Notizen zur Selbstbedienung (5)

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Jetzt kommt mal wieder runter und zeigt, dass das Netz mehr kann als Häme verbreiten.

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„Ich verachte Ihre Meinung, aber ich gäbe mein Leben dafür, dass Sie sie sagen dürfen.“

Friends of Voltaire

Diese Haltung ist der heutigen Gesellschaft fremd geworden. Und das Netz entwickelt sich auch noch zum Verstärker des Gegenteils:

„Ich verachte Ihre Meinung und werde alles dafür tun, Sie mundtot und lächerlich zu machen.“

Sicher braucht es anfänglich immer ein Ventil, wenn man mit Ressentiments und Meinungen konfrontiert wird, die man für dümmlich oder borniert erachtet. Und da ist der Schlagfertige immer im Vorteil. Eine lässige, spöttische Replik, mit der man sich die Lacher im eigenen Lager sichert, einen feinsinnigen Bonmot für die Intelligenzija und eine saftige Satire oder Karikatur zum heimischen Schenkelklopfen, liken und teilen in der Filterbubble.

Im realen Leben unter Bekannten tritt dann aber üblicherweise ein Regulativ ein: Empathie. Wir spüren, wenn der anfängliche Spott sich allmählich in verletzende und destruktive Häme wandelt. Und wir fühlen mit, wie der Mensch, der der Auslöser war, beginnt zu verhärten. Empathie hilft uns, zu erkennen, wann ein Witz nicht mehr witzig ist und wann wir beginnen sollten, uns zurück zu nehmen und dem Gegenüber zu zeigen, dass wir uns nicht auf seine Kosten weiter lustig machen werden.

Ganz anders im Netz. Wie ich in einem Beitrag kürzlich schrieb, beweist mir das Netz viele gute Eigenschaften. Doch diese eine wird es nie haben: Empathie. Im Gegenteil. Das Netz mit seiner nüchternen, kalten algorithmischen Logik spült ständig nur weiter den nächsten plumpem Gag nach oben. Jeder Versuch, einen differenzierteren Beitrag in einer Sache zu leisten, wird bestenfalls von wenigen quergelesen und nach Bestätigung der eigenen Meinung gescannt.

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„Es irrt der Mensch, solang er strebt.“ Spiegel Titel 2007

Überhaupt werden die Versuche eines Diskurses immer zaghafter. Denn wohl jeder Journalist und auch die anderen anerkannten Meinungsbildner im Netz machen immer häufiger die Erfahrung, dass wenn sie sich nicht eindeutig zu einer klaren Meinung bekennen, kaum bedeutende Resonanz auf ihre Arbeit bekommen. Gemeinhin sind Journalisten auch nur Menschen und wünschen sich eher Lob und begeisterte Zustimmung von ihrer adressierten Lesergruppe. Der ein oder andere negative Kommentar würzt dann nur noch und soll bestätigen, wie klar und provokant man doch Stellung bezogen habe.

Die ernüchternden Netzerfahrungen der vergangenen Jahre und die aktuelle Eskalation um Pegida & Co. dokumentiert mir, dass das Netz bis heute keinerlei Beitrag zu einem verbesserten meinungsbildende, gesellschaftlichen Diskurs leistet. Zumindest solange nicht, bis die, die sich für diese Hoffnung immer stark machten, endlich mal merken, dass sie diese Hoffnung mit ihrer destruktiven, herablassenden und oft sehr bornierten Häme allmählich selbst begraben.

Die anfängliche Netzeuphorie vieler Bürger an einer verstärkten gesellschaftspolitischen Teilhabe, wie sie z. B. durch die Piratenpartei repräsentiert wurde, driftet allmählich ab in zynische Selbstgefälligkeit.

Dieser immer beliebte Zynismus einer eher gebildeten, intellektuellen Gruppe kann in solch einem Gemenge, wie wir es aktuell haben, sehr bedenkliche Wirkungen haben. Mehr dazu findet man in Peter Sloterdijks „Kritik der zynischen Vernunft.

Auch ich weiß nicht, wie ich den erschreckenden Ressentiments von ca. ein Drittel der Bundesbürger begegnen soll, um sie aufzuweichen oder gar zu reduzieren. Ich erachte es auch für sinnlos mit den meisten zu reden und nach irgendeiner Weise von Verständnis zu suchen.Da gibt es nichts zu verstehen. Aber ich weiß, dass wenn ich mich ständig lauthals über die Dummheit und Kleingeistigkeit meiner Nachbarn lustig mache, ich bald nicht mehr in Frieden mit ihnen zusammenleben kann.

