Vorsicht ansteckend: Paranoia

Augen

Die Tage der Menschheit sind gezählt. Die digitalen Daten-Geister, die wir riefen, werden wir nicht mehr los. Sie vernichten unsere Privatsphäre, determinieren unsere Schicksale und degradieren uns alsbald zu willenlosen Konsumzombies. Doch bevor es zum Exodus unsere Gedanken- und Willensfreiheit kommt müssen wir noch mächtig leiden – als Opfer unserer maroden Infrastruktur oder als Marionetten im Machtspiel einer mafiosen Elite von Medienmogulen und Oligarchen. Tröstlich nur, dass auch diesen Machtgierigen letztlich irgendwann die Luft zum Atmen ausgeht da der ökologische Supergau schon unabwendbar begonnen hat.

So ließe sich mein aktuelles, literarisch erschüttertes Weltbild zusammenfassen. Um das zu erlangen, bedurfte es nur der Lektüre dreier Bestseller aus dem Genre „Zukunftsthriller“: „Drohnenland“ von Tom Hillenbrand, „Black Out“ von Marc Elsberg und sein aktuelles Werk „Zero“. Alle drei fand ich lesenswert und empfehle ich gerne als Urlaubslektüre.

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Zuerst wurde ich aufmerksam auf „Drohnenland“ von Tom Hillenbrand. Eine konventionelle Krimihandlung (Mord an einem EU-Abgeordneten in Brüssel) mit einem heldentauglichen Europol-Agentenpaar als Hauptfiguren wird hier eingebettet in eine beklemmend fiktive Zukunftskulisse. Auf deren Gestaltung legte der Autor besonders viel Wert. Hillenbrand siedelt die Geschichte ungefähr im Jahr 2050 an. Er denkt sehr faszinierend aktuelle technische Entwicklungen, ökonomische und ökologische Prognosen sowie sich daraus entwickelnde geopolitische Verschiebungen weiter.

Geopolitisch haben sich in „Drohnenland“ die Mächte dahingehend verschoben, dass die USA kaum noch eine Rolle spielt, Europa um seine Bedeutung kämpft, Asien und Russland deutlich an Gewicht gewonnen haben, jedoch die wirtschaftliche Vormachtstellung nun Brasilien innehat. Denn Brasilien hat durch riesige Gezeiten- und Wellenkraftwerke alle anderen Regionen als Energielieferant überflügelt. In Europa profitiert davon am meisten Portugal das viele Brasilianer für sich als attraktiven Lebens- und Investitionsstandort entdecken. Andere Teile Europas hingegen sind Opfer des Klimawandels. Die Niederlande sind fast unbewohnbares Sumpfland, auch Hamburg steht weitgehend unter Wasser und in Brüssel regnet es unentwegt.

Die Bevölkerung in „Drohnenland“ lebt totalüberwacht durch omnipräsente Drohnen und stetig durchforstete Netzwerke. Die Mehrheit hat sich damit arrangiert und lebt in vermeindlicher Sicherheit. Drohnen in allen nur erdenklichen Größen – auch unzählige staubkorngroße Minidrohnen – durchschwirren jeden zugänglichen Raum. Die damit gesammelten Daten ermöglichen es vergangene Geschehnisse wie ein 3-D-Film zu rekonstruieren und aktuelles Geschehen zu spiegeln. Zudem werden all so gewonnen Daten für gesellschaftspolitische und personenbezogene Prognosen herangezogen. Ab einer Wahrscheinlichkeit von mehr als 50% staatsfeindlicher oder gesetzeswidriger Tendenzen wird es kritisch. Besser vorzeitig eliminieren als abwarten ist dann die herrschaftspolitische Devise.

IMG_8288Die latente Angst des Einzelnen sich im Fahndungsraster von Europol zu verfangen bilden den Kern der Paranoia die sich beim Lesen zunehmend entwickelt. Denn auch wer sich völlig harmlos glaubt und verhält, kann aufgrund von Herkunft, Ausbildung, soziales Umfeld und einiger unbedachten Meinungsäußerungen schnell in den Kreis potentiell Verdächtiger geraten. Und auch was heute schon suspekt wirkt, ist in Drohnenland prekär: wer Datenspuren vermeidet, nichts über seine Person preisgibt, keine aktive Netzpräsenz zeigt und gar verschlüsselte korrespondiert, gerät sehr schnell ins Visier der Präventionsermittler.

