„Weil nicht sein kann, was nicht sein darf.“

bernays

Diese geflügelten Worte Christian Morgensterns könnte man immer unseren mehrheitlichen Reaktionen vorstellen, wenn es um die Selbsterkenntnis geht, wie leicht wir zu beeinflussen, zu lenken und zu aktivieren sind. Was bei der Beobachtung der Masse offensichtlich ist, leugnet der Einzelne bei sich selbst gerne ab:

„Die Meinung der Massen ist offensichtlich formbar, … Die Alphabetisierung sollte den gemeinen Bürger dazu befähigen, seine Angelegenheit selbst zu regeln. Durch Lesen und Schreiben sollte sich auch sein Geist so entwickeln, dass er zum Regieren fähig wäre (gemeint ist aktive politische Teilhabe, Anm. von mir.). Aber statt den Geist zu beflügeln, hat ihn die Alphabetisierung dem Einfluss von Prägungen ausgesetzt: Druckerzeugnisse voller Werbeslogans, Leitartikel, wissenschaftlicher Erkenntnisse, den Trivialitäten der Boulevardpresse zusammen mit tradierten Denkmustern. Zum eigenständigen Denken kommt es dabei eher selten.“

schrieb Edward Bernays (1891 – 1995) erstmals 1928 in seinem aufklärerischen Buch „Propaganda“. Der US-Amerikaner ist der geistige Urvater der Public Relations und – nicht ganz zufällig – auch der Neffe von Sigmund Freud. Für dessen Anerkennung in den USA sorgte Bernays auch persönlich. Doch war er nicht nur ein genialer Vordenker der Massenpsychologie, sondern auch ein enorm erfolgreicher Kommunikationsstratege, der zahlreiche Branchenverbände, Konzerne und auch Regierungen beraten hat.

Unter den Büchern, die ich über unsere geistigen Fallstricke und unsere dadurch stark gefährdete, eigene Urteilskraft gelesen habe, erachte ich neben Immanuel Kant, Gustave Le Bon, Erich Fromm und aktuell Daniel Kahnemann auch dieses Werk für ein zeitlos gewichtiges, das zumindest jeder gelesen haben sollte, der sich mit Soziologie, Gesellschaftspolitik, Psychologie, Medienrezeption, Public Relations bzw. Öffentlichkeitsarbeit beschäftigten möchte.

„Propaganda existiert überall um uns herum, und sie ändert das Bild, das wir uns von der Welt machen. Man mag dies für eine übertrieben pessimistische Einschätzung halten – wobei noch zu beantworten wäre, was so negativ daran ist. Aber es ist eine Tatsche.“ (Edward Bernays 1928)

Aus dem Fundus an Fallbeispielen, die Bernays selbst initiierte, greift er einige überzeugende heraus, um auf gut 100 Seiten seine Thesen zu plausibilisieren. Zuvorderst natürlich die zwingende Notwendigkeit, ein Staatswesen mittels Öffentlichkeitsarbeit zu lenken, wenn es funktionieren soll. Er erkennt darin jedoch keine Zweifel an der Integrität, sofern man sich auf einem ethisch-moralisch festen Grund bewegt. Seine Definition für Propaganda lautet:

„Moderne Propaganda ist das stetige, konsequente Bemühen, Ereignisse zu formen oder zu schaffen mit dem Zweck, die Haltung der Öffentlichkeit zu einem Unternehmen, einer Idee oder einer Gruppe zu beeinflussen.“

Sein Berufsethos beschreibt er als pragmatisch und betont, dass die Öffentlichkeit zu narren oder hinters Licht zu führen die eigene Reputation schnellstens zerstören würde.

Mit dieser „Pragmatik“ betrachtet Edward Bernays auch die politischen Notwendigkeiten in einer Demokratie. Manch einer mag ihm hier gerne machiavellischen Zynismus vorwerfen, doch bis heute ist es keinem politischen System gelungen, ihn zu widerlegen:

„Kein ernsthafte Sozialwissenschaftlicher glaubt noch, dass des Volkes Stimme von besondere Göttlichkeit oder erhabener Weisheit (Schwarmintelligenz, Anm. von mir) beflügelt sei. Vielmehr ist sie Ausdruck des Volksempfindens, welches wiederum von Anführern (gemeint sind Meinungsführern oder heute „Influencer“) gesteuert ist, an die die Menschen glauben, sowie von denjenigen, deren Geschäft die Manipulation der öffentlichen Meinung ist. Die Volksmeinung setzt sich zusammen aus überlieferten Vorurteilen, Symbolen und Klischees und den griffigen Sprüchen, die die Anführer dafür gefunden haben.“

