
Aus der Literaturbeilage der Zeit
Nachtrag: 27.November 2014: Als ich diesen Beitrag im März des Jahres schrieb, war ich noch ein wenig von der naiven Vorstellung erfüllt, dass das Stichwort „Freiheit“ im gesellschaftlichen Diskurs immer Interesse und Leidenschaft weckt. Doch dem ist aktuell mitnichten so. Betitelt oder eröffnet jemand heute seinen Diskussionsbeitrag mit Gedanken über oder gar Sorge um die Freiheit, wendet sich die Mehrheit gähnend ab.
Das Gut „Freiheit“ hat rapide an Wert gegenüber den Wünschen nach Sicherheit, Gerechtigkeit, Gleichheit und staatlicher Fürsorge verloren. Sehr eindrücklich untermauert dies der erhobene „Freiheitsindex“ des John Stuart Mill Institutes, der seit 2011 in Zusammenarbeit mit dem Institut Allensbach ermittelt wird. Den Bericht 2014 als Pdf gibt es hier.
Wem der Diskurs der Freiheit dennoch etwas mehr Zeit und Gedanken wert ist, lege ich den Essay von Lisa Herzog „Freiheit gehört nicht nur den Reichen.“zu lesen nahe, über den ich hier resümiere:
Vor kurzem las ich Gustave le Bons „Psychologie der Massen“ , in dem er darauf verweist, dass Freiheit zu den Begriffen zählt, „deren Sinn so unbestimmt ist, dass dicke Bände nicht ausreichen, ihn festzustellen. Und doch knüpft sich eine wahrhaft magische Macht an ihre kurzen Silben, als ob sie die Lösung aller Fragen enthielten.“ Dem kann man angesichts der seit Jahrhunderten fortlaufenden Lektüre über das Wesen und die Voraussetzung der „Freiheit“ nur wenig widersprechen. Wer sich dem Thema dennoch annähern möchte und sowohl einen historischen Blick als auch einen aktuellen Diskurs über die Freiheit im allgemeinen und den in Misskredit geratenen Liberalismus im speziellen wünscht, dem kann ich den sehr klugen und leicht lesbaren Essay von Lisa Herzog sehr empfehlen.
Nicht ideologisch, bestenfalls idealistisch hält sie auf knapp 200 Seiten ihr „Plädoyer für einen zeitgemäßen Liberalismus“, der meines Erachtens auch Not tut. Denn der liberale Geist, der sich in der Vergangenheit immer sehr wohltuend als Korrektiv bei starken rechts- wie linksideologischen, gesellschaftspolitischen Ausschlägen erwiesen hat, steht seit der Finanzkrise am Pranger. Sowohl der rechte als auch linke Flügel – verdächtig einhellig – machen ihn nicht nur für das Finanzmarktdebakel, sondern für alle sozialen Verwerfungen in einer globalisierten Marktwirtschaft allein verantwortlich. Der Liberalismus wird so dankbar auch zum Sündenbock der staatlichen Finanzkrisen, in dem die Politik vorgibt, dass die Rettung der globalen Finanzmärkte ja erst zur Schieflage der Staatshaushalte geführt habe.
Dennoch, und dies gibt Lisa Herzog unumwunden zu, kann man die jüngsten Repräsentanten des Liberalismus nicht in allen Anklagepunkten freisprechen. Dass der Liberalismus so gut als Sündenbock taugt, hat er einer Gruppe selbsternannter Neoliberaler zu verdanken, die das enge Bild eines staatlich gegängelten Marktes schufen. Gegen dieses Bild möchte Lisa Herzog anschreiben:
„Das Bild, gegen das ich anschreibe, ist das einer Frontstellung von Markt und Staat, in der der Markt ausschließlich als Reich der Freiheit und der Staat ausschließlich als Reich von Zwang und Unterwerfung angesehen wird.“
Damit dies überzeugend gelingen kann, ist ein philosophischer, sozio-psychologischer sowie ökonomischer Diskurs der Freiheit angebracht.
