Scheitern auf höchstem Niveau

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Sicher ungewollt lässt Jonas Lüscher in seinem beeindruckenden, ersten Roman „Kraft“ die mir einzig sympathische Figur heftig, wenn auch indirekt unken, was den derzeitigen Hoffnungsträger einer sozialdemokratischen Kanzlerschaft betrifft:

„Nein, ich sage dir, war sich Bertrand sicher, Schröder, das ist doch für eine ganze Generation Deutscher die politische Enttäuschung ihres Lebens. Stell dir vor, man wächst in Deutschland auf und alles, was man kennt, ist dieser Kohl – sechzehn Jahre Kohl. …. Sechzehn Jahre Scham und Pein, und dann kommt Schröder, und es ist, als hätte endlich jemand das Fenster geöffnet und frische Luft hereingelassen. Und dann betrügt er sie, alle … der Genosse der Bosse – …“

Bertrand ist Franzose, intellektuell, privilegiert, reich und ein „unverbesserlicher Linker“. Er hatte seine Dozentenstelle als Professor aufgegeben und sich auf das Weingut seiner Familie zurückgezogen, nachdem er zu der ihn erhellenden Ansicht gelangt war, dass er Teil des französischen Problems der Linken sei. Die französische Linke habe sich nämlich zweier Vergehen schuldig gemacht:

„Sie habe sich nie ernsthaft darum bemüht, das elitistische und neofeudale Ausbildungssystem zu reformieren, …. Zum Zweiten, …, habe sich die Linke schamlos dem Neoliberalismus an die Brust geworfen und damit Verrat geübt an der Arbeiterklasse, indem sie den Begriff des Klassenkampfes für überholt erklärte und damit die Existenz jener, um die sie sich eigentlich zu kümmern habe, geradewegs zu negieren versucht, …“ Weiterlesen

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Exzess in der Oase.

BildScheherazade hätte wohl ihr Freude an Jonas Lüscher gehabt. Er hätte ihr Stoff für viele der 1001 Tage geliefert, um den König bei der Stange zu halten. Lüscher ist für mich eine große Entdeckung und Hoffnung auf noch kommende spannende, amüsante und geistreiche Romane und Erzählungen. Beachtlich, dass dieses Debüt letztlich nur eine Novelle mit 125 Seiten wurde, bietet es doch Stoff für einen umfangreichen Roman.

Schon die Idee, menschliche Hybris und seelische Abgründe, wie sie sich in der Bankenkrise offenbarten, nicht nur sinnbildlich, sondern wörtlich in einer tunesischen Oase zu verorten, ist ein literarische Clou. Wer die Geschichte liest, wird es keinen Moment als exotische Konstruktion empfinden, sondern beeindruckt verfolgen, wie hier zwei Welten im Exzess aufeinander treffen und in denkbarer Weise explodieren. Dem feingeistig, nacherzähltem Weg zur Katastrophe folgte ich wie gebannt. Die finale Schilderung des Exzess war mir dann zwar etwas zu einseitig und abenteuerlich, doch gestehe ich sie der Freiheit eines Geschichtenerzähler gerne zu.

Nicht zuletzt behagt mir der gewählte Stil von Jonas Lüscher sehr. Er ist literarisch, wortverliebt, der Autor geht sehr achtsam mit der Sprache um. Und er versteht es hoch amüsante Anekdoten zu schreiben. Und recht sympathisch wirkt er auch.

Begeistert und ausführlich geht die Bloggerin Literaturen auf das Debüt ein.