Für die Fans von Verschwörungstheorien sind solche staatlichen Machenschaften schon heute gang und gäbe und die Enthüllungen von Edward Snowden, dessen Existenz allmählich beängstigend verblast, rührten zu Tränensturzbächen auf ihre Gebetsmühlen. Doch diese Vorahnungen nützen den Netz- und Datenphobikern und Kulturdefätisten nichts. Denn wie Terry Pratchett, der englische Fantasyautor (von dem ich noch nie etwas gelesen habe und das auch nicht ändern mag) schon sehr treffend bemerkte: „Nur weil du paranoid bist, heißt das nicht, dass sie nicht hinter dir her sind.

IMG_0665Dass man gar nicht so weit in die Zukunft fabulieren muss, um paranoide Leser zu erzeugen, veranschaulichen die beiden Romane von Marc Elsberg. Sie spielen in der Gegenwart bzw. in der nahen Zukunft. In der Welt seines jüngsten Romans „Zero“ greift der Autor einzig bei der Verbreitung von Datenbrillen und der Funktion der Gesichtserkennung zeitlich voraus. Beides Techniken, die heute schon in der Betaphase sind. Sie vervollkommnen die technischen Möglichkeiten einer visuellen Totalüberwachung, wie sie schon durch die omnipräsente behördliche Videoüberwachung in Metropolen wie London angedeutet sind.

London ist auch die Heimat der Heldin Cynthia in der Geschichte. Eine alleinerziehende Journalistin, die privat von ihrer digital-native Teenietochter Viola und beruflich von ihrem Chefredakteur und Kollegen widerstrebend und skeptisch in die digitale Welt gedrängt wird. Einzig eine Singlebörse bildet zuvor ihre freiwillige Online-Erfahrung. Durch einen tödlichen Vorfall im Freundeskreis ihrer Tochter wird ihr investigativer Nerv gereizt. Schon bald steht sie im medialen Mittelpunkt eines Polit- und Wirtschaftsthrillers, in dem es um die Enthüllung der enorm manipulativen Macht eines Internetunternehmens namens Freeme geht, das stets das Gute will, jedoch das Böse schafft. Die mächtigen Strippenzieher, die die Enthüllung verhindern wollen, sitzen nicht nur im Management des Konzerns, sondern auch im weißen Haus. Einzig eine anonyme Hackertruppe, die sich „Zero“ nennt und als anarchische Netzaktivisten gegen die Datenkraken rebellieren, wird letztlich zum überlebenswichtigen Verbündeten von Cynthia.

Marc Elsberg versteht es grandios, dem aktuellen Disput zwischen Evangelisten und Skeptikern über die Licht- und Schattenseiten der digitalen Welt neue Nahrung zu geben. Denn er beschreibt ein denkbares Szenario, das die Allmachtfantasien, die sich mit den schon heute existierenden Internetunternehmen verknüpfen, beängstigend fortschreibt. Und dennoch liefert der Roman auch genügend Argumente dafür, dass es aussichtslos ist, die Zeit zurückdrehen zu wollen. Somit ist der Roman zudem ein Plädoyer für mehr Wachsamkeit und Medienkompetenz jedes einzelnen.

IMG_8303Und um dies auch handfest zu unterstützen, hat Marc Elsberg eine sehr empfehlenswerte Internetpräsenz begleitend zum Buch eingerichtet. Er macht uns ganz konkret darauf aufmerksam, was wir so beiläufig alles preisgeben, wenn wir online sind und mit welchen einfachen Mitteln wir uns ein wenig davor schützen können, uns gänzlich ausziehen zu lassen. Doch alle Paranoiker seien noch mal daran erinnert, was ich oben schon angemerkt habe: wer heute beginnt, aktiv seine Datenspuren zu verwischen, seine Netzpräsenz zu anonymisieren oder kryptisch zu kommunizieren, wird bald zu den verdächtigen Subjekten zählen.

