Man kann A. O. Scotts „Kritik üben – Die Kunst des feinen Urteils“, übersetzt von Martin Pfeiffer, als Plädoyer für eine professionelle Kritik lesen, als Verteidigung eines Berufsstandes, dem gemeinhin mehr Eitelkeit als Hingabe, Hybris statt differenzierte Erkenntnis zugesprochen wird. Man findet dann allerhand aufklärendes, selbstkritisches und nützliches Wissen über das Wesen des Kritikers und auch der Kritik. Das scheint auch immer mal wieder berechtigt, wenn das Image des selbstgefälligen Nörglers wieder die Oberhand in der öffentlichen Wahrnehmung gewinnt.
Dieses miese Bild des Kritikers, das besonders gerne von denen gepflegt wird, welche die Anstrengung des künstlerischen Schaffens und der daraus resultierenden Früchte der Arbeit verklären, beschreibt A. O. Scott an einer Stelle so:
„Er ruiniert anderen Menschen die Arbeit und verdirbt ihnen den Spaß, wie die Ameise beim Picknick oder der Käfer auf dem Baumwollfeld.“
Man kann jedoch das Buch auch zum Anlass nehmen, um über zwei übergeordnete Dinge zu reflektieren. Zum einen über die Relevanz von Kritik überhaupt. Und zum zweiten über die Verklärung ihres Gegenstandes, also der Kunst und derer, die sie schaffen.
Vielen beleidigten Reaktionen auf schlechte Kritiken oder gar Verrissen geht ein entscheidendes Missverständnis voraus: zu glauben, Kritiker und Künstler behandelten den gleichen Gegenstand und hätten dazu die gleiche Brille auf. Sobald ein künstlerisches Werk die Stätte der Herstellung verlassen hat und sich der Rezeption stellt, gehört es nicht mehr allein dem Künstler. Seine Intentionen sind da nur noch Reflexionen von vielen. Bezüglich der Literatur hat Marcel Reich-Ranicki ein schönes Bonmot formuliert:
„Die meisten Schriftsteller verstehen von der Literatur nicht mehr als die Vögel von der Ornithologie.“ Weiterlesen