„Die meisten Europäer, so meine These, sind nicht mehr in der Lage, für ihre Kultur substanziellere Argumente hervorzubringen als die Effizienz der Volkswirtschaften und den politischen und sozialen Frieden, … .Wenn jedoch die Fähigkeit verloren geht, die eigene Lebensform und ihre Werte argumentativ zu verteidigen, ist der Weg frei für rückwärtsgewandte Rechtsparteien,…“
schreibt Carlo Strenger in seinem 2015 erstmals auf Deutsch erschienen Essay „Zivilisierte Verachtung“ – Ein Anleitung zur Verteidigung unserer Freiheit. Der geborene Schweizer ist Philosoph, lebt und lehrt heute in Tel Aviv.
Aufklärung wurde und wird von vielen als ein Elitenphänomen betrachtet, dass sich aufgrund der Ereignisse im 20. Jahrhundert selbst diskreditiert hätte. So, wie heute ständig eine (neo)liberale Haltung verantwortlich für alle sozialen Verwerfungen in der Gesellschaft gemacht wird, wurde den Intentionen der Aufklärung das grauenvolle Desaster der Welt vor 1945 angelastet (Bekannteste Vertreter Adorno, Horkheimer). Carlos Strenger erkennt hier die Geburtsstunde der politischen Korrektheit. Der Westen hätte jetzt Buße zu leisten und „jede Lebensform und jeden Glauben zu respektieren“. Dies sei nun aber eine „groteske Verzerrung des aufklärerischen Toleranzprinzip“. Denn dies sieht eigentlich vor, das freidenkende Individuum vor der Vereinnahmung durch Staat und Religion zu schützen und nicht allen Weltanschauungen Absolution zu erteilen.
„Wenn andere Kulturen nicht kritisiert werden dürfen, kann man die eigene nicht verteidigen.“ Und wo der kritische Diskurs dann an seine Grenzen gerät, weil einige Teilnehmer sich für keinerlei Argumenten offen zeigen, Fakten ignorieren und offenkundig menschenverachtende Ansichten vertreten und der Hybris erlegen sind, Werte wie Freiheit, Gleichheit und Toleranz bei anderen missachten zu dürfen, dann solle sich die offene Gesellschaft mit zivilisierte Verachtung wehren. Weiterlesen