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Spätestens seit Goethe in Faust die Gretchenfrage stellte, sollte sich der aufgeklärte Mensch in einem Moment sein Lebens besinnen: sobald man Kinder erzieht, sollte der Glaube an Gott & Co. im Elternhaus so sensibel thematisiert werden wie der Sex, der über die Missionarsstellung hinausgeht. Als Vater eines siebenjährigen Sohnes bin ich vom Tage seiner Geburt an mit dem Ansinnen konfrontiert, mein Kind doch bitte an unsere christlich geprägte Kultur heranzuführen. Selbst meine Frau, Tochter tiefgläubiger Buddhisten, erwog ernsthaft unser Kind taufen zu lassen und liegt damit – für mich etwas erschreckend – im aktuellen Trend.
Meine Mutter wurde 1961 auch schwach und ließ mich taufen. Im Nachhinein – obwohl ich ihr dies nie zum Vorwurf machte – wurde dies mit einem gewissen Kalkül erklärt. Ein protestantisch getauftes Kind würde wohl in der evangelischen Gemeinde bevorzugt einen Kindergartenplatz bekommen. Ob dem so war, weiß ich nicht. Auf jeden Fall wurde ich aufgenommen, obwohl ich ja doch ein herber Sündenfall war – unehelich gezeugt und auch noch allein, also vaterlos erzogen.
Auch meine Großmutter erhielt womöglich aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit den Segen, ihren Lebensabend in einem konfessionellen Stift verbringen zu dürfen. Dieser Einrichtung danke ich sehr, denn es war – bei aller Einschränkung des Komforts – denn doch eine Unterbringung und Betreuung, die die Würde des Menschen bis zum Siechtum und Tod achtete.

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In meiner Kindheit spielte der praktizierte Glaube in der Familie keine Rolle. Weder meine mich betreuenden Großeltern noch meine Mutter besuchten Gottesdienste. Selbst Weihnachten war für uns kein Anlass die Kirche zu betreten. Glaubensbekenntnisse nicht offenkundig zu machen war wohl auch der Tragik geschuldet, dass mein Urgroßvater Jude war und im KZ-Dachau starb. Dennoch kam ich nicht umhin, mir von klein auf die bekannten Geschichten erzählen zu lassen, die sich aus dem Buch der Bücher ableiten.
Und eben diese Geschichten sind es, die ich heute nicht mehr unreflektiert und kritiklos meinem Sohn zumuten möchte. Denn für „Kinderseelen“ sind sie nichts anderes als konditionierende, stark das Unterbewusste beeinflussende Prägungen. Kinder einseitig religiös zu erziehen ist in einer aufgeklärten Gesellschaft eine unzulässige und sehr bedenkliche Indoktrination kindlicher Psychen.(Nachtrag 26. Nov. 2014: einen klugen Artikel dazu habe ich beim hpd gefunden: Wie ist Religion wissenschaftlich erklärbar?)
Religionen sind in der Erziehung von Kindern verführerische Vereinfachung komplexer Themen wie der Tod, Gut & Böse, Tugenden, Sinnsuche, Schuld & Sühne. Und was uns einmal als Kind von den Eltern und der Gesellschaft fast dogmatisch vermittelt wurde, von dem können wir uns als Erwachsene nur noch schwer wieder befreien. Offen oder latent bewerten und diskriminieren wir später andere Lebensphilosophien und viele entziehen sich ein Leben lang gänzlich der selbstkritischen Befragung ihrer anerzogenen Welt- und Wertevorstellungen.
Denn der Kern des Glaubens – eine mögliche Antwort zur Welterklärung zu geben – überfordert selbst viele Erwachsene (und wie man kürzlich lesen musste, selbst den Erzbischof von Canterbury). Sie bequemen sich in ihrer anerzogenen Hörigkeit, blenden kritische Fragen und unsinnige Dogmen aus und vermitteln somit als Eltern ein unverantwortliches Bild von Obrigkeitshörigkeit. Denn nichts anderes ist es, wenn man seinen Kindern den Glauben an (einen) Gott als notwendiges Manifest einer tugendhaften Gesellschaft mit auf den Weg gibt. Tugendhaft kann eine Gesellschaft auch ohne Gottesglauben sein. Mein Kind soll weder mit dem Intoleranz gebärenden Gefühl der Auserwähltheit noch mit dem Ballast unzeitgemäßer Gebote, Sünden und einem gnädigen Gottesbild aufwachsen.

