
(c) Photograph by Erich Lessing
Üblicherweise ziehe ich bei Sachbüchern, die sich mit gesellschaftlichen Phänomenen beschäftigen, heute die eBook-Form vor. Denn deren Halbwertzeit liegt selten über 5 Jahre. Soziologen werden selten zu Longseller-Autoren. Eine große Ausnahme bildet Erich Fromm. Die oft zitierten Werke „Haben oder Sein“ und „Die Kunst des Liebens“ finden in jeder Generation interessierte Leser. Fromm erlag offenbar nicht so leicht der Zeitgeist Interpretation, sondern schürfte tiefer und fand zeitlosere soziophilosophische Themen, die ihre Relevanz bis heute behalten.
Mit der jugendlichen Vorprägung der oben genannten Werke, die ich vor ca. 30 Jahren gelesen hatte, bekam ich nun die Empfehlung zu seinem Erstling „Die Furcht vor der Freiheit“. Gerhard Baum, ehemaliger FDP-Minister in der linksliberalen Koalition Ende der siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts, verweist darauf in seiner politischen Biografie. Es sei sehr erhellend für ihn gewesen und erkläre das bis heute unverändert ambivalente Verhältnis des Menschen zur Freiheit. Dem kann ich nach der Lektüre nur ganz und gar zustimmen. Dieses Buch werde ich nun zum Kanon meiner soziologischen Literatur zählen.
Geschrieben hat es Erich Fromm 1941 vor dem Hintergrund des sich erfolgreich ausbreitenden Faschismus und der Naziideologie, deren Zusammenbruch zu diesem Zeitpunkt sicher noch nicht absehbar war. Es ist beeindruckend, wie nüchtern, lesbar und fundamental er das Thema Freiheit und Gesellschaft analysiert und zunächst mit einer sehr plausiblen Entwicklungsgeschichte beginnend im späten Mittelalter in das Thema einführt.
Sicher ist sein Blick eurozentristisch und klammert fernöstliche gesellschaftliche Phänomene ebenso aus wie islamisch geprägte. Doch tut dies dem Erkenntnisgewinn erst mal kein Abbruch. Man darf sicher auch nicht eine erschöpfende Abhandlung erwarten. Der Leser erhält ein essayistisch formuliertes und plausibel interpretiertes Ergebnis einer gesellschaftlichen Analyse. Die gesellschaftspolitischen Ableitungen und Empfehlungen, die Erich Fromm daraus macht, nehmen keinen breiten, dogmatischen oder ideologischen Raum ein. Sicher tendiert er politisch deutlich links und spricht am Ende gerne vom Ideal der sozialistischen Demokratie.

Seit langem habe ich in einem Buch nicht mehr so häufig markiert, unterstrichen und Anmerkungen gemacht, wie in diesem. Die wesentliche Erkenntnis, die Erich Fromm vermittelt, ist weiterhin hochaktuell: das „Doppelgesicht“ der Freiheit. So wünschen wir uns zwar Freiheit in allen gesellschaftlichen Belangen, jedoch bedingt dies auch immer wachsende Unsicherheit. Weniger Staat, weniger Macht, weniger Regeln bedeuten auch weniger Absicherung, mehr Eigenverantwortung und Unklarheiten. Aktuell erleben wir eine Gesellschaft, in der immer mehr Menschen bereit sind, Freiheiten zugunsten einer komfortablen Sicherheits- und Komfortzone aufzugeben.
Die Furcht vor der Freiheit ist weiterhin aktuell. Wir alle müssen lernen, Freiheit auch mit beschränkter Haftung zu wollen. Um sich dafür zu rüsten, lohnt der Einstieg ins Thema über Erich Fromm und aktuell auch der Beitrag von Lisa Herzog „Freiheit gehört nicht nur den Reichen.“.
Einen etwas anderen, aber interessanten Blick auf das Buch fand ich im Blog „Der Pudels Kern“ hier.