Kultur und Politik – Einst eine leidenschaftliche Beziehung, dann Jahre der Entfremdung und jetzt ein Rosenkrieg

Man erzählt sich, dass viele Paartherapien mit der Frage eröffnet werden, ob man sich denn noch küsse. Fehlende Küsse seien ein gewichtiges Indiz über die Zerrüttung einer Beziehung. Analog dazu habe ich mich vor kurzem gefragt, wann sich Kultur und Politik – in Deutschland – das letzte Mal öffentlich geküsst haben, nicht unbedingt leidenschaftlich, doch zumindest mal zaghaft. Mir viel keine Erinnerung ein. Im Gegenteil: Kultur und Politik leben meinem Eindruck nach deutlich getrennt und offenbar völlig entfremdet. 

Die deutsche Begegnung von Kultur und Politik: Angela Merkel in Bayreuth

Merkel in Bayreuth ist das einzige Bild, das mir seit fast zwei Jahrzehnten als mediales Highlight von Kultur und Politik eingebrannt wurde. Ansonsten fällt mir aktuell keine einzige Politikerin oder Politiker ein, dessen kulturelle Vorlieben ich kenne. Weder weiß ich, was sie lesen, noch was sie gerne hören oder sehen, geschweige, ob sie sich kulturell engagieren und Kontakte in Kulturkreise pflegen. Das gilt selbst für Robert Habeck.

Meine Wahrnehmung ist boomer-subjektiv und ich möchte sie gerne widerlegt bekommen. Meine ersten knapp 40 Lebensjahre verlebte ich in Frankfurt am Main, dort geboren 1961. Ende der 70er bis Anfang der 90er war diese Stadt eine Hochburg der Beziehungsexperimente zwischen Kultur und Politik. In den 80er waren es sogar einige Ménage à trois von Kultur, Politik und Wirtschaft. Das verdankte sich damals nicht nur einem bundesrepublikanischen Zeitgeist, sondern auch einem Mann, der diesen Geist kongenial verkörperte und zu gestalten verstand: Hilmar Hoffmann. Noch heute bin ich ein Evangelist und Verehrer seiner Kulturpolitik „Kultur für alle“, die er sogar als SPD Kulturdezernent unter einer Walter Wallmann CDU Regierung lange Jahre weiter vorantreiben durfte. Mit so großem Erfolg, dass sein Schaffen weltweit großes Ansehen erhielt. Frankfurt profitiert meines Erachtens noch heute davon.

Seit der deutschen Einheit entfremden sich Kultur und Politik

Ich studierte in den 80er Germanistik, Theater-, Film-, Fernsehwissenschaften und Betriebswirtschaft, mit dem Ziel Kulturmanagement zu betreiben. Doch schon Ende der 80er deutete sich an, dass die leidenschaftlichen Beziehungen zwischen Kultur und Politik (und Wirtschaft) erkalteten. Hilmar Hoffmann war dann in den 90er bald Geschichte, mein Berufswunsch „Kulturmanagement“ begrub ich zugunsten eines attraktiven Jobs in der Werbung und Deutschland wurde wiedervereint, so dass man sich auf ganz andere Dinge zu konzentrieren begann.

Aus „Kultur für alle“ wurde „Kultur ist alles“.

Es ist hier nicht der Raum, um die ewige Debatte „Was ist Kultur?“ zu referieren. Die wird in stoischer Regelmäßigkeit in den deutschen Feuilletons aufgegriffen – wenn halt auch immer unbedeutender. Dennoch unterstelle ich, dass mit dem Zeitpunkt der Wiedervereinigung ein Credo überhandnahm, welches letztlich die Entfremdung von Kultur und Politik verstärkte. 

Aus dem ambitionierten „Kultur für alle“ wurde ein von allem befreiendes Diktum „Kultur ist alles“. Das gefiel den Schaffenden, die es offenbar müde waren, sich ständig über ihre gesellschaftspolitische Relevanz hinterfragen zu müssen. Man brauchte mal eine Auszeit von der Maloche für alle und zog es vor, Urlaub im eigenen Ich zu nehmen.  