Nachtrag 24. Februar 2015: die Geschichte eines verhängnisvollen Tweets, der ein ganzes Leben in wenigen Stunden zertrümmert, wird gerade ausführlich erzählt. Ich wünsche niemanden durch solch eine kleine Dummheit, wie sie Justine Sacco unterlaufen ist, so durch die Hölle gehen zu müssen. Einmal mehr bestätigt mir diese Geschichte meine These der fehlenden Empathie.

 

Das Netz hat viele gute Eigenschaften. Nur eine sicher nie: Empathie.

OmaBarbara

Mein Sohn verabschiedet sich von unserer Freundin und Nachbarin Oma Barbara, die mit 102 Jahren in diesem Jahr starbt. Es war wunderbar zu erleben, wie ein Kind schon ab dem vierten Lebensjahr dieser beeindruckenden Dame mit Herzlichkeit, Respekt und Umsicht begegnete. Als er sie einmal in sein Zimmer im ersten Stock einlud, reichte er ihr bei Ihrem vorsichtigen Abstieg zurück die Hand. Das hat er nicht im Internet gelernt ;-)

Mit der wachsenden Präsenz meines digitalen Alter Egos im Netz wächst zugleich der Wunsch über dessen Bild im Netz selbst bestimmen zu können. Nur leider, wie jeder alltäglich erfahren kann, ist das Gegenteil der Fall.

Im realen Leben erkennen wir den Wunsch nach Selbstbestimmung überwiegend an. Eine Ausnahme bildet die wachsende Popularität einer Person. Sobald sie dann auch noch eine Person des öffentlichen Lebens ist, muss sie den Preis dafür zahlen, dass sich andere öffentlich über sie eine Meinung bilden. Doch wenn jemand explizit darauf hinweist, dass er über gewisse Ereignisse oder Dinge in seinem Leben nicht sprechen oder daran erinnert werden möchte, respektierten wir das gemeinhin.

Ganz anders liegt der Fall im Netz. Die Gründe dafür sind einerseits menschlich und anderseits technisch bedingt.Menschlich, da das Netz den Schattenseiten unseres menschlichen Wesens genauso Gewicht verleiht, wie den guten Seiten. Im Netz sind wir nicht nur offen, transparent, begeistert, engagiert, interessiert, mitfühlend, sondern auch ungehemmt, anonym, gehässig, respektlos, hämisch und gierig.

Technisch, weil einmal ins Netz gegebene Inhalte nicht mehr verschwinden, kaum rückgängig gemacht werden können, ja sogar vervielfältigt und – ganz wichtiger Unterschied zum realen Leben – algorithmisch gewichtet werden. Letzteres schafft dann ein extremes Zerrbild unserer virtuellen Person gegen über unserem gewünschten Eigenbild. Sicher stimmt unser Eigenbild in der Realität auch selten mit unserem Fremdbild gänzlich überein. Doch bei ausreichender selbstkritischer Haltung und kritischer Reflexion kann man meist auch sein Fremdbild noch akzeptieren.

Doch im Netz erhält ein Bild von mir mit einer Maß in der Hand auf dem Oktoberfest eine weit höhere Gewichtung als dieser Blogbeitrag. Die Häufigkeit des eigenen Namens oder die Belegung des Namens durch Prominente (bei mir z. B. der verstorbene Schriftsteller) erschwert die Auffindbarkeit und schmälert die Netzbedeutung der Person. Die quantitative berufliche Vernetzung ist im Netz weit aus relevanter als die qualitativen engen Beziehungen zu Freunden, Verwandten und Nachbarn. Doch dieses so gewichtete Alter Ego im Netz gewinnt mehr und mehr an Bedeutung.

Wer ist nicht versucht, die neue Bekanntschaft in der Bar gleich mal zu googlen. Ein Personaler, der einen möglichen Bewerber nicht googelt, wird man grobe Fahrlässigkeit vorwerfen, wenn sich später Dinge offenbaren, die man schon im Netz hätte finden können. Mitarbeiter und neue Kollegen googlen gleich mal, was sich über die oder den Neuen so erfahren lässt. Die Eltern überprüfen im Netz zur Sicherheit mal die Profile des neuen Freundes oder der neuen Freundin ihrer Kinder. Und gleich wird dann noch schnell geschaut, was die Eltern so machen. Die Versicherungen scannen kurz mal Deine Online-Aktivitäten und errechnen ein individuelles Risikoprofil mit Hilfe eines Algorithmus, der u. a. die Anzahl Deiner fröhlichen Trinkbilder, die tollen Skivideos Abseits der Pisten und die drei stolz geposteten Radarfallenbilder gewichtet hat.

