Über die Würde des Menschen ist zu diskutieren. Von Schirachs „Terror“

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Am Montag, den 17. Oktober, wird die TV-Produktion des Theaterstücks „Terror“ im ARD ausgestrahlt. Es ist zu wünschen, dass es ein Blockbuster wird. Bislang wurde das Stück sehr erfolgreich auf vielen nationalen und auch internationalen Theaterbühnen aufgeführt. Eine sehr außergewöhnliche Zuschauerreaktion gab es offenbar in Japan.

Ich habe Ferdinands von Schirach Justizdrama bislang nur gelesen. Und im Gegensatz zu Rechtsexperten wie Gerhard Baum und Burkhard Hirsch bin ich beeindruckt und begeistert. Die Herren Baum und Hirsch tappen meines Erachtens mit ihrem Lamento gegen die Aufführung des Stückes in ihre Expertenfalle, wenn sie dem Bürger hierfür einfach unzureichendes Urteilsvermögen attestieren. Denn in dem verhandelten Fall geht es nicht nur um eine juristische Klärung, sondern weit mehr um eine ethisch-moralische Standpunkt-Diskussion in unserer Gesellschaft. Weiterlesen

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Vom Luxus der Freiheit.

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Aus der Literaturbeilage der Zeit

Nachtrag: 27.November 2014: Als ich diesen Beitrag im März des Jahres schrieb, war ich noch ein wenig von der naiven Vorstellung erfüllt, dass das Stichwort „Freiheit“ im gesellschaftlichen Diskurs immer Interesse und Leidenschaft weckt. Doch dem ist aktuell mitnichten so. Betitelt oder eröffnet jemand heute seinen Diskussionsbeitrag mit Gedanken über oder gar Sorge um die Freiheit, wendet sich die Mehrheit gähnend ab.

Das Gut „Freiheit“ hat rapide an Wert gegenüber den Wünschen nach Sicherheit, Gerechtigkeit, Gleichheit und staatlicher Fürsorge verloren. Sehr eindrücklich untermauert dies der erhobene „Freiheitsindex“ des John Stuart Mill Institutes, der seit 2011 in Zusammenarbeit mit dem Institut Allensbach ermittelt wird. Den Bericht 2014 als Pdf gibt es hier.

Wem der Diskurs der Freiheit dennoch etwas mehr Zeit und Gedanken wert ist, lege ich den Essay von Lisa Herzog „Freiheit gehört nicht nur den Reichen.“zu lesen nahe, über den ich hier resümiere:

 

Vor kurzem las ich Gustave le Bons „Psychologie der Massen“ , in dem er darauf verweist, dass Freiheit zu den Begriffen zählt, „deren Sinn so unbestimmt ist, dass dicke Bände nicht ausreichen, ihn festzustellen. Und doch knüpft sich eine wahrhaft magische Macht an ihre kurzen Silben, als ob sie die Lösung aller Fragen enthielten.“ Dem kann man angesichts der seit Jahrhunderten fortlaufenden Lektüre über das Wesen und die Voraussetzung der „Freiheit“ nur wenig widersprechen. Wer sich dem Thema dennoch annähern möchte und sowohl einen historischen Blick als auch einen aktuellen Diskurs über die Freiheit im allgemeinen und den in Misskredit geratenen Liberalismus im speziellen wünscht, dem kann ich den sehr klugen und leicht lesbaren Essay von Lisa Herzog sehr empfehlen.

BildNicht ideologisch, bestenfalls idealistisch hält sie auf knapp 200 Seiten ihr „Plädoyer für einen zeitgemäßen Liberalismus“, der meines Erachtens auch Not tut. Denn der liberale Geist, der sich in der Vergangenheit immer sehr wohltuend als Korrektiv bei starken rechts- wie linksideologischen, gesellschaftspolitischen Ausschlägen erwiesen hat, steht seit der Finanzkrise am Pranger. Sowohl der rechte als auch linke Flügel – verdächtig einhellig – machen ihn nicht nur für das Finanzmarktdebakel, sondern für alle sozialen Verwerfungen in einer globalisierten Marktwirtschaft allein verantwortlich. Der Liberalismus wird so dankbar auch zum Sündenbock der staatlichen Finanzkrisen, in dem die Politik vorgibt, dass die Rettung der globalen Finanzmärkte ja erst zur Schieflage der Staatshaushalte geführt habe.

