Es ist eine Blamage, beschämend für uns: wenn es um die engagierte Verteidigung unserer verfassungsmäßig verbrieften Freiheitsrechte geht, müssen wir uns seit Jahrzehnten immer wieder bei einem unbeugsamen und manchmal schon verlachten Kämpfer bedanken: dem 83jährigen Gerhart Baum. Nicht zum ersten und womöglich nicht zum letzten Mal hat er vor kurzem wieder einen Sieg für uns Bürger vor dem Verfassungsgericht errungen. Der Freibrief zur Observation, wie ihn das unklar formulierte BKA-Gesetz bislang erteilte, ist nicht rechtens und muss geändert werden. Wieder hat der frühere FDP-Minister (zusammen mit seinem langjährigen Weggefährten Burkhard Hirsch, beide Juristen) erfolgreich geklagt und ein schludriges Gesetz zu Fall gebracht wie schon zuvor – zumindest in Teilen – den „Großen Lauschangriff“, das „Luftsicherheitsgesetz“ und die „Vorratsdatenspeicherung„.
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Wozu noch liberal?
„Wer Freiheit zugunsten der Sicherheit opfert, hat beides nicht verdient.“ (Frei übersetzt nach Benjamin Franklin.) Der Tenor dieses mehr denn je aktuellen Zitates durchzieht auch Gerhard Baums politische Bilanz. Denn offenkundig überwiegt in unserer Gesellschaft eine Sicherheitshysterie, die Stück für Stück hart erkämpfte Freiheiten opfert. Offensichtlich glauben viele, Sicherheit wäre ein Grundrecht wie die Freiheit und verkennen, dass Freiheit nun mal auch Unsicherheit in sich birgt.
Gerhard Baum gehört zu den schon fast vergessenen Vertretern einer linksliberalen FDP, die sich in einer Koalition mit einer ebenso vergangenen Brandt/Schmidt-SPD um freiheitliches Denken und liberaler Gesellschaft in der Bundesrepublik verdient machte. Als Babyboomer, Jahrgang 1961, profitierte ich und viele meiner Generation von dieser linksliberalen Wende in der Politik. In meiner Schulzeit traf ich auf viele junge LehrerInnen, die uns Schüler gerne politisiert und aufgeklärt hätten. Im Rückblick heute erinnern wir uns jedoch leider mehr an Oswald Kolle als an Kant. Die geistige Aufklärung blieb im Schatten der sexuellen. Hier mag schon ein Grund liegen, warum meine Generation nicht auf die Barrikaden gegen G8 und die Bologna-Reform geht, die man unseren Kindern zumutet.
Als Kind eines linksbürgerlichen Milieus waren mir die Liberalen in den Siebzigern des vergangenen Jahrhunderts leicht suspekt. Selbst Vertreter wie Baum, Genscher und Hamm-Brücher waren mir zu konservativ. Ideologien statt Ideale waren mein Credo. Das hat sich geändert wie man gerne prophezeit: Wer mit 20 kein Revolutionär ist, hat kein Herz. Wer es mit 40 immer noch ist, kein Verstand. Heute erkenne ich in Gerhard Baum einen engagierten Idealisten, der pragmatisch, aber nicht opportunistisch Politik betrieben hat.
Ich erlebe einen Achtzigjährigen bei seiner Buchpräsentation, vor dem ich mich verneige angesichts seiner bewahrten Leidenschaften für Politik, Gesellschaft und Kultur. Ich habe mir sein Buch gerne mitgenommen und es an zwei Abenden gelesen. Es hat mich bewegt und zugleich frustriert. Letzteres, weil es deutlich macht, welchen Wandel die FDP im besonderem und die aktuelle Politikergeneration im allgemeinem gemacht hat: von gesellschaftspolitischen Gestaltern zu opportunistischen Verwaltern einer bürgerlichen Komfortzone.
Und für noch etwas öffnete mir Gerhard Baum die Augen und lässt sie leicht tränen angesichts der Bedeutungslosigkeit, in der die FDP nun versunken ist: „ Widerstände waren immer eine Herausforderung. Ich hatte keine Scheu, Minderheitspositionen zu vertreten und mitunter zu unterliegen. Die liberale Partei, meine Partei, ist immer eine Minderheit in dieser Gesellschaft gewesen. Meine Freunde und ich waren in dieser Minderheit wiederum eine Minderheit – oft allerdings Vertreter eines starken, gestaltungsfähigen Teils der Partei. … (Karl Popper zitierend): Das Ziel ist ein auf Kompromiss beruhendes Fertigwerden mit dem Leben; die Neigung der Deutschen zu romantisch-irrationalen Positionen war mir immer fremd.“
Fatalismus ist Gerhard Baum ebenso fremd, ja befremdet ihn. Das bekam ich zu spüren als ich ihn bei seiner Buchvorstellung eine Antwort darauf gab, warum sich denn die Mehrheit der Bürger nicht heftiger über die Datenskandale empören. Meine Haltung dazu ist fatalistisch. Das verlorene Vertrauen ist nicht mehr zurückzugewinnen, da die technischen Möglichkeiten rechtlich nicht mehr im Zaum gehalten werden können. Das toleriert er nicht und will weiter dafür kämpfen, dass das Recht und Gesetz über NSA & Co. siegt. Seine Wut ist eben jung. Meine wird zunehmend vom Zynismus verlacht. Doch wie man meiner Rezension entnehmen kann, hallt die Begegnung mit diesem außergewöhnlichen Menschen, Politiker und Kämpfer nach. Und vielleicht verjüngt er letztlich auch mich.
Nachtrag: die Beschäftigung mit Freiheit und Liberalität – gesellschaftlich und politisch – hat mich nicht losgelassen. Und mit Lisa Herzogs „Plädoyer für einen zeitgemäßen Liberalismus“ habe ich ein nachfolgendes Buch gefunden, das ich sehr klug und lesenswert fand.