Wer hat an der Uhr gedreht, ist es wirklich schon zu spät? Über das Ende des Homo sapiens.

HomoDeus

Wie verhaftet wir noch im Denken des vergangenen Jahrhunderts sind, entlarvt einmal mehr der grandiose Querdenker Yuval Noah Harari in seinem aktuellem Buch „Homo Deus“, übersetzt von Andreas Wirthensohn. Homo Deus, der Gott Mensch, könnte die Bezeichnung für den Nachkommen des Homo sapiens sein. Die Betonung liegt auf dem Konjunktiv, so wie die gesamte Intention des Buches: „Eine Geschichte von Morgen“.

Wer sich dem Buch widmet, bekommt heftige Denkanstöße zu den großen Fragen des 21. Jahrhunderts:

Was wird mit dem Arbeitsmarkt passieren, wenn künstliche Intelligenz einmal die Menschen bei den meisten kognitiven Aufgaben übertrifft? Welche politischen Auswirkungen wird eine massenhafte neue Klasse von wirtschaftlich nutzlosen Menschen haben? Was wird mit den Beziehungen, den Familien und den Rentenkassen passieren, wenn Nanotechnologie und regenerative Medizin 80 zum neuen 50 macht? Was wird mit der menschlichen Gesellschaft geschehen, wenn die Biotechnologie uns in die Lage versetzt, Designerbabys zu bekommen und für eine beispiellose Kluft zwischen Reich und Arm zu sorgen?

Und über allem schwebt noch die Frage: „was ginge, wenn überhaupt, verloren, wenn man bewusste Intelligenz durch überlegene nicht-bewusste Algorithmen ersetzt?“

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Kann man mit Juli Zeh Spaß haben?

JuliZeh

Dank an Klappentexterin, die ein Interview mit Juli Zeh 2012 machte und diese Bild auf ihrem Blog veröffentlichte. Zum Interview einfach auf das Bild klicken.

Um vorab kein Missverständnis aufkommen zu lassen: ich kenne Juli Zeh persönlich nicht. Doch die Frage kam mir einfach in den Sinn, nachdem ich ihre aktuelle Sammlung an Essays und Vorträgen in „Nachts sind das Tiere“ gelesen hatte und mich der vielen Kommentare auf ihre Kolumnen sowie kritischen Artikel über sie erinnerte.

„Juli Zehs Besserwissertum erinnert an das der alten Männer à la Grass und Walser. Nur dass die bessere Literatur schreiben. (Ob das zur Duellaufforderung reicht? Oder sind Leserbriefschreiber nicht satisfaktionsfähig?)“ schrieb z. B. Gregor Keuschnig unter einem Artikel von Volker Weidermann. Volker Weidermann zitiert Juli Zeh in seinem Artikel, dass sie es bedauere, bösartige Kritiker nicht mehr zur Satisfaktion fordern zu können:

„Ich bedaure wirklich, dass es die Möglichkeit des Duells seit 100 Jahren nicht mehr gibt. Ich würde da gerne anrufen und sagen: ,Ich treffe Sie morgen früh um fünf auf einer nebligen Lichtung. Die Wahl der Waffen liegt bei Ihnen.“

Oha! Also als Kritiker ist mit ihr nicht zu spaßen. Nun, ich bin ja nur ein Leser und Zuhörer, der ihre Klugheit sehr schätzt. Aber auch unter denen gibt es entschiedene Zeh-Verweigerer, ja heute muss man schon Neudeutsch „Hater“ schreiben, z. B. Johann Otto in einem Kommentar in der FAZ„Politisch mit enormem Linksdrall versehen, immer mal wieder rechthaberisch im Fernsehen zu vernehmen, und in allem, was sie vermutlich am PC so herunterklappert, vor allem enorm öde und langweilig. Eine deutsche Schriftstellerin eben, von der so was einfach erwartet wird: „Im Bundestagswahlkampf 2005 gehörte sie zu den Autoren, die den Aufruf von Günter Grass zur Unterstützung der rot-grünen Koalition unterschrieben haben“ (aus Wikipedia). Große Abneigung!“ Weiterlesen

Das Netz hat viele gute Eigenschaften. Nur eine sicher nie: Empathie.

OmaBarbara

Mein Sohn verabschiedet sich von unserer Freundin und Nachbarin Oma Barbara, die mit 102 Jahren in diesem Jahr starbt. Es war wunderbar zu erleben, wie ein Kind schon ab dem vierten Lebensjahr dieser beeindruckenden Dame mit Herzlichkeit, Respekt und Umsicht begegnete. Als er sie einmal in sein Zimmer im ersten Stock einlud, reichte er ihr bei Ihrem vorsichtigen Abstieg zurück die Hand. Das hat er nicht im Internet gelernt ;-)

Mit der wachsenden Präsenz meines digitalen Alter Egos im Netz wächst zugleich der Wunsch über dessen Bild im Netz selbst bestimmen zu können. Nur leider, wie jeder alltäglich erfahren kann, ist das Gegenteil der Fall.