Psycho_MassenHier wird deutlich, welch Geistes Kind Edward Bernays ist. Er ist stark beeinflusst durch Gustave Le Bon, dem Vater der Massenpsychologie, der mit seinem beeindruckend erhellenden Essay „Psychologie der Massen“, der um 1900 erschienen war, die Grundthesen für viele nachfolgenden Gesellschaftsanalytiker, Soziologen, aber auch Demagogen aufgestellt hat. So gelten nicht nur Freud und Camus als bekennende Le Bon-Beeinflusste, sondern auch Hitler. Und Goebbels wiederum soll von Edward Bernays „Propaganda“ begeistert gewesen sein.

Zwingend logisch ergibt sich aus Edward Bernays Ansichten, dass er davon überzeugt war, dass ein Land immer von einer kleinen, oftmals dem Volk gar nicht bekannten, Elite geführt wird. Teil dieser Elite – ganz pragmatisch – sind eben auch PR-Experten. Das ist für ihn grundsätzlich nicht verwerflich, wenn auch sicherlich immer zu bedenken, sprich: wir sollten stets aufmerksam über unsere Eliten und deren Nutzung der Medien wachen.

Was für uns zur Zeit die noch nicht gänzlich durchdrungene manipulative Kraft der interaktiven Medien ist, war für ihn die Macht der elektronischen. Radio, Film und im Ansatz auch schon das Fernsehen. Und es ist unglaublich verblüffend wie sich dennoch die Szenarien gleichen. So wurde damals vom Automobil Hersteller Dodge eine Modell-Einführung erstmals landesweit mittels einer gesponserten Unterhaltungssendung im Radio bekannt gemacht. Innerhalb dieser Musiksendung, die 30 Mio. US-Bürger erreichte, hielt der Präsident des Konzerns eine vierminütige Rede. „…,ohne Zweifel die größte Zuhörerschaft, die je einem Konsumprodukt zur gleichen Zeit ihre Aufmerksamkeit geschenkt hat.“ Heute ist man da natürlich schon ein Schritt weiter. Da berichten die Medien freiwillig weltweit von Apple-Events oder der Enthüllung eines Erlkönigs.

weihnachtsmann

Dem Mythos zum Trotz: Santa Claus ist keine Erfindung von Coca Cola. Aber das ist gute PR.

Doch derart offenkundig werblich plump sind die Kommunikationsstrategien von Edward Bernays nicht. Seine besonderen Fähigkeiten bestanden darin, Wege zu suchen, die sich letztlich vom Konsumenten nicht als Werbung dechiffriert lassen. Ein berühmtes Beispiel wirkt bis heute fort: das American Breakfast. Für einen Schinkenproduzenten, der den Absatz deutlich erhöhen wollte, ersann er die Idee des bis heute weltweit angebotenen „herzhaften Frühstücks“. Der Clou war, dass er diese Idee über einige Ärzte in die Öffentlichkeit brachte. Er lies diese eine Umfrage unter Kollegen machen, ob sie eher ein leichtes oder ein herzhaftes Frühstück empfehlen würden. Der Cholesterinspiegel war da noch unbekannt (Wer hat den eigentlich erfunden? Margarine-Hersteller?) Die Mehrheit plädierte für das herzhafte und das Ergebnis der Umfrage wurde dann landesweit in vielen Medien aufgegriffen und verbreitet. Wir kennen das heute ja zur Genüge, wenn mal wieder vom Wein, Milch, Obstsorten, Tee oder anderen Genussmitteln auch ihre gesundheitlichen Vorzüge gerühmt werden.