Wer nicht zu den Netz- und Datenphobikern zählt und sich von der Paranoia dieser beiden Romane kaum anstecken lässt, der wird dann vielleicht von wachsender Angst bei der Lektüre von Marc Elsbergs Bestseller „Black out“ befallen. Zumindest ich muss gestehen, dass mir nach den knapp 800 Seiten, die ich ziemlich atemlos gelesen habe, jetzt schon mulmig wird, wenn bei uns die Sicherung rausfliegt. Über 900 Rezensionen auf amazon deuten an, dass dieses Buch viele Leser gepackt hat. Fast zwei Drittel sind sehr positiv. Doch auch 50 Verrisse finden sich da, die recht einhellig die fehlende Wirklichkeitsnähe und die Langatmigkeit der Erzählung beklagen. Beides kann ich nicht teilen.

IMG_8295Sicher – wie der Autor selbst im Nachwort schreibt – sind einige Fiktionen der Dramaturgie geschuldet und mögen im realen Ernstfall so nicht eintreten. Doch der Kern der Geschichte bleibt davon unberührt und erschreckend plausibel. Es geht um einen europaweiten, langanhaltenden Stromausfall den terroristische Weltverbesserer verantworten. Deren Ziel ist die Vernichtung der bestehenden Wohlstandsgesellschaft zugunsten einer neuen Weltgemeinschaft, die in Zukunft achtsamer und mehr im Einklang mit der Umwelt leben soll. Dafür nehmen sie bewusst Millionen Opfer in Kauf, auch wenn sie selbst das Ausmaß der Katastrophe – Supergaus von Atomkraftwerken in Europa – nicht gänzlich vorausahnten.

Was „Black out“ so besonders packend macht, ist die völlig realitätsnahe Beschreibung, wie sich innerhalb von nur zwei Wochen unsere Gesellschaft wandelt, wenn sie stromlos ist. Von einer sich anfänglich höchst solidarisch verhaltenden Not-Gemeinschaft wandeln wir uns in eine anarchische, jegliche Moral und Nächstenliebe verlustig gehende, ja mörderische Masse Mensch.

Dass es am Ende doch noch einigermaßen gut ausgeht verdanken wir einem alleinstehenden italienischen IT-Spezialisten der sich als ebenso genialer wie integrer Hacker erweist. Zum Lohn findet er auf seiner dramatischen Odyssee durch Europa auch seine große Liebe. Die Geschichte um diesen Helden wider Willen mag etwas kitschig sein. Doch angesichts der sehr realistisch geschilderten Apokalypse verschafft sie ein wenig Trost in einer ansonsten zwar dramatisch spektakulär geschilderten doch sehr düsteren Vision über den Zusammenbruch unsere Gesellschaft, wenn man ihr mal den Saft abdreht.

IMG_8306Einen aktuellen Kick bekommt dieser Roman durch den kürzlich verbreiteten Bericht der NASA, dass wir 2012 nur knapp an einer weltweiten Katastrophe vorbeigeschrammt sind. Ein enormer Sonnensturm hätte diese verursacht, wenn er unser Erde frontal erreicht hätte. Weltweiter Strom- und Elektronikausfall und Billionen-Schäden wären die Folgen gewesen, die wir noch über Jahre zu spüren bekommen hätten.

Auch für diesen Roman hat Marc Elsberg mit seinem Verlag eine recht informative Website eingerichtet, die zumindest ein paar Tipps und Hinweise für den Ernstfall bereitstellt.

Wem meine inhaltlich knappen Zusammenfassungen der Romane nicht anschaulich genug sind, dem empfehle ich einen Besuch auf Kaffeehaussitzer. Dies ist nicht nur einer der lesenswertesten, sondern auch schönsten Literaturbloggs, die ich kenne. Sowohl sein Projekt „Schöne neue, paranoide Welt“ ist spannend zu verfolgen als auch seine Buchbeschreibungen zu „Drohnenland“ und „Zero“ sind sehr, sehr lesenswert – sowie all die vielen anderen. Zudem führen dort weitere Links zu anderen Bloggern, die sich ebenfalls mit den Romanen befasst haben.