Bei der philosophischen Annäherung an die Freiheit gerät man leicht in Sophisterei. Jegliche Definition von Freiheit findet umgehend ihren Kritiker, dem diese zu eingeschränkt oder jene zu weit ist. Doch Lisa Herzog bedient sich pragmatisch. Im wesentlichen verweist sie bei der Definition auf die negative sowie positive Freiheit, sprich erstere, die uns wenig verbietet und zweite, die uns vieles erlaubt, um als Einzelner ein selbstbestimmtes, eigenverantwortliches Leben zu führen.
Darüber hinaus überlässt sie es dem Leser, welche weiteren Spielarten er präferieren möchte.
Das Dilemma mit dem philosophischen Ideal der Freiheit wird einem persönlich sehr schnell deutlich, wenn man in die erzieherische Elternschaft eintritt. Zwar kann man sich dem schnell entledigen, in dem man sich auf Kant besinnt, der Vernunft als wesentliche Voraussetzung der Freiheit des Menschen einfordert. Die beizubringen, sehen wir ja als vorderstes Ziel unserer Erziehung. Doch gerät man dann sehr schnell auf elitäres, snobistisches Glatteis. Denn diese eingeklagte Vernunft findet sich nach kantischem Maßstab wohl bei kaum einem Mitglied in der heutigen Gesellschaft. Schon sein kategorischer Imperativ wird selten konsequent beherzigt.
In der Meinung gespalten werden wir schon durch die Frage unseres Menschenbildes. Überwiegend findet man doch ein negatives, wie Machiavelli beschreibt, dass die Menschen kleingeistig und kurzsichtig und vor allem immer auf ihren eigenen Vorteil bedacht seien. Gerne auch wie Adam Smith, der erkennt, dass die Eitelkeit, das Streben nach der Bewunderung von anderen, die Ursache dafür sei, dass Äcker bebaut, Städte gegründet und Wissenschaft und Kunst vorangetrieben würden.
Hingegen erteilt uns Marx fast eine religiös anmutende Absolution, indem er uns die Verantwortung nimmt und die (natürlichen) Gesetzmäßigkeiten des Marktes bzw. den Kapitalismus zum Schuldigen erklärt, der uns Menschen zwinge, ihr Eigeninteresse zu verfolgen, ob wir es wollen oder nicht.
Psychologisch und soziologisch ist unser Freiheitsanspruch immer auch ein Kampf zwischen unserem Eigensinn und damit unserer Willensfreiheit und unserer Handlungsfreiheit in einer Gemeinschaft. Denn
„Es geht immer um Freiheitsansprüche, die Menschen aneinander richten.“

Aus der Literaturbeilage der Zeit
Mit der Freiheit unseres Willens begibt man sich wiederum auf recht unsicheres Terrain. Denn zunehmend sprechen uns nicht nur Philosophen, sondern auch Psychologen sowie Neurowissenschaftler ab, über einen freien Willen zu verfügen. Unsere – damit nicht gänzlich selbst zu verantwortende – Willensschwäche führe dann zu asozialen, amoralischen oder zumindest unvernünftige Handlungen. Mich befremdet dieser Gedanken, denn er entmündigt uns, die wir uns für vernunftbegabte und damit selbstverantwortliche Wesen erachten. Ich denke, wer A sagt muss auch B sagen. Wenn ich Willensfreiheit beanspruche, dann muss ich auch die Verantwortung tragen, wenn mein Wille mich wider die Vernunft und besseres Wissen verleitet, asozial zu handeln.
Denn nur als solche können wir eine liberale Gesellschaft gestalten, die sich nach Lisa Herzog drei Fragen regelmäßig annehmen muss: die Fragen der Normen, des Ethos und der ungleichen Machtverteilung. Hier muss immer wieder neu justiert werden. Bei den Normen stellt sich u.a. die schöne Frage: „Verdient nicht jeder das, was er verdient?“ Und bezüglich des Ethos, wünscht die Autorin sich mit Recht, dass man diesen Begriff wieder entstaube.