Und auch dies kommt uns als Kenner der Promiszene und der Bilder angeblicher Paparazzis bekannt vor:

„Ein Seidenfabrikant auf der Suche nach einem neuen Markt für sein Produkt schlug einem Schuhhersteller vor, Seide in Damenschuhe einzuarbeiten, damit sie zu den Kleidern der Damen passen. Die Idee wurde umgesetzt und systematisch beworben. Eine populäre Schauspielerin wurde überredet, solche Schuhe zu tragen, die Mode breitete sich aus.“

Er nennt viele verblüffende Beispiele, die bis heute praxistauglich sind. Zuletzt sei hier noch die Idee für eine Eisenbahngesellschaft vorgestellt, die einen Börsengang machen will, jedoch wohl ein verschlafenes Image hatte:

„Oder einer Eisenbahngesellschaft rät er, einen Schnellzug anzubieten, das Unternehmen nach diesem Zug zu benennen und so der Aktie auf die Sprünge zu helfen.“

Besonders spannend sind auch die Offenbarungen, die Bernays bezüglich der nachweislichen Einflussnahme mittels Werbeschaltungen auf die qualitative und quantitative Berichterstattung in den Medien macht. Verifiziert wurde das später auch. Dazu schrieb ich hier. Und natürlich die detaillierte Planung von „Homestorys“ für Politiker: „Das Küssen von Babys ergibt nur Sinn, wenn es mit einer wichtigen Leitlinie im Wahlprogramm im Einklang steht.“ Jede Partei ist gut beraten, Leute bei sich sitzen zu haben, die Edward Bernays gelesen und verinnerlicht haben.

Wer jedoch jetzt glaubt, dass Edward Bernays zu den größenwahnsinnigen Kommunikationsprofis zu zählen ist, irrt. Er erachtet die Masse nicht als willenlos, die man einfach in alle Richtungen hin manipulieren könne, sondern einzig als geistig bequem und unreflektiert.

Zur aktuellen Analyse des allgemeinen politischen Klimas und im speziellen zu dem Ergebnis der US-Präsidentenwahl zitiere ich noch zwei abschließende Bemerkungen von Edward Bernays im Buch:

„“Wenn der Abstand zwischen der intellektuellen Klasse und der praktischen Klasse zu groß ist“, sagt der Historiker Henry Thomas Buckle, „dann besitzt die erste keinen Einfluss, und die zweite wird keinen Vorteil davon haben.““

Und

„Durch Propaganda werde die Rolle des Präsidenten der Vereinigten Staaten überhöht und seine Person heroisiert, wenn nicht gar vergöttlicht, ist eine häufig zu hörende Kritik. Das trifft meiner Ansicht nach zu. Aber wie soll man einen Effekt verhindern, der sich offensichtlich mit einer Sehnsucht weiter Bevölkerungsteile deckt? Das amerikanische Volk hat ein ganz richtiges Gespür dafür, welch herausragende Bedeutung dem Präsidentenamt zukommt. Wenn die Menschen im Präsidenten ein heroisches Symbol dieser Macht sehen, dann ist das kein Fehler der Propaganda, sondern es spiegelt einfach das Verhältnis zwischen Amt und Volk wider.“

Bevor ich mich weiter versündige und noch mehr Zitate dieses zeitlos begnadeten Kommunikator ungefragt veröffentliche, komm ich zum Schluss mit einer uneingeschränkten Empfehlung dieses komprimierten, noch immer zeitrelevanten Einstiegs in die strategische Öffentlichkeitsarbeit. Dass es heute endlich auch auf Deutsch vorliegt, verdanken wir nicht nur der sehr zeitgemäßen Übersetzung von Patrick Schnur, sondern auch dem Engagement des Verlags orange-press, der dieses Buch 2007 erstmals auf Deutsch veröffentlichte. Jetzt ist es schon in 7. Auflage erschienen. Und es werden hoffentlich noch einige mehr.

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Bernays selbst eingestandene große PR-Sünde: Frauen zur Zigarette zu verführen. Als „Fackel der Freiheit“ wurde sie Frauenrechtlerinnen als Symbol vermittelt.

4 Gedanken zu “„Weil nicht sein kann, was nicht sein darf.“

  1. Ach, da kommen Erinnerungen auf: an die Vorlesungen von Günter Bentele an der Uni Leipzig, seines Zeichens Professor für ÖA/PR. Obwohl: auf seiner Lektüreliste standen immer seine Werke (sehr viele) an erster Stelle, muss aber wohl am Anfangsbuchstaben seines Nachnamens gelegen haben. Deshalb vielen Dank für den Lesetipp, weil das früher, heute und künftig ein spannendes Thema ist, auch wenn es mir Angst/Beklemmung macht. Viele Grüße und ein schönes, auch lesereiches Fest

  2. Hi Thomas,

    danke für diesen super Artikel. Ich meine zwar, die alltägliche Propaganda ganz gut zu erkennen, aber das Buch kannte ich noch nicht. Wäre eine Idee für unter den Weihnachtsbaum

    Viele Grüße
    Florian

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