Und auch die Politik war dankbar. Denn der Kulturbegriff wurde auf diese Weise derart durchweicht, dass er für alles herhalten kann und sich damit kultur- und gesellschaftspolitisch überhaupt nicht mehr positionieren muss. Weiterlesen

Ich wähle diesmal! Obwohl ich mir mehr Demokratie wünsche.

Gegen-Wahlen

Diesen Beitrag schrieb ich 2017 vor der anstehenden Bundestagswahl. Ich habe ihn jetzt nach vier Jahren wieder gelesen und fühle mich bestätigt, dass er an Aktualität nichts verloren hat. Doch damals lautet meine Überschrift:

Ich wähle diesmal nicht! Weil ich mir mehr Demokratie wünsche.

2017 schrieb ich: „Seit einiger Zeit festigt sich mein Entschluss, meine Wahlfreiheit auszuüben und im September nicht zu wählen. Ich schließe mich damit der wachsenden Gruppe der Nichtwähler an. Nein, es ist nicht wachsende Politikverdrossenheit. Im Gegenteil. Je intensiver ich mich politischen Themen widme, desto stärker wächst mein Unbehagen über das Wahlspektrum und die Suche danach, wie ich mir eine deutlich repräsentativere Demokratie wünsche.“

Heute bin ich zwar nicht mehr fest entschlossen, nicht zu wählen, jedoch weiterhin überzeugt, dass man Nichtwählen in einer parlamentarischen Demokratie, die ausschließlich durch Parteien repräsentiert wird, bewusst abstraft, um diesen Parteienproporz aufrecht zu erhalten. Und auch wenn das Don Quijoterie ist, werfe ich diesen Beitrag nochmals in die Arena. Die kleine Hoffnung ist, dass sich mehr Menschen politisch selbst aufklären und sich bewusst machen, dass wir derzeit in einer Bequemlichkeits-Demokratie leben, in der die meisten nur einen Verwaltungsapparat wählen, in der Hoffnung einigermaßen in Ruhe ihr privates Dasein leben zu können.

Wer jedoch wirklich Teilhabe aller Bürger:innen am politischen Gestalten wünscht, wer mehr Diversität und Repräsentation aller Bürger:innen im Parlament haben möchte, der kann mit dem bestehenden Wahlprinzip nicht zufrieden sein.

Als ich vor vier Jahren meine Entscheidung bekundete, nicht zu wählen, waren die Reaktionen – oder soll man besser sagen: die Reflexe – erwartungsgemäß. Von seufzender Zustimmung bis hin zu „Find ich scheiße.“ oder „Nichtwähler sind die, die uns eines Tages in die Scheiße reiten.

Sonderlich konstruktiv waren die meisten Kommentare nicht. Vielmehr bestätigten sie ein traditionell gewachsenes Phänomen, das David Van Reybrouk, belgischer Historiker und Autor, in seinem Buch „Gegen Wahlen“ als Wahl-Fundamentalismus bezeichnet.

„Wahlfundamentalismus ist der unerschütterliche Glaube, dass keine Demokratie ohne Wahlen denkbar ist, dass Wahlen die notwendige, konstitutive Bedingung sind, um von einer Demokratie sprechen zu können.“

Wobei hier die Wahlen von Volksvertretern zu verstehen sind, nicht die Abstimmung über politische Entscheidungen. Letztere sind selbstverständlich wesentlicher Bestandteil einer Demokratie.