So, und jetzt lasse ich jeden mit seiner Paranoia wieder allein.

nǐ hǎo

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Chinareise Teil 3

Nach Teil 1 und Teil 2 meines Resümees über China, könnte man den Eindruck gewinnen, mich hätten nur die Metropolen des Landes und ihre Bewohner beeindruckt. Zeit, das zu korrigieren. Doch ich gestehe, dass Shanghai und Peking meine Entdeckerlust stärker weckten. Unsere Landpartien führten uns dennoch zu zwei sehr sehenswerten und erlebnisreichen Orten: Hangzhou und Guilin.

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Nach Hangzhou fuhren wir – wie schon in Teil 1 beschrieben – per Bahn mit 300 km/h von Peking direkt – in ca. 7 Stunden. Die beiden Städte verkehrstechnisch zu verbinden, begann man einstmals schon vor über 2.500 Jahren. Und wie für China zu erwarten, war auch dies ein gigantisches Projekt vergleichbar mit der chinesischen Mauer: der Kaiserkanal. Fast 2.000 km Wasserstraße sind über viele Jahrhunderte erbaut worden – Weltrekord.

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Bei dieser Vorstellung schweife ich gedanklich wieder mal in unsere Gegenwart und zu unserem akuten Dilemma ab: uns gelingt kaum noch, wirklich sehr langfristige visionäre Projekte zu denken, zu entwerfen oder gar in Angriff zu nehmen. Kein noch so weitsichtiger Politiker oder Unternehmenspatriarch denkt noch über Generationen hinaus und ist gar bereit, Projekte zu initiieren, deren Fertigstellung er nicht mehr erleben wird. Bei meinem Besuch des Kölner Domes vor Jahren wurde mir erstmals im vollem Ausmaß bewusst, dass uns diese Tugend vergangener Generationen völlig abhanden gekommen ist. Man stelle sich vor, heute wolle jemand die Errichtung eines Gebäudes initiieren, dessen Richtfest wohl erst seine Ururenkel begehen können. Im Höchstfall akzeptieren wir heute noch Planungszeiträume von ca. 10 Jahren. Einzig im Bereich der Forstwirtschaft und vielleicht noch beim Kraftwerkbau denkt man noch etwas darüber hinaus.

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Der Einzelne mag da noch visionär sein, doch in einer basisdemokratischen Mitbestimmungsgemeinschaft findet niemand mehr ausreichenden Konsens, solch gigantische Vorhaben anzupacken. Das erklärt zum Teil dann auch, warum es uns heute nicht mehr gelingen wird, ökologisch und ökonomisch eigentlich dringend notwendige Groß- und Langfristprojekte anzugehen – z. B. die Aufgaben zur Energiewende und Erneuerung unserer maroden Infrastruktur sind vergleichsweise überschaubar gegenüber der gigantischen Vorhaben, die unsere Vorväter und –mütter mittragen mussten.

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Doch zurück zu einer der schönsten Städte Chinas, wie sie schon vor Jahrhunderten von auswärtigen Besuchern Chinas bezeichnet worden war. Hangzhou ist für die Chinesen vielleicht das, was bei uns Schloss Neuschwanstein ist. Doch im Unterschied zu Ludwigs Vermächtnis zieht es nach Hangzhou mehrheitlich nationale Touristen. Überhaupt sind die Chinesen offenbar ein sehr reiseaktives Volk (geworden), das sich gerne – ganz unserem Klischee entsprechenden – in asiatischen Grüppchen von einer touristischen Sehenswürdigkeit zur nächsten nach straffem Zeitplan führen lässt. Gerne demonstriert man dabei seine Zusammengehörigkeit mit einheitlichen Kleidungsinsignien. Auch hier steht – wie weltweit – die Baseball-Kappe ganz hoch im Kurs.

Auch unser Zeitplan war knapp bemessen. 24 Stunden für Hangzhou, am Abend dann weiter per Nachtzug nach Guilin. Deshalb entschieden auch wir uns, einen Guide zu engagieren. Dank Empfehlungen auf Tripadviser verabredeten wir uns mit David inklusive Fahrer und Fahrzeug. Ca. € 150,– kostet dies. Eine lohnende, sehr zu empfehlende Investition, die wir auch in anderen asiatischen Ländern schon hinlänglich genossen haben.

