Zum ewigen Frieden.

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Ich wage mal die Behauptung, dass Immanuel Kant als Blogger heute kaum „Follower“ gewinnen würde. Aus gegebenem Anlass habe ich – erneut – seinen Vertragsentwurf „Zum ewigen Frieden . Ein philosophischer Entwurf.“ gelesen. Wenn sich der ein oder andere heute gerne über einfache Schachtelsätze mokiert, so wird er hier durch eine stilistische Hölle an Satzgebilden gehen müssen, die ich als Matroschka-Sätze bezeichnen möchte. Ob es sich aber dennoch der Mühen lohnt, sich mit dem Originaltext zu befassen?

Da ich nun mitteilungsbedürftig darüber schreibe, ist die Frage soweit schon mal beantwortet.

Foto 1-1Durchaus schwieriger ist es, befriedigend zusammenzufassen, über was ich nun alles brüte. Zunächst einmal gilt auch für Kant die Binse, dass

der Friedenszustand unter Menschen, die neben einander leben, …kein Naturzustand, sondern vielmehr ein Zustand des Krieges ist,…“

Dabei sind ihm die verstreuten Völker auf der Erde, insbesondere jene, die in klimatisch oder geografisch unbequemen Zonen angesiedelt sind, historischer Beweis, dass der Krieg ein naturgewollter Verdrängungswettbewerb ist. Die Natur manifestiert diesen Zustand noch durch zwei wesentliche Mittel:

 „Sie (die Natur, Anm. d. V.) bedient sich zweier Mittel, von der Vermischung abzuhalten und sie abzusondern, der Verschiedenheit der Sprachen und der Religionen,…“.

Es wäre nun ein leichtes, die allgemeine Gültigkeit dieser These – zumindest was die Sprache betrifft – heute zu widerlegen. Die zahlreichen angelsächsischen Länder und die südamerikanischen Länder widersprechen dem vordergründig. Aber noch immer gilt, dass Religionen und gesellschaftspolitische Ideologien – die ja letztlich auch Glaubenslehren – bis heute die Scharfmacher für die Massen sind, um kriegerische Auseinandersetzungen zu forcieren. Häufig – damals wie heute – steht dahinter auch noch das Kalkül einer herrschenden Elite, die diese als Mittel zum Zweck ihrer eigenen hegemonialen Interessen nutzt.

Kant ein Republikaner oder ein lupenreiner Demokrat?

Um den Interessen einzelner Eliten entgegen zu wirken, legt Kant im zweiten Abschnitt erst einmal dar, welche Regierungsform er präferiert – was nicht unbedingt gleichbedeutend mit der Staatsform ist:

„Die bürgerliche Verfassung in jedem Staate soll republikanisch sein.“

Und dies gelte selbst dann, wenn man ein pessimistisches, teuflisches Menschenbild unterstellt:

„Das Problem der Staatserrichtung ist, …, selbst für ein Volk von Teufeln (wenn sie nur Verstand haben), auflösbar und lautet so: Eine Menge von vernünftigen Wesen, die insgesamt allgemeine Gesetze für ihre Erhaltung verlangen, deren jedes aber in Geheim sich davon auszunehmen geneigt ist, so zu ordnen und ihre Verfassung einzurichten, dass,…, diese einander doch so aufhalten, dass in ihrem öffentlichen Verhalten der Erfolg eben derselbe ist, als ob sie keine solche böse Gesinnung hätten.

Eine solche Verfassung ist begründet auf drei Prinzipien „Freiheit“, „Gemeinsame Gesetzgebung“ und „Gleichheit“.

Heutige Interpreten verweisen kurzerhand gerne darauf, dass die damalige republikanische Gesinnung Kants heute als demokratisch zu verstehen sei und vereinnahmen Kant so für sich als „lupenreinen Demokraten.“ Dem mag ich anhand des Originaltextes nicht folgen, sondern sehe hier einen noch immer sehr brisanten, politischen Diskussionsstoff, der auch um den aktuell todgesagten Liberalismus kreist. Weit mehr würde ich Kant im Sinne des angelsächsischen Dualismus „Republikaner vs. Demokraten“ auf der Seite der Republikaner sehen.