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Über die wilden Jahre der Liberalen: Der Baum und der Hirsch

Buchtitel

Es ist eine Blamage, beschämend für uns: wenn es um die engagierte Verteidigung unserer verfassungsmäßig verbrieften Freiheitsrechte geht, müssen wir uns seit Jahrzehnten immer wieder bei einem unbeugsamen und manchmal schon verlachten Kämpfer bedanken: dem 83jährigen Gerhart Baum. Nicht zum ersten und womöglich nicht zum letzten Mal hat er vor kurzem wieder einen Sieg für uns Bürger vor dem Verfassungsgericht errungen. Der Freibrief zur Observation, wie ihn das unklar formulierte BKA-Gesetz bislang erteilte, ist nicht rechtens und muss geändert werden. Wieder hat der frühere FDP-Minister (zusammen mit seinem langjährigen Weggefährten Burkhard Hirsch, beide Juristen) erfolgreich geklagt und ein schludriges Gesetz zu Fall gebracht wie schon zuvor – zumindest in Teilen – den „Großen Lauschangriff“, das „Luftsicherheitsgesetz“ und die „Vorratsdatenspeicherung„.

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Kann man mit Juli Zeh Spaß haben?

JuliZeh

Dank an Klappentexterin, die ein Interview mit Juli Zeh 2012 machte und diese Bild auf ihrem Blog veröffentlichte. Zum Interview einfach auf das Bild klicken.

Um vorab kein Missverständnis aufkommen zu lassen: ich kenne Juli Zeh persönlich nicht. Doch die Frage kam mir einfach in den Sinn, nachdem ich ihre aktuelle Sammlung an Essays und Vorträgen in „Nachts sind das Tiere“ gelesen hatte und mich der vielen Kommentare auf ihre Kolumnen sowie kritischen Artikel über sie erinnerte.

„Juli Zehs Besserwissertum erinnert an das der alten Männer à la Grass und Walser. Nur dass die bessere Literatur schreiben. (Ob das zur Duellaufforderung reicht? Oder sind Leserbriefschreiber nicht satisfaktionsfähig?)“ schrieb z. B. Gregor Keuschnig unter einem Artikel von Volker Weidermann. Volker Weidermann zitiert Juli Zeh in seinem Artikel, dass sie es bedauere, bösartige Kritiker nicht mehr zur Satisfaktion fordern zu können:

„Ich bedaure wirklich, dass es die Möglichkeit des Duells seit 100 Jahren nicht mehr gibt. Ich würde da gerne anrufen und sagen: ,Ich treffe Sie morgen früh um fünf auf einer nebligen Lichtung. Die Wahl der Waffen liegt bei Ihnen.“

Oha! Also als Kritiker ist mit ihr nicht zu spaßen. Nun, ich bin ja nur ein Leser und Zuhörer, der ihre Klugheit sehr schätzt. Aber auch unter denen gibt es entschiedene Zeh-Verweigerer, ja heute muss man schon Neudeutsch „Hater“ schreiben, z. B. Johann Otto in einem Kommentar in der FAZ„Politisch mit enormem Linksdrall versehen, immer mal wieder rechthaberisch im Fernsehen zu vernehmen, und in allem, was sie vermutlich am PC so herunterklappert, vor allem enorm öde und langweilig. Eine deutsche Schriftstellerin eben, von der so was einfach erwartet wird: „Im Bundestagswahlkampf 2005 gehörte sie zu den Autoren, die den Aufruf von Günter Grass zur Unterstützung der rot-grünen Koalition unterschrieben haben“ (aus Wikipedia). Große Abneigung!“ Weiterlesen

Notizen zur Selbstbedienung (4)

Notizen zur Selbstbedienung (3)

Notizen zur Selbstbedienung (2)

Notizen zur Selbstbedienung (1)

Studieren? Wie es Euch gefällt, Ihr Waschlappen!

