widmen. Zuletzt las ich vor ca. einem Jahr die ähnlich von der SF-Fangemeinde gehypeten Romane von Daniel Suarez „Daemon“ und „Darknet“. Doch weder konnten mich damals diese beiden noch diesmal der Roman von Cixin Liu überzeugen, außergewöhnlich lesenswert zu sein. Vielleicht vermögen andere Leser dieser Bücher verständlich machen, welche Ebene mir verborgen geblieben ist. Ich jedoch habe zwar zeitweilig unterhaltende, jedoch konventionelle Skripte gelesen, gestaltet nach den ewig gleichem Grundmuster, wie sie auch für Computerspiele bzw. Fictionfilme erstellt werden, wobei zweifellos Lius Roman hervorragend komponiert ist, also guter literarischer Pop.
Solche Erzählungen basieren auf archetypischen Weltbildern über einer stets zwischen Gut und Böse zerrissenen Gesellschaft, die sich gerade in einer dramatischen Phase des Umbruchs oder einer Krise befindet. Die Herausforderung, der sich dann ein Held wider Willen und seine kleine, sich um ihn gruppierende Truppe von Gerechten stellen muss, ist selten geringer als gleich die Rettung der gesamten Spezies oder des Planeten. Auch Cixin Liu bedient sich dieser Stilmittel und Dramaturgie. Angereichert wird sein Epos, das sich noch über weitere zwei Romane erstrecken soll, durch den Einstieg über einen realen historischen Kontext: der chinesischen Kulturrevolution (1966 bis 1976).
Opfer in dieser kulturpolitisch apostrophierten Revolution waren überwiegend Intellektuelle und Akademiker aller Fachbereiche. So z. B. auch der Vater der Antagonistin in „Die drei Sonnen“, Ye Wenjie, die mitansehen muss, wie er, der Professor für Physik, martialisch und mitleidlos von vier jungen Rotgardistinnen bei einer öffentlichen Kampfsitzung auf dem Campus der Uni zu Tode geschlagen wird. Auch sie ist ausgebildete Astrophysikerin, wird jedoch aufgrund konterrevolutionärer Verdächtigungen in ein Arbeitslager entsendet. Dort bietet sich ihr nach einiger Zeit die Chance, an einem geheimen Regierungsprojekt mitzuwirken, vorausgesetzt sie verzichtet gänzlich und zeitlich unbegrenzt auf jeglichen Außenkontakt. Traumatisiert durch die erschütternden Ereignisse und bar jeder Hoffnung auf eine bessere Gesellschaft, willigt sie fast dankbar ein.
Neben ihrer einsamen, weltfernen Tätigkeit auf einer geheimen Radioteleskop-Station, deren eigentlicher Zweck das Abhören des Weltraumes ist, wird ihr fatalistisches Gesellschaftsbild zudem durch die heimliche Lektüre des Buches „Der stumme Frühling“ der amerikanischen Umweltschutzveteranin Rachel Carson bestärkt. Die weltanschauliche Bedeutung dieses Buches wird im Roman nicht konkret erläutert, doch schwingt sie bedeutungsvoll durch die ganze Lektüre mit. Es ist vielleicht das einzige, was man als Denkanstoß über das Lesen hinaus mitnehmen kann.
Die reale Wirkungsgeschichte des 1962 in den USA erschienenen Buches „Der stumme Frühling“, das man heute allgemein als Zündfunke der weltweiten ökologischen Bewegung erachtet, führte konkret dazu, dass das Insektizid DDT weitgehend verboten wurde. Die bis heute ambivalente Beurteilung des Verbotes veranschaulicht ein ethisch-moralisches Dilemma der Menschheit, das Cixin Liu im Roman als weltanschauliches Kernproblem seiner Protagonisten benutzt. Dieses Dilemma ist in diesem Beispiel DDT verbunden mit dem immer wieder erhobenen Vorwurf, dass das Verbot zwar einige Tiere vor dem Aussterben bewahrt hätte, jedoch deshalb bis heute noch immer Millionen Menschen an Malaria sterben. Wie weit dies im konkreten Fall gültig ist, spielt an dieser Stelle keine Rolle. Denn grundsätzlich steht die Menschheit immer vor dem Dilemma, in die Natur belastend und schädigend einzugreifen, wenn sie selbst überleben will.