Folie1Dennoch, und dies gibt Lisa Herzog unumwunden zu, kann man die jüngsten Repräsentanten des Liberalismus nicht in allen Anklagepunkten freisprechen. Dass der Liberalismus so gut als Sündenbock taugt, hat er einer Gruppe selbsternannter Neoliberaler zu verdanken, die das enge Bild eines staatlich gegängelten Marktes schufen. Gegen dieses Bild möchte Lisa Herzog anschreiben:

„Das Bild, gegen das ich anschreibe, ist das einer Frontstellung von Markt und Staat, in der der Markt ausschließlich als Reich der Freiheit und der Staat ausschließlich als Reich von Zwang und Unterwerfung angesehen wird.“

Damit dies überzeugend gelingen kann, ist ein philosophischer, sozio-psychologischer sowie ökonomischer Diskurs der Freiheit angebracht.

Bei der philosophischen Annäherung an die Freiheit gerät man leicht in Sophisterei. Jegliche Definition von Freiheit findet umgehend ihren Kritiker, dem diese zu eingeschränkt oder jene zu weit ist. Doch Lisa Herzog bedient sich pragmatisch. Im wesentlichen verweist sie bei der Definition auf die negative sowie positive Freiheit, sprich erstere, die uns wenig verbietet und zweite, die uns vieles erlaubt, um als Einzelner ein selbstbestimmtes, eigenverantwortliches Leben zu führen.

Darüber hinaus überlässt sie es dem Leser, welche weiteren Spielarten er präferieren möchte.

Das Dilemma mit dem philosophischen Ideal der Freiheit wird einem persönlich sehr schnell deutlich, wenn man in die erzieherische Elternschaft eintritt. Zwar kann man sich dem schnell entledigen, in dem man sich auf Kant besinnt, der Vernunft als wesentliche Voraussetzung der Freiheit des Menschen einfordert. Die beizubringen, sehen wir ja als vorderstes Ziel unserer Erziehung. Doch gerät man dann sehr schnell auf elitäres, snobistisches Glatteis. Denn diese eingeklagte Vernunft findet sich nach kantischem Maßstab wohl bei kaum einem Mitglied in der heutigen Gesellschaft.  Schon sein kategorischer Imperativ wird selten konsequent beherzigt.

In der Meinung gespalten werden wir schon durch die Frage unseres Menschenbildes. Überwiegend findet man doch ein negatives, wie Machiavelli beschreibt, dass die Menschen kleingeistig und kurzsichtig und vor allem immer auf ihren eigenen Vorteil bedacht seien. Gerne auch wie Adam Smith, der erkennt, dass die Eitelkeit, das Streben nach der Bewunderung von anderen, die Ursache dafür sei, dass Äcker bebaut, Städte gegründet und Wissenschaft und Kunst vorangetrieben würden.

Hingegen erteilt uns Marx fast eine religiös anmutende Absolution, indem er uns die Verantwortung nimmt und die (natürlichen) Gesetzmäßigkeiten des Marktes bzw. den Kapitalismus zum Schuldigen erklärt, der uns Menschen zwinge, ihr Eigeninteresse zu verfolgen, ob wir es wollen oder nicht.

Psychologisch und soziologisch ist unser Freiheitsanspruch immer auch ein Kampf zwischen unserem Eigensinn und damit unserer Willensfreiheit und unserer Handlungsfreiheit in einer Gemeinschaft. Denn

„Es geht immer um Freiheitsansprüche, die Menschen aneinander richten.“

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Aus der Literaturbeilage der Zeit

Mit der Freiheit unseres Willens begibt man sich wiederum auf recht unsicheres Terrain. Denn zunehmend sprechen uns nicht nur Philosophen, sondern auch Psychologen sowie Neurowissenschaftler ab, über einen freien Willen zu verfügen.  Unsere – damit nicht gänzlich selbst zu verantwortende – Willensschwäche führe dann zu asozialen, amoralischen oder zumindest unvernünftige Handlungen. Mich befremdet dieser Gedanken, denn er entmündigt uns, die wir uns für vernunftbegabte und damit selbstverantwortliche Wesen erachten. Ich denke, wer A sagt muss auch B sagen. Wenn ich Willensfreiheit beanspruche, dann muss ich auch die Verantwortung tragen, wenn mein Wille mich wider die Vernunft und besseres Wissen verleitet, asozial zu handeln.