StudentenfutterHey, wo bleibt die Empörung, der Aufschrei über den Titel des aktuellen Buches von Christiane Florin? Eine Dozentin der Politikwissenschaften schreibt im Titel ihres Buches im Jahr 2014 „Studenten“! Hallo! Hat sie noch keine Genderdebatte führen müssen. Das ist ja mal so was von politisch inkorrekt. Das heißt doch „Studierende“. Das ist echt nicht okay. Florin

Dem Wunsch nach mehr Provokation, um eine Debatte ins Rollen zu bringen, will ich mit diesem Einstieg gerecht werden. Den Wunsch äußert die Dozentin und Journalistin Christiane Florin in ihrer aktuellen Bestandsaufnahme „Warum unsere Studenten so angepasst sind“. Doch wird es mir wohl ebenso wenig gelingen, wie ihr, die nun seit gut zwei Jahren versucht, Studierenden der Generation Y aus der Reserve zu locken. Mehr als eine lauwarme, substanzlose Empörungswelle ist heute einfach nicht mehr drin.

Persönlich halte ich mich aus Gender-Diskussionen heraus. Als Mann kann man dabei selten punkten. Christiane Florin ist sich ihres Titel-Fauxpas bewusst. Denn schon sehr früh erklärt sie im Buch, dass sie an der Uni auf ihre „Pauschalvermännlichung kein Widerspruch“ erfuhr. Und so schreibt sie munter im ganzen Buch auch von Studenten. Ich find das okay. Etwas „okay“ zu finden, ist nach Christiane Florin auch derzeit das Nonplusultra der Studierenden. „Okaysein ist das oberste Lernziel.“ „Okay ist das wahre Exzellent.“ schreibt sie und ich „LOL“. Überhaupt ist das Büchlein für einen 61er-Jahrgang wie mich zunächst einmal nur amüsant. Die Autorin nimmt sich und ihr Ansinnen zwar sehr Ernst, doch beschreibt sie es nicht bitterernst. Das machen dann aber die vielen Kommentatoren ihrer Zeitungsbeiträge und Interviews.

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Der aktuelle Artikel zum Buch in der Zeit

Auf knapp 80 Seiten fast Frau Dr. Florin noch einmal unterhaltsam das Unbehagen zusammen, was die Autorin seit Jahren verspürt und erstmals in einem Artikel in der Zeit 2012 „Ihr wollt nicht hören, sondern fühlen.“ öffentlich machte. Da ist zum einen die Rolle als Dozentin, die sie seit Anbeginn des Jahrtausends in Bonn auf der Kathederbühne spielen darf. „Das studentische Publikum erwartet einen Alleinunterhalter, eine Mischung aus Dieter Bohlen und Dieter Nuhr. Klar in den Ansagen wie Bohlen und dabei so nett anpolitisiert wie Nuhr.“ schreibt sie dazu.

Studierende seien heute weit mehr Konsumierende. Es folgen einige literarisch gelungene Spitzen gegen die aktuelle Generation der Studierenden: „Intellektueller wird in dieser Atmosphäre zum Schimpfwort.“ Und „der Satz „Das ist doch Feuilleton!“ gilt darob meinen Studenten als Synonym für übellaunige intellektuelle Selbstbefriedigung.“ Ich wage dies noch zu ergänzen und zu behaupten, dass „Opportunist“ – eine der größten Beleidigungen in meiner Jugend – die heutige Jugend nur noch milde lächelnd an sich abperlen lässt. Diese Einschätzungen aus der Perspektive einer Dozentin der Generation „Babyboomer“ sind ja nicht wirklich überraschend. Sie wurden ja schon Jahre zuvor von den Lehrern gegeben, die diese Generation zum Schulabschluss führte. Überraschend sind vielmehr die Reaktionen darauf. Wer sich die Mühe macht, die hunderte Kommentare zu durchforsten, die auf die Provokationen von Christiane Florins Statements folgen, dem wird dann schon etwas mulmig.

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Zur kurzen Fortbildung Bild klicken.

Von Studierenden gern zitiert wird Florins Hinweis, dass sich fast alle ihre Studenten schwer tun, die Bundeskanzler vollständig in chronologischer Reihenfolge zu benennen. Das sei doch nun in Zeiten von Wikipedia wirklich nicht so relevant, man wolle ja nicht bei „Wer wird Millionär“ mitspielen. Häh? Entschuldigung, aber das sind Politikstudenten, nicht Physik oder Philosophie! Wir reden hier von 8 Kanzlern seit 1949, nicht von allen amerikanischen Präsidenten. Wenn ein Musikstudierender nicht mal wissen mag, ob Brahms auf Beethoven folgte oder umgekehrt, dann sollte er sich schleunigst ein anderes Fach suchen.