Im realen Leben erkennen wir den Wunsch nach Selbstbestimmung überwiegend an. Eine Ausnahme bildet die wachsende Popularität einer Person. Sobald sie dann auch noch eine Person des öffentlichen Lebens ist, muss sie den Preis dafür zahlen, dass sich andere öffentlich über sie eine Meinung bilden. Doch wenn jemand explizit darauf hinweist, dass er über gewisse Ereignisse oder Dinge in seinem Leben nicht sprechen oder daran erinnert werden möchte, respektierten wir das gemeinhin.

Ganz anders liegt der Fall im Netz. Die Gründe dafür sind einerseits menschlich und anderseits technisch bedingt.Menschlich, da das Netz den Schattenseiten unseres menschlichen Wesens genauso Gewicht verleiht, wie den guten Seiten. Im Netz sind wir nicht nur offen, transparent, begeistert, engagiert, interessiert, mitfühlend, sondern auch ungehemmt, anonym, gehässig, respektlos, hämisch und gierig.

Technisch, weil einmal ins Netz gegebene Inhalte nicht mehr verschwinden, kaum rückgängig gemacht werden können, ja sogar vervielfältigt und – ganz wichtiger Unterschied zum realen Leben – algorithmisch gewichtet werden. Letzteres schafft dann ein extremes Zerrbild unserer virtuellen Person gegen über unserem gewünschten Eigenbild. Sicher stimmt unser Eigenbild in der Realität auch selten mit unserem Fremdbild gänzlich überein. Doch bei ausreichender selbstkritischer Haltung und kritischer Reflexion kann man meist auch sein Fremdbild noch akzeptieren.

Doch im Netz erhält ein Bild von mir mit einer Maß in der Hand auf dem Oktoberfest eine weit höhere Gewichtung als dieser Blogbeitrag. Die Häufigkeit des eigenen Namens oder die Belegung des Namens durch Prominente (bei mir z. B. der verstorbene Schriftsteller) erschwert die Auffindbarkeit und schmälert die Netzbedeutung der Person. Die quantitative berufliche Vernetzung ist im Netz weit aus relevanter als die qualitativen engen Beziehungen zu Freunden, Verwandten und Nachbarn. Doch dieses so gewichtete Alter Ego im Netz gewinnt mehr und mehr an Bedeutung.

Wer ist nicht versucht, die neue Bekanntschaft in der Bar gleich mal zu googlen. Ein Personaler, der einen möglichen Bewerber nicht googelt, wird man grobe Fahrlässigkeit vorwerfen, wenn sich später Dinge offenbaren, die man schon im Netz hätte finden können. Mitarbeiter und neue Kollegen googlen gleich mal, was sich über die oder den Neuen so erfahren lässt. Die Eltern überprüfen im Netz zur Sicherheit mal die Profile des neuen Freundes oder der neuen Freundin ihrer Kinder. Und gleich wird dann noch schnell geschaut, was die Eltern so machen. Die Versicherungen scannen kurz mal Deine Online-Aktivitäten und errechnen ein individuelles Risikoprofil mit Hilfe eines Algorithmus, der u. a. die Anzahl Deiner fröhlichen Trinkbilder, die tollen Skivideos Abseits der Pisten und die drei stolz geposteten Radarfallenbilder gewichtet hat.

Im realen Leben gewichten wir, wem wir unsere Geselligkeit und Eskapaden anvertrauen, wem wir unsere sportlichen Aktivitäten wie verkaufen und wem wir unsere kleinen Sünden gestehen. Und im realen Leben haben wir eine regulierende Instanz in unserem Gegenüber: Menschen, zumindest die uns wohlwollenden, die über ein gewisses Maß an Empathie verfügen. Sie spüren, was uns unangenehm ist oder wird, wenn man nachhakt. Sie spüren, wenn der Witz über uns irgendwann nicht mehr witzig ist.

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Privates Bild auf der Seite von Ruprecht.de

 

Empathie: dem Netz fehlt diese sehr wesentliche menschliche Eigenschaft, die einen großen Anteil daran hat, dass wir mitfühlen, Rücksicht nehmen und miteinander auskommen können. Denn diese menschliche Eigenschaft reguliert üblicherweise, was sich Menschen in der Gesellschaft untereinander Gutes tun und Unangenehmes zumuten können. Und das wird nie ein Algorithmus im Netz leisten können.

Es bleibt also nur zu hoffen, dass wir auch online lernen ethische Normen zu achten und dass wir gesetzliche Regularien finden, die uns noch ein ausreichendes Maß an Selbstbestimmung im Netz ermöglichen.