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Bis vor Schulbeginn waren in unserem Haus Glaubensfragen, die mein Sohn stellte, noch primär von unschuldiger Neugier bewegt. Wir geben uns dann auch die Mühe, ihm zu erklären, dass es auf Fragen, wie „Gibt es einen Gott?“ „Komm ich in den Himmel, wenn ich sterbe?“ oder „Soll ich beten, wenn ich mir etwas wünsche?“ keine eindeutige Antwort gibt, sondern viele unterschiedliche. Hilfreich ist dann schon die Tatsache, dass seine Großeltern Buddhisten sind, seine Tante gläubige Katholikin und sein Papa ein gänzlich unreligiöser Mensch. Doch mit Schulbeginn bekam die Glaubensfrage erstmals einen leichten Unterton der Angst vor Diskriminierung:
„Papa, warum bin ich eigentlich ein Ethik-Kind?“
„Papa, warum bin ich nicht getauft?“
Mit kurzem Schrecken erinnerte ich mich an meine über 40 Jahre zurückliegende Grundschulzeit und die erste Irritation, als ein paar wenige Klassenkameraden nicht am Religionsunterricht teilnahmen. Ich bin Ende der 60er eingeschult worden. Damals war konfessionslos oder andersgläubig zu sein in einer „Großstadt“ wie Frankfurt kein dramatischer Makel mehr, aber es war doch ein erster Moment des Bewusstwerdens, dass manche Kinder anders sind, obwohl sie nicht anders aussehen.

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Da ich protestantisch getauft wurde, konnte ich mich – mit Ausnahme des Religionsunterrichts – vor intensiveren religiösen Vereinnahmungen in Kinderjahren selbst bewahren. Denn der große Aufschlag der Kirchen, Kinderseelen in frühen Jahren mit religiösem, später kaum noch ablegbarem Ballast zu versehen, erfolgt in der evangelischen Kirche erst mit dem vierzehnten Lebensjahr – bei mir war das dann zu spät. Nachdem mir viele meiner Freunde einzig begeistert von der enormen Aussicht an Geschenken von ihrer anstehenden Konfirmation erzählten, regte sich bei mir eine gewisse Skepsis. Und als ich dann meiner Mutter eröffnete, ich würde erwägen mich konfirmieren zu lassen, gab sie intuitiv eine für mich entscheidende Antwort: „Das überlasse ich Dir, aber bitte komme nicht auf die Idee, mich dann Sonntag für den Kirchgang zu wecken.“ Das reichte mir damals, um die Antwort auf die Frage, an wen und was ich glauben möchte, zu verschieben. Mit Schrecken musste ich beispielsweise später entdecken, dass die evangelische Kirche auf von einem der größten Antisemiten begründet wurde: Martin Luther.
Ich verurteile nicht den Glauben und bin auch kein Missionar des Atheismus. Ich respektiere jede Lebensphilosophie, die ein wertschätzendes, achtsames und gesellschaftlich verantwortliches Miteinander ermöglicht. Ich mache auch keine Glaubensbekenntnisse verantwortlich für Kriege, sondern nur die Menschen, die ihren Glauben vorschützen, um ihre Verachtung anders Denkender zu legitimieren.
Aber ich plädiere (siehe auch Parvin Sadigh Kommentar in der Zeit) inständig für eine vollständige Säkularisierung unserer Gesellschaft und dafür, in Glaubensfragen unsere Kinder nicht mehr zu bevormunden. Eine Gesellschaft, die es mit der von Kant einstmals eingeleiteten Aufklärung wirklich ernst meint, muss ständig bestrebt sein, jegliche Indoktrination ihrer Kinder zu verhindern.