Vielleicht liegt in der Generalisierung ihrer Bestandsaufnahme auch Schwäche und Erschütterndes zugleich. Ihre Beobachtungen werden von den Medien und Lesern gerne auf die gesamten Studierenden, ja gar auf die Generation Y verallgemeinert. Doch Christiane Florins Studienobjekte sind „nur“ angehende Geisteswissenschaftler und Journalisten – Journalisten! Und darin liegt wiederum das Erschütternde. Denn sie darf bislang unwidersprochen schreiben: „Ich hatte die Studenten zu Akteuren erklärt, obwohl sie sich als Opfer empfinden.“ und setzt noch drauf: diese Generation „weiß nicht einmal, ob sich eine Haltung überhaupt lohnt.“ Politikstudierende mit dem Berufsbild „Publizist“, die auf solche Provokationen keinen leidenschaftlichen, aber bitte auch substantiellen Widerspruch erheben, sind wirklich eine Waschlappen-Generation. Da hat man sich ja früher in Schülerzeitungen engagierter gezeigt.

Und ich muss dann Christiane Florin recht geben, wenn sie das Gefolge der Piraten-Partei sinnbildlich für ihre Studierenden hernimmt: „Die junge Piraten-Partei gilt schon als politisches Leergut. Aber erst einmal war ihr Aufstieg ein geiles Gefühl, und das ist die Hauptsache.“ Dass alles so „gefühlig“ geworden ist, stößt ihr im Uni-Betrieb am meisten auf. Doch letztlich geht es ihr – wie vielen Generationen-Nörglern – selbstverständlich nicht nur um ihre Studenten. Sie sind ja nur paradigmatisch für einen gesellschaftlichen Wandel, den man bedauern kann oder als wünschenswert feiern. GenerationY-Revolutionaere

„Effizient und smart zu sein – das waren mal Unternehmensziele, heute sind es gesellschaftliche Werte.“ sagt Christiane Florin in einem Interview. Vielleicht hat sie da recht. Denn wenn zugleich neben ihrem Buch sich zwei Autoren zusammentun und ein Buch schreiben, das ernsthaft den Titel führt: „Die heimlichen Revolutionäre. Wie die Generation Y die Welt verändert.“ und dann folgendes über Dozenten wie Christiane Florin und die heutigen Studierenden in einem Artikel äußern, muss man ihr wohl recht geben:

„Lehrer, Ausbilder und auch die Dozenten an den Hochschulen werden immer mehr zu Beratern und Supervisoren. Die Ergebnisse werden von den Studenten in Teamarbeit erstellt, der Dozent hat eine Rolle als Coach. Wie schwierig es ist, diese Rolle zu finden, hat jüngst die Dozentin Christiane Florin in ihrem Bildungsessay „Warum unsere Studenten so angepasst sind“ demonstriert… Sie beklagt die fehlende Streitkultur an Hochschulen und wiederholt die üblichen Klischees. Die Mehrheit der Studenten sei brav und pragmatisch, wünsche sich klare Ansagen statt Dialog auf Augenhöhe. Florin täuscht sich, sie hängt einer traditionellen Dozentenrolle an, hat nicht erkannt, was die Studierenden wirklich wollen: Ergebnisorientiert, spielerisch und mit regelmäßigen Rückmeldungen zum erreichten Stand selbstständig arbeiten.“ schreiben Klaus Hurrelmann und Erik Albrecht in einem Artikel des Tagesspiegels. Herr Hurrelmann, Herr Albrecht, wenn dies die mehrheitliche Haltung der Studierenden von heute ist, dann bitte führt endlich gnadenlos horrende Studiengebühren ein. Jeder soll dann ein zinsloses Darlehn dafür bekommen, aber bitte später auch ordentlich zurückzahlen.