Die Demokratie ist – nach Kant – eine von drei despotischen Regierungsformen (Autokratie, Aristokratie, Demokratie). In der Republik dagegen, wie Kant sie beschreibt, gibt der Bürger nur die Macht der Ausführung ab (Exekutive und Judikative), doch die gesetzgebende (Legislative) bleibt direkt beim Bürger. Hingegen in der Demokratie, „im eigentlichen Verstande des Wortes“, bestimme die Mehrheit über Minderheiten. Die demokratische Regierungsform sei somit nicht repräsentativ wie es die republikanische im idealen Falle wäre.

Die idealen Repräsentanten einer republikanischen Regierung agieren mit dem Selbstverständnis, „Diener des Staates zu sein“ (Kants oberster Staatsherr Friedrich II bezeichnete sich so). Doch in der Demokratie wolle alles Herr sein und nicht Diener. Nicht die Staatsform sei für den Bürger somit entscheidend, sondern die Regierungsart. Sofern jeder Bürger überzeugt sein könne, nach den Grundprinzipien einer republikanischen Verfassung regiert zu werden, spiele es für ihn keine Rolle, ob er in einer Monarchie, Aristokratie (im Sinne der „Besten“) oder Republik lebt.

Dieses politische Verständnis Kants ist es auch heute noch Wert, abgewogen zu werden. Es hinterfragt kritisch unsere oft schon dogmatische Haltung im Westen, Demokratie als die am besten die Freiheit garantierende Regierungsform vorauszusetzen. Die Betonung liegt hier auf der Freiheit.

Jeder Bürger sollte einzeln entscheiden können: Krieg oder Frieden.

Die republikanische Bürgerverantwortung ist es denn auch, die Kant als wesentliche Voraussetzung erachtet, um den Frieden zu wahren. Eine weitere Bedingung sei noch die Abschaffung eines stehenden Heeres, sprich einer Berufsarmee. Dafür soll aber jeder Bürger so ausgebildet sein, sich und seinen Staat mit der Waffe schützen zu können, so dass im Falle eines unvermeidbaren Krieges jederzeit eine freiwillige Armee zusammengezogen werden kann.

Diese beiden Vorausetzungen sorgen schon erheblich dafür, dass es kaum noch zu Kriegen käme. Denn eine republikanische Verfassung im Sinne Kants erfordert die konkrete Zustimmung jedes einzelnen Staatsbürgers zu einem Krieg. Und zwar mit allen persönlichen Konsequenzen: ich gebe mein Geld dafür, ich riskiere den Verlust meiner Habe und eventuell meines Lebens und ich übernehme die Schulden des Krieges.

Ein friedenstiftender Völkerbund erfordert die Abgabe einzelstaatlicher Souveränität.

Da jedoch die innerstaatliche Entscheidung allein nicht ausreicht, um sich vor Angriffskriegen zu schützen, benötigt die Welt zudem einen Völkerbund. Doch hier liegt eine besondere Crux, die wir bis heute nicht lösen können. Ein Völkerbund erfordert die Abgabe an Souveränität des einzelnen Staates an eine legitimierte Institution die den Völkerbund repräsentiert. Der Völkerbund ist somit ein ermächtigter Friedensbund (kein Friedensvertrag, der einzig nur den Krieg beendet), der den ewigen Frieden gestalten und sichern will.

„Dieser Bund geht auf keinen Erwerb irgend einer Macht des Staats, sondern lediglich auf Erhaltung und Sicherung der Freiheit des Staats, für sich selbst und zugleich anderer verbündeten Staaten, ohne dass diese doch sich deshalb (…) öffentlichen Gesetzen, und einem Zwange unter denselben, unterwerfen dürfen.“

Folie1Doch im Gegensatz zu einem vernünftigen Individuum, das sich einer staatlichen Gesetzgebung fügt, ist dies bislang unter Staaten nur schwach bis gar nicht ausgeprägt.

Der stärkste Verbündete des Friedens ist der Welthandel.