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David machte uns mit den schönsten Ecken bekannt, erzählte uns einige historische Begebenheiten der Stadt und wir unterhielten uns zudem über sein Leben (Seine Eltern führen einen Eissalon, er studiert Logistik) und seine kurz- und langfristigen Lebenspläne (anstehendes Auslandssemester in New York, will aber auf jeden Fall weiterhin in China leben) sowie über den uns imponierenden rasanten Wandel in seinem Land. Er zeigte uns die wesentlichen Sehenswürdigkeiten, machte mit uns eine entspannte Bootsfahrt, brachte uns zu einer der berühmten Dragontea-Plantagen und spazierte mit uns abschließend durch einen herrlichen Bambuswald.

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Als er uns – nach einem kurzem Shopping-Abstecher – am Ende des Tages zu dem schon beschriebenen Aufsehen erregenden Bahnhof brachte, sprachen wir auch über dessen Vorgeschichte. Auch hier waren die Bürger nicht begeistert und protestierten anfänglich gegen dieses Mammutprojekt. Doch die Wutbürger wurden – nach Ansicht unseres Guides – letztlich nicht nur ignoriert, sondern auch eines Besseren belehrt – sofern sie dazu bereit sind. Denn zumindest für die progressive Fraktion in China erwies sich das Projekt letztlich als weitsichtig und förderlich. Das ehemals sehr arme Gebiet am Stadtrand sei nun deutlich aufgewertet. Vielleicht sollte Stuttgart mal eine Partnerschaft mit Hangzhou in Erwägung ziehen.

IMG_6811Über Nacht fuhren wir dann nach Guilin, einer weiteren touristischen Hochburg. Wir wählten die „weiche“ Schlafwagen-Option, die unserer 1. Klasse entspricht. Die ist in China für uns Weichlinge noch bezahlbar. Das Abteil ist auf vier Personen beschränkt und die Ausstattung akzeptabel. Nachtzüge sind keine modernen Fortbewegungsmittel – weder in Asien noch bei uns in Europa. Meine letzte Nachtzugfahrt in Deutschland liegt nun aber schon einige Jahre zurück. Einmal Paris und einmal nach Florenz. An beide habe ich keine romantischen Erinnerungen. Und auch auf China blicke ich jetzt pragmatisch zurück. So ein Nachtzug erspart einem Flug- und Übernachtungskosten. Bei drei Personen summiert sich das und ist für knappe Reisebudgets immer zu empfehlen. Doch besonders erlebnisreich waren unsere beiden Fahrten nicht – weder im Zug noch beim Blick nach draussen.

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Was Guilin so sehenswert macht, liegt eigentlich noch weit ab von der Stadt in Richtung Yangshuo und ist auf jedem 20 Yuan Schein verewigt: die Landschaft der ungewöhnliche Karstberge, die sich vor ca. 350 Millionen Jahren gebildet haben sollen, nachdem sich ein Urmeer zurückzog. Heute durchfurcht die Berge der Li-Fluss, auf dem unzählige Ausflugsboote schippern und u. a. exakt diese Stelle anpeilen, an der wir die Original-Silhouette der Landschaft mit dem Scheinmotiv vergleichen können.

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Hier ist China auf den ersten Blick so unverändert malerisch wie schon in Reisebroschüren aus dem vergangenen Jahrtausend. Einzig dürfte auch hier die Anzahl an Touristen deutlich gestiegen sein. Für Hobbyfotografen ist die Gegend ein Muss – und offenbar ebenso für Kletterer. Wir haben uns auf die familienfreundlichen Erlebnisse beschränkt und angesichts der wolkenverhangenen Tage gelangen uns kaum sehenswerte Landschaftsaufnahmen. Aber es ist wirklich beeindruckend schön und an manchen Stellen sogar idyllisch. Besonders der individuell geführte Ausflug mit dem Rad brachte uns an Orte, die wir alleine genießen konnten.