Dieser anthropozentrischen Weltanschauung, dass bei allem Für und Wider zum Naturschutz zuerst der Mensch zu schützen sei, mag die Heldin des Romans und ihre späteren Sektenanhänger nicht folgen. Sie erachten die Spezies Mensch als unbelehrbare Barbaren und ersehnen eine Apokalypse. Die Gewissheit, dass diese kommen wird, zeichnet sich für Ye Wenjie ab, als sie tatsächlich einen Kontakt zu Außerirdischen herstellen kann und die Gelegenheit nutzt, diese zur Intervention aufzufordern:
„Kommt her! Ich helfe Euch dabei, unsere Welt zu erobern. Unsere Zivilisation ist nicht mehr in der Lage, ihre Probleme selbst zu lösen. Sie braucht euer Eingreifen und eure Stärke.“
Wie es sich aber für eine archetypische Geschichte gehört, werden alsbald mögliche Retter auf den Plan gerufen. Trotz der technisch völlig unterentwickelten Spezies Mensch verfügen diese Auserwählten über genügend Geist und List, um zunächst die drohende Vernichtung durch Aliens aufzudecken und dann auch erste Erfolg versprechende Gegenmaßnahmen zu ergreifen, die uns hoffen lassen, dass das Unvermeidliche doch noch abgewendet werden kann. Ob das tatsächlich gelingt, erfährt man aber letztlich erst in ca. 400 Erdenjahren bzw. in den nachfolgenden Bänden, denen ich mich aber nicht mehr widmen werde. Vielleicht kann mir davon dann jemand berichten.
Die Figuren werden von Cixin Liu zwar plastisch, aber nicht sonderlich tief gezeichnet. Jede erfüllt ihre zugedachte Rolle und keine hadert im Verlauf der Geschichte mit den gewonnenen Erfahrungen und Einsichten. Besonders bedauerlich ist das in Bezug auf das oben beschriebene anthropozentrische Dilemma. Gerne hätte man hier nicht nur naturwissenschaftliche Phänomene erörtert bekommen, sondern auch philosophische Fragen der Ethik. Die müsste sich der Leser selbst stellen und beantworten, denn sie werden den gesellschaftspolitischen Kurs der Menschheit im Umgang mit der Erde in Zukunft weiter bestimmen. Die wachsenden Konflikte sind absehbar. Da braucht es auch keine Einmischung von Aliens, die uns sicher, wie im Roman angekündigt, als zu vernichtendes Ungeziefer erachten. Dass die Menschheit daraus sogar Hoffnung schöpfen kann, erfährt man am Ende des Buches.
Viel erfährt man auch über physikalische Phänomene und ihre Entdecker sowie über den Stand der wissenschaftlichen Grundlagenforschung und der daraus abgeleiteten Theorien – unter anderem auch, dass Einstein in weiter Zukunft wohl mal als Scharlatan gebrandmarkt werden könnte – als auch etwas über mathematisch noch ungelöste bzw. nicht lösbare Erscheinungen in der Natur wie z.B. das Dreikörperproblem, das dem Titel und der damit verbundenen Geschichte „Die drei Sonnen“ zugrunde liegt. Diesbezüglich ist es recht lehrreich, jedoch auch an einigen Stellen ausschweifend dozierend.
Für mich war der Roman letztlich doch ein etwas enttäuschender Ausflug in ein Genre, das mich bislang selten überzeugen konnte. Will ich mich demnächst einfach wieder nur gut unterhalten, wähle ich eher wieder einen Thriller oder historischen Kriminalroman.
Ich kann Deine bereichernde Kritik, was die Gestaltung der Figuren und das Übermaß an Wissenschaftlichkeit anbelangt, durchaus nachvollziehen, selbst wenn ich zu jenen Lesern zähle, die das Buch sehr gern gelesen haben. Ich fand die Vielschichtigkeit des Romans sehr interessant. Gleich mehrere Themen hat Cixin Liu verarbeitet, sowohl die Erde als auch die Beziehung zwischen Menschheit/Erde – Kosmos betreffend, und ich denke auch, dass eine Begegnung mit außerirdischem Leben die Menschheit vor der größten Herausforderung ihrer Geschichte stellen wird. Viele Grüße
An der Kritik ist etwas dran. Hard-SF legt stets viel Wert darauf, die Science-Seite ausreichend belastbar darzustellen. Das wird schnell einmal dröge. Cixin Liu löst das meiner Meinang nach aber ganz geschickt durch die im Buch dargestellte Computerspielwelt »Three Body«.
Lobenswert finde ich auch, dass wir eine Übersetzung aus dem Chinesischen bekamen. Ist bei erfolgreichen SF-Romanen nicht die Regel, wenn das Original nicht in Englisch erschien.
Für mich war auch interessant zu sehen, was im chinesischen Buchmarkt offensichtlich derzeit alles möglich ist und ich freue mich schon auf weitere SF-Romane aus China.