Im realen Leben gewichten wir, wem wir unsere Geselligkeit und Eskapaden anvertrauen, wem wir unsere sportlichen Aktivitäten wie verkaufen und wem wir unsere kleinen Sünden gestehen. Und im realen Leben haben wir eine regulierende Instanz in unserem Gegenüber: Menschen, zumindest die uns wohlwollenden, die über ein gewisses Maß an Empathie verfügen. Sie spüren, was uns unangenehm ist oder wird, wenn man nachhakt. Sie spüren, wenn der Witz über uns irgendwann nicht mehr witzig ist.

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Privates Bild auf der Seite von Ruprecht.de

 

Empathie: dem Netz fehlt diese sehr wesentliche menschliche Eigenschaft, die einen großen Anteil daran hat, dass wir mitfühlen, Rücksicht nehmen und miteinander auskommen können. Denn diese menschliche Eigenschaft reguliert üblicherweise, was sich Menschen in der Gesellschaft untereinander Gutes tun und Unangenehmes zumuten können. Und das wird nie ein Algorithmus im Netz leisten können.

Es bleibt also nur zu hoffen, dass wir auch online lernen ethische Normen zu achten und dass wir gesetzliche Regularien finden, die uns noch ein ausreichendes Maß an Selbstbestimmung im Netz ermöglichen.

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Eure Dummheit macht uns das Netz kaputt

10.GLÜCKAUFFEST WIRKLICHKEIT

Foto: Steffen Rasche

Das hat er uns ja echt leicht gemacht, der designierte EU-Digitalkommissar Günther Oettinger. Man, der kann ja nicht mal das Netz von einer Cloud unterscheiden. Selber blöd, wer Nacktbilder ins Netz stellt, hat er gesagt. Dabei waren die Promis doch gar nicht blöd, die haben sie doch nur auf ihre Cloud von Apple geladen. Und da sind gemeine Hacker eingebrochen und haben sie gestohlen und dann öffentlich gemacht. Ja, Herr Oettinger, das war schon dumm.

Doch dumm auch, wer jetzt mit Häme kontert und dabei den Eindruck vermittelt, die Cloud sei nicht das Netz. Oettingers Naivität und Unwissenheit bringt es letztlich klarer auf den Punkt als es der Netzelite lieb ist. Denn die Cloud ist ebenso Netz wie jeder Account, den ich vorgeblich nach meinen Kriterien an Privatheit einrichten kann.

Bildschirmfoto 2014-09-30 um 23.18.52Dumm, wer vor NSA & Co. glaubte, dass diese Daten vor unbefugten Dritten sicher seien. Dümmer, wer es danach noch immer glaubt, dass es irgendwann, irgendwas geben wird, dass uns mehr Sicherheit gibt. Und am aller dümmsten sind die, die aus Naivität, Lüsternheit, Neid, Gehässigkeit und, und, und den gesamten Schund im Netz liken und teilen und mit ihren dämlichen Häme-Postings und Troll-Kommentaren immer wieder Diskussionsstoff über unselige Shitstorms und Promi-Bashings geben. Und ebenso blöd sind die, die sich im Netz nur als Voyeure betätigen und dann bei passender Talkshow Gelegenheit immer nur erschüttert über eitle Selfie-Kultur, Mobbing-Tragödien und Fotos und Videos zum Fremdschämen berichten.

Ja, es gibt jede Menge Trash im Netz, der uns beschämt, blamiert und uns die Dämlichkeit unsere Gesellschaft beweist. Einer Gesellschaft, in der wir alle ein aktiver Teil sind. Doch ist das der Grund, weshalb wir uns im Netz bewegen? Lernen wir doch endlich selbst einmal, das richtige Maß beim Liken, Kommentieren und Teilen zu finden. Dass wir überwiegend Katzenfotos, Selfies, zotige Kalauer und alberne Videos in unserer Timeline sehen, liegt nicht nur an denen, die sie einstellen, sondern an unserer aller Schwarmdummheit, die sie hypt.

Wenn wir mehr Schwarmintelligenz beweisen würden, bräuchten wir auch weniger Sorge über Dummheiten von EU-Digitalkommissare haben. Also, strengt Euch an und erstellt interessante Inhalte und verkneift Euch den hundertelften Like für ein Selfie aus einer Prominacht, das Teilen von blamablen Videos und Promifotos und den hämischen Post über des „Kaisers neue Kleider“.