Denn nur als solche können wir eine liberale Gesellschaft gestalten, die sich nach Lisa Herzog drei Fragen regelmäßig annehmen muss: die Fragen der Normen, des Ethos und der ungleichen Machtverteilung. Hier muss immer wieder neu justiert werden. Bei den Normen stellt sich u.a. die schöne Frage: „Verdient nicht jeder das, was er verdient?“ Und bezüglich des Ethos, wünscht die Autorin sich mit Recht, dass man diesen Begriff wieder entstaube.

„Ein gut funktionierendes Ethos hat gegenüber rein regel- und anreizbasierten Institutionen den großen Vorteil, dass es erlaubt, besser mit Komplexität umzugehen.“

Dieser Gedanke ist auch sehr nah bei Niklas Luhmann, der erkannte, dass Vertrauen nun mal dazu dient, Komplexität im sozialen Umgang zu reduzieren.

Und wachsam gegen Machtkonzentrationen zu sein, seien es Oligopole, Lobbys, politische und sonstige Eliten, darauf wies schon Adam Smith hin als er frotzelte, dass „Leute aus einer Branche selten zusammentreffen, ohne eine kleine Verschwörung gegen die Öffentlichkeit zu planen,…“

Am Ende des Diskurses kehrt die Autorin wieder zum Ausgangspunkt der Diskreditierung des Liberalismus zurück, zur Ökonomie.

Es versteht sich von selbst, dass der Liberalismus keine Legitimation für das Verhalten von Gier und Maßlosigkeit bietet.

Selbst der liberalste Philosoph, John Stuart Mill, setze ein Limit:

„dass der einzige Grund, aus dem die Menschheit, einzeln oder vereint, sich in die Handlungsfreiheit eines ihrer Mitglieder einzumischen befugt ist: sich selbst zu schützen. Dass der einzige Zweck, um dessentwillen man Zwang gegen den Willen eines Mitglieds einer zivilisierten Gesellschaft rechtmäßig ausüben darf: die Schädigung anderer zu verhüten.“

Folie2Schon diesem minimalen Anspruch eines gesellschaftlich verantwortlichen Liberalismus wurde und wird man in vielen Zentren der wirtschaftlichen Macht nicht gerecht. Hier muss der Staat, sofern er nicht Teil des Problems ist, regulierenden eingreifen. Da aber die Verflechtungen zwischen Politik und Wirtschaft heute zu stark geworden sind, um hier als Bürger noch zu vertrauen, ist des Bürgers Kontrolle besser. Da greift, wie man schon bei Kant „Zum ewigen Frieden“ nachlesen kann, die republikanische Freiheit, von der Lisa Herzog schreibt:

„Vielleicht ist es kein Zufall, dass in der philosophischen Debatte über den Begriff der Freiheit und des Liberalismus seit einiger Zeit eine dritte Konzeption wieder aufgelebt ist: die republikanische Freiheit. Freiheit wird hier über den Status des Einzelnen als freier Bürger definiert, als jemand, der darüber mitreden kann, was in seinem Staat entschieden wird.“

Ein Kernproblem des Marktes – unabhängig wie liberal er ist – muss dringend gesellschaftlich gelöst werden. Der große Fehler der Märkte ist aus volkswirtschaftlicher Sicht die unvollständige Preisfindung. Denn für viele Güter wird ein Preis gefunden, der die volkswirtschaftlichen Gesamtkosten nicht einbezieht. Ein großer Teil der Folgekosten von Gütern und Dienstleistungen, werden der gesamten Gesellschaft aufgebürdet.

Doch trotz aller Bedenken, die ein freier Welthandel erzeugt, muss man ihm eins zugute halten: er ist der stärkste Verbündete des Friedens. Schon vor über 200 Jahren galt die Globalisierung im philosophischem Weitblick von Kant, Montesquieu und Adam Smith als Garant für den zukünftigen Weltfrieden. Denn der Handel schweiße die Nationen so zusammen, dass kein Interesse mehr an Kriegen bestünde.

Mit einer Aufforderung von Kant, schließt Lisa Herzog ihr beeindruckendes Plädoyer ab, dem ich mich gerne anschließe:

„Frei nach Kant lässt sich sagen: Eine liberale Gesellschaft ist uns nicht gegeben, sondern aufgegeben.“

Wozu noch liberal?

