Lange habe ich gezögert, diesen Beitrag zu schreiben. Aus zweierlei Gründen. Zum einen hat das Thema „Diversität“ eine sehr eindimensionale Tendenz bekommen. Dagegen anzuschreiben ist schwer. Das Thema Diversität ist von marktwirtschaftlicher Begeisterung völlig absorbiert worden. Offensichtlich wird das überall. Doch wirklich kritisch hinschauen mögen die woken Vertreter:innen für mehr Vielfalt nicht. Man feiert lieber ein TV-Format wie GNTM, das sich damit nun vorgeblich neu erfunden hat. Und damit wurde der Hype nach „Diversity“ endgültig im ästhetisch idealisierenden Raum der Medien- und Werbewelten manifestiert.
„More Diversity!“ ist für viele jetzt einfach ein angesagter Trend – ins Bild gerückt mit jungen, attraktiven Leuten, die äußerlich sichtbare ethnische Unterschiede haben, jedoch sozio-kulturell eine sehr homogene, „fashionable“ Gruppe bilden, die die gleichen Interessen hat, ähnliche Haltung einnimmt und einen global einheitlichen Lebensstil pflegt.
Die Werbung ist ja immer auch Seismograf des Zeitgeistes
In diesem Sinne kann die Werbung auch ein erwünschter Verstärker für sozial-politische Veränderungen sein. Aber wir dürfen uns dabei nicht selbsttäuschen: Werbung und Medien konzentrieren sich immer auf die attraktiven und behaglichen Aspekte. Kaum ein TV-Spot oder eine Anzeige kommt heute ohne ethnische Vielfalt aus. Doch es ist eine sehr selektive. Bevorzugt werden junge Asiaten, Südamerikaner und edle Schwarze. Nur sehr selten sind in den Spots Leute zu sehen, die man allgemein dem arabischen Raum zuordnen würde und fast gar keine, denen man einen slawischen Hintergrund zuspräche.
Für mich ist das altbekannt seit über 30 Jahren als Benetton-Generation. Heute stellt das Bild eben nicht mehr nur hippe Konsument:innen dar, sondern – wie in vielen Stellenanzeigen suggeriert – soll dies nun auch die Belegschaft eines Mittelständlers auf der schwäbischen Alb widerspiegeln. Und da fängt es an, mir unbehaglich zu werden.
Mehr Diversität fängt da an, wo die sympathische Buntheit aufhört
Mein zweiter Grund, der mich zögern ließ über Diversität offen nachzudenken, ist die voreingenommene Stereotype auf eine Person wie mich: Ich bin in diesem Jahr 60 geworden, also der Prototyp des „alten weißen Mannes“, eines Vertreters der „Boomer-Generation“, die sich doch bitte aus dem Berufs- und Gesellschaftsleben und dem Diskurs über den Zeitgeist allmählich schweigend zurückziehen sollte. Da meine Erinnerungen an meine Haltung vor gut 30 Jahren gegenüber der Generation 60+ noch sehr präsent sind, weiß ich, dass man gegen diese Voreingenommenheit der Jugend nicht anschreiben kann. Deshalb habe ich lange überlegt, mich dem Zeitgeist zu beugen und zu schweigen. Doch wäre das letztlich unredlich, denn es ist Teil dessen, worum es mir letztlich geht: Das wirklich wünschenswerte Anliegen nach mehr Diversität ist für mich nur dann glaubhaft, wenn es den weitaus größeren Teil an unattraktivem oder unbequemen Anderssein sichtbar macht und die Wertschätzung auch da hinterfragt.
Diversität als Herausforderung liegt ganz weit außerhalb unserer Komfortzone
Wenn ich über die Herausforderungen der Diversität in meinem Berufsleben resümiere, so sind die jetzt im Zentrum stehenden nie die erheblichen gewesen. In der Werbebranche ist ethnische und kulturelle Vielfalt sowie sexuelle Orientierung per se keine Eintritts- oder Karrierehürde – teils sogar das Gegenteil. Und auch die Gleichstellung der Geschlechter ist bei gleicher Bereitschaft, sein Leben der Karriere zu widmen, nahezu gegeben. Auch im Bereich Marketing, den ich in vielen Unternehmen kennengelernt habe und auch selbst einige Jahre in einem Konzern leitete, ist die heute im Vordergrund stehende gewünschte Diversität für mich zeitlebens schon weitgehend gegeben.
Ganz anders sieht es aber bei weniger fashionablen Aspekten der Diversität aus, wie körperliche und geistige Einschränkungen, körperliche Missbildungen, sozio-kulturell schlichte Milieus, religiöse und politische Prägungen, nicht-gradlinige Bildungswege, frühe Elternschaft, psychische Erkrankungen, Introvertiertheit und eben auch hohes Alter. Alle diese Aspekte der Diversität sind mir im Berufsleben auch begegnet, jedoch sehr selten, denn sie waren und sind bis heute fast unüberwindbare Hürden, um in ein attraktives Berufsumfeld zu kommen. Weiterlesen →