In der Erkenntnis aller Unwegsamkeit zu einem ewigen Frieden sieht Kant schon damals voraus, dass es zudem eine wachsende Macht gibt, die allen Staats- und Regierungsformen trotzt und die stärkste friedensstiftende Kraft entfalten wird: die weltweite Geld- und Handelsmacht:

„Es ist der Handelsgeist, der mit dem Kriege nicht zusammen bestehen kann, und der früher, oder später sich jedes Volks bemächtigt.“

Zum Abschluss legitimiert Kant seinen vermessenen Anspruch, sich als Philosoph in Staatsgeschäfte öffentlich einzumischen. Der Philosoph – heute würden wir vielleicht Intellektueller sagen – solle sich öffentlich zu der Politik äußern und von den Regierenden gehört werden. Denn

„Dass Könige philosophieren, oder Philosophen Könige würden, ist nicht zu erwarten, aber auch nicht zu wünschen; weil der Besitz der Gewalt das freie Urteil der Vernunft unvermeidlich verdirbt.“

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Die trostlose Wirklichkeit hinter „Full Metal Jacket“.

BildMit „Die Einsamkeit der Primzahlen“ hat er mich und Millionen weitere Leser beeindruckt. Mit seinem neuen Roman ist es ihm bei mir wieder gelungen, doch ich erwarte nicht, dass dieses Buch ein Auflagenerfolg wird. Paolo Giordano hat sich ein ebenso ernüchterndes wie beklemmendes Thema gewählt: das Soldatendasein.

Die szenische Erzählung beginnt am Ende der Geschichte. Im Fortlauf seziert Paolo Giordano wie ein Pathologe sehr eindringlich anhand einzelner Begebenheiten und unterschiedlicher Figurenperspektiven die Entwicklung von Berufssoldaten und -soldatinnen im Afghanistan-Einsatz. Das Geschehen und der besondere Wendepunkt sind zwar absehbar, doch die Spannung liegt nicht in der Handlung, sondern in der Wandlung der Protagonisten.

Das Buch hat mich – im besten Sinne – sehr angestrengt und trostlos entlassen. Das ist die Crux solch einer schriftstellerischen Bemühung, die sich der Wirklichkeit annimmt, sie reportagehaft behandelt und nicht dramaturgisch verfremdet. Denn auch wenn man es als tragische Handlung bezeichnet, so fehlt dem Roman dass, was die künstlerische Tragödie auszeichnet: die Katharsis. Der Roman läutert nicht oder verbessert gar ein wenig die Welt – weder moralisch noch menschlich. Er lässt uns am Ende mit der fatalen Gewissheit zurück, dass am Verlauf der erzählten Schicksale ebenso wenig zu ändern ist wie offensichtlich an der Notwendigkeit militärischer Einsätze. Zumindest wertet er nicht. Weder befürwortet Paolo Giordano mit dem Roman Militäreinsätze noch lehnt er sie offenkundig grundsätzlich ab – vom utopischem Wunsch eines ewigen Friedens einmal abgesehen.

Das Fatalistische dieses Romans wird wohl seinen Erfolg verhindern. Kaum jemand wird ihn gerne empfehlen und Freunden zumuten. Denn ja, er ist eine Zumutung. Er fordert dem Leser Mut ab, zu bekennen wie entpersonalisiert das wirkliche Leben ist. Soldaten versinnbildlichen dies nur besonders konsequent. Wir nehmen sie nur in ihren Funktionen war – nicht als Personen. Jegliche Individualität ist in der geforderten Funktion hinderlich, gar ein Risiko. Soldaten opfern nicht erst im Einsatz Leib und Leben, sie opfern auch schon beim Eintritt in das Soldatensein Individualität und Persönlichkeit. Nichts demonstriert dies monströser als der Ausbildungsteil im Film „Full Metal Jacket“ von Stanley Kubrick.

Es befremdet mich bis heute, dass dieser Teil des Kubrick-Films „Kultstatus“ erhalten hat – und zwar nicht als erschütterndes Zeugnis einer menschenverachtenden, abscheulichen Einrichtung, sondern als respektvolle Huldigung derer, die sich das angetan haben und bis heute noch antun. Zur Huldigung bietet Paolo Giordano keinen geeigneten Stoff. Dafür ist ihm – neben allem anderem – noch mal besonders zu danken. Denn es war sicher sehr verführerisch, aus dem Stoff ein Heldenepos zu inszenieren. Doch er blieb der trostlosen Wirklichkeit verpflichtet.