Bild„Wer Freiheit zugunsten der Sicherheit opfert, hat beides nicht verdient.“ (Frei übersetzt nach Benjamin Franklin.) Der Tenor dieses mehr denn je aktuellen Zitates durchzieht auch Gerhard Baums politische Bilanz. Denn offenkundig überwiegt in unserer Gesellschaft eine Sicherheitshysterie, die Stück für Stück hart erkämpfte Freiheiten opfert. Offensichtlich glauben viele, Sicherheit wäre ein Grundrecht wie die Freiheit und verkennen, dass Freiheit nun mal auch Unsicherheit in sich birgt.

Gerhard Baum gehört zu den schon fast vergessenen Vertretern einer linksliberalen FDP, die sich in einer Koalition mit einer ebenso vergangenen Brandt/Schmidt-SPD um freiheitliches Denken und liberaler Gesellschaft in der Bundesrepublik verdient machte. Als Babyboomer, Jahrgang 1961, profitierte ich und viele meiner Generation von dieser linksliberalen Wende in der Politik. In meiner Schulzeit traf ich auf viele junge LehrerInnen, die uns Schüler gerne politisiert und aufgeklärt hätten. Im Rückblick heute erinnern wir uns jedoch leider mehr an Oswald Kolle als an Kant. Die geistige Aufklärung blieb im Schatten der sexuellen. Hier mag schon ein Grund liegen, warum meine Generation nicht auf die Barrikaden gegen G8 und die Bologna-Reform geht, die man unseren Kindern zumutet.

BildAls Kind eines linksbürgerlichen Milieus waren mir die Liberalen in den Siebzigern des vergangenen Jahrhunderts leicht suspekt. Selbst Vertreter wie Baum, Genscher und Hamm-Brücher waren mir zu konservativ. Ideologien statt Ideale waren mein Credo. Das hat sich geändert wie man gerne prophezeit: Wer mit 20 kein Revolutionär ist, hat kein Herz. Wer es mit 40 immer noch ist, kein Verstand. Heute erkenne ich in Gerhard Baum einen engagierten Idealisten, der pragmatisch, aber nicht opportunistisch Politik betrieben hat.

Ich erlebe einen Achtzigjährigen bei seiner Buchpräsentation, vor dem ich mich verneige angesichts seiner bewahrten Leidenschaften für Politik, Gesellschaft und Kultur. Ich habe mir sein Buch gerne mitgenommen und es an zwei Abenden gelesen. Es hat mich bewegt und zugleich frustriert. Letzteres, weil es deutlich macht, welchen Wandel die FDP im besonderem und die aktuelle Politikergeneration im allgemeinem gemacht hat: von gesellschaftspolitischen Gestaltern zu opportunistischen Verwaltern einer bürgerlichen Komfortzone.

Und für noch etwas öffnete mir Gerhard Baum die Augen und lässt sie leicht tränen angesichts der Bedeutungslosigkeit, in der die FDP nun versunken ist: „ Widerstände waren immer eine Herausforderung. Ich hatte keine Scheu, Minderheitspositionen zu vertreten und mitunter zu unterliegen. Die liberale Partei, meine Partei, ist immer eine Minderheit in dieser Gesellschaft gewesen. Meine Freunde und ich waren in dieser Minderheit wiederum eine Minderheit – oft allerdings Vertreter eines starken, gestaltungsfähigen Teils der Partei. … (Karl Popper zitierend): Das Ziel ist ein auf Kompromiss beruhendes Fertigwerden mit dem Leben; die Neigung der Deutschen zu romantisch-irrationalen Positionen war mir immer fremd.“

BildFatalismus ist Gerhard Baum ebenso fremd, ja befremdet ihn. Das bekam ich zu spüren als ich ihn bei seiner Buchvorstellung eine Antwort darauf gab, warum sich denn die Mehrheit der Bürger nicht heftiger über die Datenskandale empören. Meine Haltung dazu ist fatalistisch. Das verlorene Vertrauen ist nicht mehr zurückzugewinnen, da die technischen Möglichkeiten rechtlich nicht mehr im Zaum gehalten werden können. Das toleriert er nicht und will weiter dafür kämpfen, dass das Recht und Gesetz über NSA & Co. siegt. Seine Wut ist eben jung. Meine wird zunehmend vom Zynismus verlacht. Doch wie man meiner Rezension entnehmen kann, hallt die Begegnung mit diesem außergewöhnlichen Menschen, Politiker und Kämpfer nach. Und vielleicht verjüngt er letztlich auch mich.