IMG_7108Felix, unserer siebenjähriger Sohn war zwar anfänglich empört, dass man ihm kein eigenes Rad zur Verfügung stellte – irgendwie verständlich, wenn man daran denkt, dass China wohl das Land des Fahrrades sein sollte – doch nach kurzem Schmollen genoss auch er mit mir die Fahrt auf einem Tandem am Fluss entlang. Zurück ging es auf einem Bambusfloß, ein obligatorisches Erlebnis in dieser Region. Vollmundig nennt man es auch Rafting, da es ein paar Stromschnellen zu durchfahren gibt, bei denen man nasse Füße bekommen kann, wenn man sie nicht hochnimmt. Wer schon mal eine klatschnasse Rafting-Tour in den Alpen miterlebt hat, wird hier nur kichern. Sehenswert war auch ein Höhlenbesuch mit optionalem Schlammbad. Auf letzteres haben wir verzichtet und uns nach einem sehr heißen Tag auf unsere Dusche in unserem sehr empfehlenswerten Tea-Cozy-Hotel gefreut.

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Unser Tea-Cozy-Hotel

Die Betreiber des Hotels sind sehr sympathisch, führen ein sehr legeres, offenes Haus, bieten eine delikate ganztägige Küche und sprechen gut Englisch wie überhaupt in dieser Gegend alle, die mit Touristen zu tun haben, gute Englischkenntnisse haben. Einzig die Taxifahrer in Guilin, denen wir begegneten, verweigern sich hier noch. Bei ihnen empfiehlt es sich, seine Hoteladresse und sonstigen Ziele in chinesischen Schriftzeichen vorzuzeigen, sonst wird man unweigerlich auf die inoffiziellen Taxifahrer angewiesen sein, die einen schon mal ganz gern über den Tisch ziehen. Doch so etwas gehört ja auch zu einer Reise und die Erfahrung hat uns letztlich nur den dreifachen Preis einer normalen Taxifahrt gekostet.

IMG_7060Die Orientierung und Kommunikation in China ist nicht einfach. Nur wenige Wegweiser und Anzeiger sind in englischer Sprache und lateinischer Schrift. Doch die wenigen Momente, wo wir gänzlich „Lost in Translation“ waren, ließen sich mit freundlichen Gesten und hilflosen Blicken überbrücken bis sich dann doch irgendjemand erbarmte, der uns zumindest radebrechend helfen konnte. Wenn man bei uns zuhause mal die Brille eines chinesischen Touristen aufzieht, wird man schnell feststellen, dass es verständlich ist, warum Chinesen fast nur als Reisegruppe durch Europa ziehen. Da sind China und Asien allgemein deutlich touristenfreundlicher als Europa.

Um – wie wir – in nur wenigen Tagen vieles in China erleben zu können, empfehlen wir, einen individuellen Guide zu engagieren. Die finden sich dank Internet und Reiseportalen auch bestens bewertet online und reagieren – zumindest bei uns – auch ganz kurzfristig. In Yangshuo fanden wir so Lilly Lu vier Tage vor unserer Ankunft in Guilin, die wir nur wärmstens empfehlen können. Mit ihr haben wir stundenlang geplaudert, sehr viel gesehen und viel Freude gehabt.

Ansonsten braucht es um ein Lächeln in die Gesichter unserer chinesischen Gastgeber zu zaubern, für uns Langnasen nur ein kurzes, chinesisches Zauberwort:

nǐ hǎo

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P.S. Bei unserer Ausreise am Flughafen entdeckte ich dann noch eine sehr bemerkenswerte Einrichtung, die wohl jemand mit den Klischees über China im Kopf, wie ich sie vor unserer Reise hatte, nicht erwarten würde. Diese habe ich, wie mir der Beamte an der Passkontrolle höflich deutlich machte, verbotener Weise fotografiert. Also mich bitte nicht verraten. Doch ich finde dieses Abstimmgerät so vorbildlich, dass ich mir wünschen würde, es gäbe es an jedem Ort, wo man auf Behördenvertreter trifft. Ich habe für diesen Beamten natürlich ein „Vollste Zufriedenheit“ gedrückt.