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Der aktuelle Artikel in der Zeit zu Klaus Hurrelmanns Buch

Als Student zählte ich zur „Null-Bock-Generation“. Ich hab mich dagegen nicht mit weinerlichen Kommentaren gewehrt und meiner Elterngeneration den Vorwurf gemacht, sie habe mich nun mal so erzogen. Ich habe es zähneknirschend erst mal zur Kenntnis genommen. Ich hab meine lange Zeit des Studiums sehr genossen, doch nicht das Studium. Ich wusste auch wirklich lange nicht, was ich eigentlich will. Denn „Freiheit macht Stress.“ schreibt Christiane Florin und trifft damit den Nagel auf den Kopf. Mit den vielen Optionen klar zu kommen und Entscheiden lernen, das war die größte Herausforderung meiner Studienzeit. Doch so eine dämliche Beschreibung meines Berufszieles wie Christiane Florin ihre Studenten zitiert „Irgendwas-mit-Marketing“, „Irgendwas-mit-Management“ oder „Irgendwas-mit-Medien“ wäre mir zu keinem Zeitpunkt über die Lippen gekommen.

Am Ende ihrer Bestandsaufnahme macht Christiane Florin noch eine Bemerkung, die alle aufhorchen lassen sollte, die aktuell journalistisch tätig sind oder immer noch gerne werden möchten: „Dass mit einem geistvollen Text weniger Geld zu verdienen ist als mit einer Zahnfleischbehandlung ist bekannt. Neu ist jedoch, dass die künftigen Denker (und Textverfasser Anm. von mir) die Degradierung von Gedanken zum Content widerspruchslos mitmachen.“

Doch so berechtigt Frau Dr. Florin diese fatalistische Hinnahme in der Medienbranche kritisiert muss sie sich auch selbst fragen, was macht sie eigentlich noch da an der Uni. Denn an dem offenbar frustrierenden Uni-Alltag, den sie uns so amüsant zartbitter beschrieben hat, konnte sie seit Jahren nichts verbessern. Angelsachsen würden ihr dann nur knapp zurufen: Love it, change it or leave it. Nach fast 14 Jahren unbefriedigender Tätigkeit, wäre es doch wirklich an der Zeit, es zu lassen.

Aber ich will nicht das letzte Wort in der Sache haben, da ich mich dem Eindruck nicht erwehren kann, dass Christiane Florin noch immer hofft. Deshalb hier nun zum Schluss ihr schöner Appell: „Angesichts dieser Bildungskonsumenten wird der Grat vom Lehr- zum Leerauftrag schmal: ich vermisse in den Seminaren nicht die Axt, sondern das Argument. Ich vermisse nicht die Ideologien, sondern die Ideen. Ich vermisse nicht die Meinungsstärke, sondern die Urteilskraft.“

Nachtrag am 13. November: recht amüsant, wenn gesellschaftskritische Vorurteile auf harte Faktenrealität treffen:

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Quelle: Spiegel

Wozu noch liberal?

Bild„Wer Freiheit zugunsten der Sicherheit opfert, hat beides nicht verdient.“ (Frei übersetzt nach Benjamin Franklin.) Der Tenor dieses mehr denn je aktuellen Zitates durchzieht auch Gerhard Baums politische Bilanz. Denn offenkundig überwiegt in unserer Gesellschaft eine Sicherheitshysterie, die Stück für Stück hart erkämpfte Freiheiten opfert. Offensichtlich glauben viele, Sicherheit wäre ein Grundrecht wie die Freiheit und verkennen, dass Freiheit nun mal auch Unsicherheit in sich birgt.