Lisa_HerzogNachtrag: die Beschäftigung mit Freiheit und Liberalität – gesellschaftlich und politisch – hat mich nicht losgelassen. Und mit Lisa Herzogs „Plädoyer für einen zeitgemäßen Liberalismus“ habe ich ein nachfolgendes Buch gefunden, das ich sehr klug und lesenswert fand.

Freiheit mit beschränkter Haftung.

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(c) Photograph by Erich Lessing

Üblicherweise ziehe ich bei Sachbüchern, die sich mit gesellschaftlichen Phänomenen beschäftigen, heute die eBook-Form vor. Denn deren Halbwertzeit liegt selten über 5 Jahre. Soziologen werden selten zu Longseller-Autoren. Eine große Ausnahme bildet Erich Fromm. Die oft zitierten Werke „Haben oder Sein“ und „Die Kunst des Liebens“ finden in jeder Generation interessierte Leser. Fromm erlag offenbar nicht so leicht der Zeitgeist Interpretation, sondern schürfte tiefer und fand zeitlosere soziophilosophische Themen, die ihre Relevanz bis heute behalten.

Mit der jugendlichen Vorprägung der oben genannten Werke, die ich vor ca. 30 Jahren gelesen hatte, bekam ich nun die Empfehlung zu seinem Erstling „Die Furcht vor der Freiheit“. Gerhard Baum, ehemaliger FDP-Minister in der linksliberalen Koalition Ende der siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts, verweist darauf in seiner politischen Biografie. Es sei sehr erhellend für ihn gewesen und erkläre das bis heute unverändert ambivalente Verhältnis des Menschen zur Freiheit. Dem kann ich nach der Lektüre nur ganz und gar zustimmen. Dieses Buch werde ich nun zum Kanon meiner soziologischen Literatur zählen.

BildGeschrieben hat es Erich Fromm 1941 vor dem Hintergrund des sich erfolgreich ausbreitenden Faschismus und der Naziideologie, deren Zusammenbruch zu diesem Zeitpunkt sicher noch nicht absehbar war. Es ist beeindruckend, wie nüchtern, lesbar und fundamental er das Thema Freiheit und Gesellschaft analysiert und zunächst mit einer sehr plausiblen Entwicklungsgeschichte beginnend im späten Mittelalter in das Thema einführt.

Sicher ist sein Blick eurozentristisch und klammert fernöstliche gesellschaftliche Phänomene ebenso aus wie islamisch geprägte. Doch tut dies dem Erkenntnisgewinn erst mal kein Abbruch. Man darf sicher auch nicht eine erschöpfende Abhandlung erwarten. Der Leser erhält ein essayistisch formuliertes und plausibel interpretiertes Ergebnis einer gesellschaftlichen Analyse. Die gesellschaftspolitischen Ableitungen und Empfehlungen, die Erich Fromm daraus macht, nehmen keinen breiten, dogmatischen oder ideologischen Raum ein. Sicher tendiert er politisch deutlich links und spricht am Ende gerne vom Ideal der sozialistischen Demokratie.

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Seit langem habe ich in einem Buch nicht mehr so häufig markiert, unterstrichen und Anmerkungen gemacht, wie in diesem. Die wesentliche Erkenntnis, die Erich Fromm vermittelt, ist weiterhin hochaktuell: das „Doppelgesicht“ der Freiheit. So wünschen wir uns zwar Freiheit in allen gesellschaftlichen Belangen, jedoch bedingt dies auch immer wachsende Unsicherheit. Weniger Staat, weniger Macht, weniger Regeln bedeuten auch weniger Absicherung, mehr Eigenverantwortung und Unklarheiten. Aktuell erleben wir eine Gesellschaft, in der immer mehr Menschen bereit sind, Freiheiten zugunsten einer komfortablen Sicherheits- und Komfortzone aufzugeben.

Die Furcht vor der Freiheit ist weiterhin aktuell. Wir alle müssen lernen, Freiheit auch mit beschränkter Haftung zu wollen. Um sich dafür zu rüsten, lohnt der Einstieg ins Thema über Erich Fromm und aktuell auch der Beitrag von Lisa Herzog „Freiheit gehört nicht nur den Reichen.“.

Einen etwas anderen, aber interessanten Blick auf das Buch fand ich im Blog „Der Pudels Kern“ hier.