Oje, Kritiker! Diese eitle, miesepetrige Zunft.

A.O. Scott Kritik üben

 

Man kann A. O. Scotts „Kritik üben – Die Kunst des feinen Urteils“, übersetzt von Martin Pfeiffer, als Plädoyer für eine professionelle Kritik lesen, als Verteidigung eines Berufsstandes, dem gemeinhin mehr Eitelkeit als Hingabe, Hybris statt differenzierte Erkenntnis zugesprochen wird. Man findet dann allerhand aufklärendes, selbstkritisches und nützliches Wissen über das Wesen des Kritikers und auch der Kritik. Das scheint auch immer mal wieder berechtigt, wenn das Image des selbstgefälligen Nörglers wieder die Oberhand in der öffentlichen Wahrnehmung gewinnt.

Dieses miese Bild des Kritikers, das besonders gerne von denen gepflegt wird, welche die Anstrengung des künstlerischen Schaffens und der daraus resultierenden Früchte der Arbeit verklären, beschreibt A. O. Scott an einer Stelle so:

„Er ruiniert anderen Menschen die Arbeit und verdirbt ihnen den Spaß, wie die Ameise beim Picknick oder der Käfer auf dem Baumwollfeld.“

Man kann jedoch das Buch auch zum Anlass nehmen, um über zwei übergeordnete Dinge zu reflektieren. Zum einen über die Relevanz von Kritik überhaupt. Und zum zweiten über die Verklärung ihres Gegenstandes, also der Kunst und derer, die sie schaffen.

Vielen beleidigten Reaktionen auf schlechte Kritiken oder gar Verrissen geht ein entscheidendes Missverständnis voraus: zu glauben, Kritiker und Künstler behandelten den gleichen Gegenstand und hätten dazu die gleiche Brille auf. Sobald ein künstlerisches Werk die Stätte der Herstellung verlassen hat und sich der Rezeption stellt, gehört es nicht mehr allein dem Künstler. Seine Intentionen sind da nur noch Reflexionen von vielen. Bezüglich der Literatur hat Marcel Reich-Ranicki ein schönes Bonmot formuliert:

„Die meisten Schriftsteller verstehen von der Literatur nicht mehr als die Vögel von der Ornithologie.“ Weiterlesen

Wozu braucht es Verrisse?

Verriss

„Die meisten Bücher, die wir im Quartett hier besprochen haben im Laufe der beinahe 14 Jahre, habe ich von der ersten bis zur letzten Zeile gelesen. In den meisten Fällen war es eine Qual.“

 Marcel Reich-Ranicki

Dazu schreibt Georg Gruber vom Deutschlandfunk:

Er (Marcel Reich-Ranicki, Anm. von mir) war wirklich ein Solitär, …. Nach seinem Tod konnte keiner an seine Stelle treten, der Platz des Literatur- und Kritikerpapstes ist verwaist. Vielleicht ja auch ein gutes Zeichen für eine aufgeklärte Gesellschaft: Die Leser sind wieder zurück geworfen auf sich selbst.“

Was meint das „zurück geworfen auf sich selbst“ angesichts der alljährlichen Masse an Literatur, die uns angeboten wird. Selbst durchbeißen? Hoffen, ganz allein auf die literarische Nadel im Heuhaufen zu treffen? Wo findet sich da eine aufgeklärte Gesellschaft?

Nein, diese abschließende Anmerkung ist wenig durchdacht. Und wenn wirklich ernst gemeint, dann ist sie ein Offenbarungseid für eine Haltung, der man zunehmend in der Gesellschaft begegnet: bloß keinem mit seiner Meinung auf die Füße treten zu wollen. Immer eine Hintertüre offenlassen, falls sich jemand von der wenig begeisterten Kritik oder der höflich vorgetragenen, persönlichen Enttäuschung beleidigt zeigt. Beim Gang durch die Hintertüre ruft heute der „Kritiker“ dann dem Beleidigten zu, dass man sich durchaus seiner Subjektivität bewusst sei und man mit seiner Kritik selbstverständlich niemanden nahelegen wolle, das Buch nicht zu lesen. Jeder soll sich doch bitte selbst ein Urteil bilden. Weiterlesen

„Weil nicht sein kann, was nicht sein darf.“

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Diese geflügelten Worte Christian Morgensterns könnte man immer unseren mehrheitlichen Reaktionen vorstellen, wenn es um die Selbsterkenntnis geht, wie leicht wir zu beeinflussen, zu lenken und zu aktivieren sind. Was bei der Beobachtung der Masse offensichtlich ist, leugnet der Einzelne bei sich selbst gerne ab:

„Die Meinung der Massen ist offensichtlich formbar, … Die Alphabetisierung sollte den gemeinen Bürger dazu befähigen, seine Angelegenheit selbst zu regeln. Durch Lesen und Schreiben sollte sich auch sein Geist so entwickeln, dass er zum Regieren fähig wäre (gemeint ist aktive politische Teilhabe, Anm. von mir.). Aber statt den Geist zu beflügeln, hat ihn die Alphabetisierung dem Einfluss von Prägungen ausgesetzt: Druckerzeugnisse voller Werbeslogans, Leitartikel, wissenschaftlicher Erkenntnisse, den Trivialitäten der Boulevardpresse zusammen mit tradierten Denkmustern. Zum eigenständigen Denken kommt es dabei eher selten.“

schrieb Edward Bernays (1891 – 1995) erstmals 1928 in seinem aufklärerischen Buch „Propaganda“. Der US-Amerikaner ist der geistige Urvater der Public Relations und – nicht ganz zufällig – auch der Neffe von Sigmund Freud. Für dessen Anerkennung in den USA sorgte Bernays auch persönlich. Doch war er nicht nur ein genialer Vordenker der Massenpsychologie, sondern auch ein enorm erfolgreicher Kommunikationsstratege, der zahlreiche Branchenverbände, Konzerne und auch Regierungen beraten hat.

Unter den Büchern, die ich über unsere geistigen Fallstricke und unsere dadurch stark gefährdete, eigene Urteilskraft gelesen habe, erachte ich neben Immanuel Kant, Gustave Le Bon, Erich Fromm und aktuell Daniel Kahnemann auch dieses Werk für ein zeitlos gewichtiges, das zumindest jeder gelesen haben sollte, der sich mit Soziologie, Gesellschaftspolitik, Psychologie, Medienrezeption, Public Relations bzw. Öffentlichkeitsarbeit beschäftigten möchte. Weiterlesen

Der Kapitalismus ist immer in Mode

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Wir wohnen in einem privilegierten Vorort Münchens. Als im vergangenen Jahr ca. 300 Flüchtlingen in der Turnhalle des Gymnasiums untergebracht wurden, spendeten wir – wie viele in unserer Gemeinde – reichlich Kleidung für Jung und Alt. Die Abgabe der Spende haben wir mit einem Besuch der provisorischen Einrichtungen verbunden, auch damit unser neunjähriger Sohn den Menschen dort direkt begegnet. Denn, wie viele Kinder, fremdelte er bei der Vorstellung, mit den Flüchtlingskindern in Kontakt zu kommen. Er war zwar sofort bereit, jede Menge von seinen Sachen zu spenden, doch die Idee, diese persönlich zu übergeben, behagte ihm zunächst nicht. Letztlich überzeugten wir ihn damit, dass wir auch einen Fußball spenden wollten und wir sicher seien, dass es da jede Menge Kinder gäbe, mit denen er dann kicken könne.

Das alles verlief überaus erfolgreich. Denn wie bei Kindern zu erwarten, war mit diesem Ball nach einer Viertelstunde jegliche Hemmschwelle überwunden. Wir blieben über eine Stunde und die Kinder verabredeten sich am Ende zu weiteren Fußball-Treffen im naheliegenden Verein. Als wir dann am Abend zusammensaßen und beim Essen über die Begegnung sprachen, überraschte mich mein Sohn mit einer naiven Feststellung, die damals wohl auch von einigen Erwachsenen geteilt wurde: die Flüchtlinge seien ja gar nicht arm. Auf meine Nachfrage, woran er das festmache, erklärte er: „Ja, die haben doch die gleiche Sachen an wie wir.“ Ich schmunzelte und sagte: „Ja klar, die tragen ja unsere Sachen, die wir gespendet haben.“

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Fünf Sterne für ein Arschgeweih

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Bücher zu besprechen resultiert nicht selten aus der Intention, sich nicht mehr nur zu fragen, was einem gefällt, sondern warum einem ein Buch gefällt. Und dieses „warum“ zu erfassen, es kritisch zu hinterfragen und die Essenz dann auch noch in adäquate Worte zu packen, ist ein anspruchsvolles Unterfangen. An der Mühe und Anstrengung, die wir dafür aufwenden, lässt sich die Ernsthaftigkeit bemessen, mit der wir ein plausibles Urteil finden wollen.