„Ein gut funktionierendes Ethos hat gegenüber rein regel- und anreizbasierten Institutionen den großen Vorteil, dass es erlaubt, besser mit Komplexität umzugehen.“
Dieser Gedanke ist auch sehr nah bei Niklas Luhmann, der erkannte, dass Vertrauen nun mal dazu dient, Komplexität im sozialen Umgang zu reduzieren.
Und wachsam gegen Machtkonzentrationen zu sein, seien es Oligopole, Lobbys, politische und sonstige Eliten, darauf wies schon Adam Smith hin als er frotzelte, dass „Leute aus einer Branche selten zusammentreffen, ohne eine kleine Verschwörung gegen die Öffentlichkeit zu planen,…“
Am Ende des Diskurses kehrt die Autorin wieder zum Ausgangspunkt der Diskreditierung des Liberalismus zurück, zur Ökonomie.
Es versteht sich von selbst, dass der Liberalismus keine Legitimation für das Verhalten von Gier und Maßlosigkeit bietet.
Selbst der liberalste Philosoph, John Stuart Mill, setze ein Limit:
„dass der einzige Grund, aus dem die Menschheit, einzeln oder vereint, sich in die Handlungsfreiheit eines ihrer Mitglieder einzumischen befugt ist: sich selbst zu schützen. Dass der einzige Zweck, um dessentwillen man Zwang gegen den Willen eines Mitglieds einer zivilisierten Gesellschaft rechtmäßig ausüben darf: die Schädigung anderer zu verhüten.“
Schon diesem minimalen Anspruch eines gesellschaftlich verantwortlichen Liberalismus wurde und wird man in vielen Zentren der wirtschaftlichen Macht nicht gerecht. Hier muss der Staat, sofern er nicht Teil des Problems ist, regulierenden eingreifen. Da aber die Verflechtungen zwischen Politik und Wirtschaft heute zu stark geworden sind, um hier als Bürger noch zu vertrauen, ist des Bürgers Kontrolle besser. Da greift, wie man schon bei Kant „Zum ewigen Frieden“ nachlesen kann, die republikanische Freiheit, von der Lisa Herzog schreibt:
„Vielleicht ist es kein Zufall, dass in der philosophischen Debatte über den Begriff der Freiheit und des Liberalismus seit einiger Zeit eine dritte Konzeption wieder aufgelebt ist: die republikanische Freiheit. Freiheit wird hier über den Status des Einzelnen als freier Bürger definiert, als jemand, der darüber mitreden kann, was in seinem Staat entschieden wird.“
Ein Kernproblem des Marktes – unabhängig wie liberal er ist – muss dringend gesellschaftlich gelöst werden. Der große Fehler der Märkte ist aus volkswirtschaftlicher Sicht die unvollständige Preisfindung. Denn für viele Güter wird ein Preis gefunden, der die volkswirtschaftlichen Gesamtkosten nicht einbezieht. Ein großer Teil der Folgekosten von Gütern und Dienstleistungen, werden der gesamten Gesellschaft aufgebürdet.
Doch trotz aller Bedenken, die ein freier Welthandel erzeugt, muss man ihm eins zugute halten: er ist der stärkste Verbündete des Friedens. Schon vor über 200 Jahren galt die Globalisierung im philosophischem Weitblick von Kant, Montesquieu und Adam Smith als Garant für den zukünftigen Weltfrieden. Denn der Handel schweiße die Nationen so zusammen, dass kein Interesse mehr an Kriegen bestünde.
Mit einer Aufforderung von Kant, schließt Lisa Herzog ihr beeindruckendes Plädoyer ab, dem ich mich gerne anschließe:
„Frei nach Kant lässt sich sagen: Eine liberale Gesellschaft ist uns nicht gegeben, sondern aufgegeben.“