Gerhard Baum gehört zu den schon fast vergessenen Vertretern einer linksliberalen FDP, die sich in einer Koalition mit einer ebenso vergangenen Brandt/Schmidt-SPD um freiheitliches Denken und liberaler Gesellschaft in der Bundesrepublik verdient machte. Als Babyboomer, Jahrgang 1961, profitierte ich und viele meiner Generation von dieser linksliberalen Wende in der Politik. In meiner Schulzeit traf ich auf viele junge LehrerInnen, die uns Schüler gerne politisiert und aufgeklärt hätten. Im Rückblick heute erinnern wir uns jedoch leider mehr an Oswald Kolle als an Kant. Die geistige Aufklärung blieb im Schatten der sexuellen. Hier mag schon ein Grund liegen, warum meine Generation nicht auf die Barrikaden gegen G8 und die Bologna-Reform geht, die man unseren Kindern zumutet.

BildAls Kind eines linksbürgerlichen Milieus waren mir die Liberalen in den Siebzigern des vergangenen Jahrhunderts leicht suspekt. Selbst Vertreter wie Baum, Genscher und Hamm-Brücher waren mir zu konservativ. Ideologien statt Ideale waren mein Credo. Das hat sich geändert wie man gerne prophezeit: Wer mit 20 kein Revolutionär ist, hat kein Herz. Wer es mit 40 immer noch ist, kein Verstand. Heute erkenne ich in Gerhard Baum einen engagierten Idealisten, der pragmatisch, aber nicht opportunistisch Politik betrieben hat.

Ich erlebe einen Achtzigjährigen bei seiner Buchpräsentation, vor dem ich mich verneige angesichts seiner bewahrten Leidenschaften für Politik, Gesellschaft und Kultur. Ich habe mir sein Buch gerne mitgenommen und es an zwei Abenden gelesen. Es hat mich bewegt und zugleich frustriert. Letzteres, weil es deutlich macht, welchen Wandel die FDP im besonderem und die aktuelle Politikergeneration im allgemeinem gemacht hat: von gesellschaftspolitischen Gestaltern zu opportunistischen Verwaltern einer bürgerlichen Komfortzone.

Und für noch etwas öffnete mir Gerhard Baum die Augen und lässt sie leicht tränen angesichts der Bedeutungslosigkeit, in der die FDP nun versunken ist: „ Widerstände waren immer eine Herausforderung. Ich hatte keine Scheu, Minderheitspositionen zu vertreten und mitunter zu unterliegen. Die liberale Partei, meine Partei, ist immer eine Minderheit in dieser Gesellschaft gewesen. Meine Freunde und ich waren in dieser Minderheit wiederum eine Minderheit – oft allerdings Vertreter eines starken, gestaltungsfähigen Teils der Partei. … (Karl Popper zitierend): Das Ziel ist ein auf Kompromiss beruhendes Fertigwerden mit dem Leben; die Neigung der Deutschen zu romantisch-irrationalen Positionen war mir immer fremd.“

BildFatalismus ist Gerhard Baum ebenso fremd, ja befremdet ihn. Das bekam ich zu spüren als ich ihn bei seiner Buchvorstellung eine Antwort darauf gab, warum sich denn die Mehrheit der Bürger nicht heftiger über die Datenskandale empören. Meine Haltung dazu ist fatalistisch. Das verlorene Vertrauen ist nicht mehr zurückzugewinnen, da die technischen Möglichkeiten rechtlich nicht mehr im Zaum gehalten werden können. Das toleriert er nicht und will weiter dafür kämpfen, dass das Recht und Gesetz über NSA & Co. siegt. Seine Wut ist eben jung. Meine wird zunehmend vom Zynismus verlacht. Doch wie man meiner Rezension entnehmen kann, hallt die Begegnung mit diesem außergewöhnlichen Menschen, Politiker und Kämpfer nach. Und vielleicht verjüngt er letztlich auch mich.

Lisa_HerzogNachtrag: die Beschäftigung mit Freiheit und Liberalität – gesellschaftlich und politisch – hat mich nicht losgelassen. Und mit Lisa Herzogs „Plädoyer für einen zeitgemäßen Liberalismus“ habe ich ein nachfolgendes Buch gefunden, das ich sehr klug und lesenswert fand.