Geschmacksdebatten entzünden sich vordergründig zwar gerne an den Urteilen, doch eigentlich kritisieren wir die unterstellte fehlende Mühe, sich mit dem Gegenstand der Kritik zu beschäftigen. Umso intensiver wir uns einem Gegenstand widmen, desto weniger tolerieren wir unbegründete Geschmacksurteile von anderen. Besonders, wenn es sich um ästhetisch so „komplexe“ Dinge wie Literatur, Musik, Kunst, Architektur und ähnliches handelt, lehnt der Kulturbeflissene jegliches Bewertungssystem ab, das nur simple binäre (Daumen hoch, Daumen runter) oder auch etwas graduellere (5 Sterne) Geschmacksurteile anbietet.

Doch im Leben wird die Mehrzahl tagtäglicher Geschmackurteile überwiegenden von unserem „adaptivem Unterbewussten“ binär getroffen: gefällt oder gefällt nicht. Woher dieses Unterbewusste seine „Kompetenz“ bezieht, ist eine der Kernfragen, denen der US-Journalist und Buchautor Tom Vanderbilt nachgegangen ist. Er hat zahlreiche Antworten erhalten und diese in seinem Buch „Geschmack – Warum wir mögen was wir mögen“ im Stil einer Reportage ebenso amüsant wie interessant vorgestellt.

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Das Buch hat das Zeug dazu, für den „Geschmack“ das zu sein, was für das „Denken“ Kahnemanns „Langsames Denken, schnelles Denken“ ist. Sicher, es ist nicht populärwissenschaftlich, da Tom Vanderbilt keine ausgewiesener Experte ist, doch es bietet mit seinen umfangreichen Recherchen und gesammelten Aussagen von führenden Forschern, Soziologen und Philosophen sowie seinen zahlreichen Anmerkungen in einem fast hundertseitigem Anhang jede Menge Futter zum Einstieg in das Thema.

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Bekannt aus Juli Zehs „Unterleuten“: Interview mit Manfred Gortz, dem Autor des Ratgebers „Dein Erfolg“

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Manfred Gortz, selbsternannter Lebensberater, der die „“Dein-Erfolg-Methode“ begründete mittels derer seine Klienten sicher auf der Gewinnerseite des Lebens agieren. Bekannt wurde er durch einige Zitate seiner Thesen in dem aktuellen Roman „Unterleuten“ von Juli Zeh. Ich hatte vor kurzem die Gelegenheit ihm einige Fragen zu stellen, die er mir überraschend offen und ehrlich beantwortete.

Herr Gortz, Sie werden ja im Roman „Unterleuten“ häufiger aus ihrem Ratgeber zitiert. Freut Sie das eigentlich?

M.G. „Dein Erfolg“ ist kein Ratgeber. Kluge Köpfe brauchen keine Ratgeber. Sie brauchen weder Regeln noch Programme. Es reicht völlig, wenn man ihnen die Wahrheit aufzeigt.“

Und die Wahrheit ist, dass im Leben nur Leistung zählt? Weiterlesen

Greenwash Inc. – da hab ich wohl zu viel erwartet.

FullSizeRenderVielen Dank an den Dumont Verlag für eine persönliche Premiere. Manch einen wird es verwundern, doch dieses Buch ist das erste mir von einem Verlag unaufgefordert zugesandte, über das ich hier im Blog resümiere. Bislang habe ich alle Bücher erworben oder privat geschenkt bekommen, über die ich schreibe. Das war kein Credo von mir, sondern eher eine Hemmung, da mir die alte Schule anerzogen ist, sich für Gefälligkeiten anderer auch erkenntlich zu zeigen. Öffentlich bedankt hatte ich mich dann für den Erhalt über Facebook, auch, weil mir die Promotion um das Buch gut gefiel (siehe Titelbild).

Eigentlich sollte ich es dabei bewenden lassen. Denn mir liegt selten etwas daran, über Bücher und Autoren zu resümieren, die mich weder anregen noch aufregen konnten. In diesem Fall ist es jedoch etwas komplizierter.

Karl Wolfgang Flenders Debüt hätte ich aufgrund der gelungenen Buchgestaltung, seiner Verlagsherkunft, des Klappentextes und des Kollegen-Statements von Jan Brandt ziemlich sicher erworben:

„“Greenwash Inc.“ ist der Roman für alle, die glauben, mit Slowfood und Biokonsum die Welt verbessern zu können. Eat this!“

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