Jetzt schreib ich auch mal über Apple

Apple Image Kampagne

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Ich gewöhne mich allmählich daran, dass ich mit meiner Einschätzung was relevant sei und was nicht, nicht immer so richtig den Nerv der Mehrheit treffe. Gestern trieben mich noch denk- und diskussionswürdig erachtete Szenarien einer algorithmischen Big-Data Netzwelt um. Doch das interessiert kaum. Und heute entdecke ich auf Krautreporter den absolut lesenswerten Artikel von Richard Gutjahr & Apple und denke, wow, was für eine Beichte über einen journalistischen Sündenfall. Doch das interessiert auch kaum.

In meiner Filter Bubble jubelte zwar die Netzgemeinde über den gelungen Scoop, jedoch überwiegend darüber, dass dies wohl eine tolle Enthüllungsstory über die diabolischen, ja sektenhaften Machenschaften des verführerischsten Konzerns der Welt sei. „Mein Gott“ oder besser „Mein Steve“, das gewählte Logo kommt ja nicht von ungefähr.

Doch für mich ist der Artikel aus viel erheblicherem Grund sehr relevant. Er ist eine Referenz an das journalistische Selbstverständnis und die damit verbundene Haltung und Ethik. Dieser Artikel ist für mich deshalb auch äußerst gewagt. Aber nicht, weil Richard Gutjahr damit seine Reputation bei Apple riskiert. Dieser Artikel ist ein journalistischer Striptease.

Zu Beginn seines Artikels führt uns Richard Gutjahr noch in eine typische, kleine journalistische Heldengeschichte ein. Ein weißer Ritter, genannt Richard, macht sich auf den Weg zu einem der mächtigsten Fürsten der Welt, dessen Hybris er aber schon durchschaut hat. Entsprechend ist unser Held – der sich für uns ins Abenteuer stürzt – immer auf der Hut sich von der dunklen Macht nicht korrumpieren zu lassen:

„Dazu gehört die totale Kontrolle über alles, was über das Unternehmen und seine Produkte berichtet wird. Eine Strategie, die sich im Gegensatz zu Apples Design-Philosophie weniger durch Schlichtheit und Eleganz auszeichnet, sondern durch ein subtiles und bisweilen fragwürdiges Spiel mit der Eitelkeit und den Abhängigkeiten von uns Journalisten. Wer positiv schreibt, wird hofiert, wer Kritik äußert, egal wie berechtigt, wird abgestraft. Das machen zwar alle großen Konzerne so. Doch kaum ein Unternehmen spielt das Spiel so subtil wie Apple. Und von keinem anderen Unternehmen würden wir Medienleute uns das in dieser Form bieten lassen.“

Doch sehr schnell verlässt er dann diesen Duktus und beginnt allmählich eine kritische Selbstreflexion über seinen Aufenthalt in Cupertino. Er entblättert sich Zeile um Zeile:

„Zur Wahrheit gehört aber auch, dass ich inzwischen auch die andere Seite des Konzerns kenne. Eine Seite, die wir Journalisten bewusst verschweigen, was an sich schon äußerst denkwürdig ist.

Und am Ende steht er ziemlich bloß da und ich kann ihm nur applaudieren zu seinen Bekenntnissen:

„Dann erscheint Tim Cook. Was jetzt passiert, lässt sich schwer in Worte fassen. Es passiert nämlich genau: nichts. Man muss sich das vorstellen: Ein Raum, vollgepackt mit Journalisten und darunter nicht einer, der auch nur den Versuch unternimmt, Cook anzusprechen, ihn zu interviewen oder wenigstens ein Statement von dem Apple-Chef einzuholen. Ein Phänomen, das mir schon einmal begegnet ist, seinerzeit bei Steve Jobs. Schon damals wunderte ich mich, warum ihn keiner anspricht. Auch mir ging es so. Als Jobs an mir vorbeiging, war ich wie gelähmt. Dabei ist Zurückhaltung nicht meine beste Eigenschaft.“

Es ist das Eingeständnis eines einzelnen Journalisten. Doch die Beobachtung, die er macht, zeigt wie repräsentativ er ist: Die sich gerne selbsternennende vierte Macht im Staate kann sich der Aura der wahren Mächtigen kaum entziehen und ist in diesem Moment nur zu schweigender Huldigung fähig.

Da ich Richard Gutjahr für einen wirklich engagierten Journalisten erachte, der mit ehrlichem Ethos seiner Arbeit nachgeht, zolle ich ihm heute – nach dieser Reportage – sehr großen Respekt. Aus der wiedergewonnenen Distanz zu seinem Gegenstand der Berichterstattung noch mal kritisch über sich zu reflektieren und dies öffentlich zu machen, ist eine vorbildliche Übung für alle angehenden Journalisten. Zu verstehen lernen, dass Journalisten nicht immer so souverän im Angesicht des Souveräns sind, wie sie gerne von sich glauben machen.

Ich hoffe, ich denke hier nicht wieder völlig irrelevant und wünsche mir, dass dieser Artikel an den Journalistenschule zu einem Studienobjekt wird. Denn die Crux bei solchen persönlichen Anliegen ist: Ohne Apple als Beispiel hätte der Artikel kaum die Aufmerksamkeit bekommen. Doch Apple ist eigentlich nur stellvertretend für viele Mächtige.

Am Ende habe ich noch ein Kommentar von ihm auf Google+ gelesen, der mich fast vermuten lässt, dass ihm die Wirkung seines Artikels selbst gar nicht so bewusst ist:

„Dank Euch für’s Lesen und diskutieren. Nein, kein Knüller, war so auch nie gedacht, sondern einfach ein Stück Alltag, der oft unter dem Radar läuft. Deshalb wollte ich das einfach mal aufschreiben und mit Euch diskutieren.“

Lieber Richard Gutjahr, die Apple-Enthüllungen waren für mich auch kein Knüller, aber diese selbstkritische Offenheit eines Journalisten schon. Danke dafür.

 

Ich bin doch nicht blöd!

Folie1In den wenigen Tagen, in denen die Feindbild trunkene Debatte zur Zukunft des Buchmarktes aktuell tobt, fällt es zunehmend schwerer nüchtern zu bleiben – mir und offenbar auch vielen Autoren. Was Daniel Kehlmann und Jan Brandt noch draufpacken, entlarvt, dass es vielen Autoren eben nicht nur um einen fairen – besser wäre wohl kaufmännisch ehrenhaften – Umgang aller Teilnehmer auf dem Buchmarkt geht, sondern um die Diabolisierung eines einzigen globalen Marktteilnehmers. Manchmal glaube ich fast, Schriftsteller haben zu viel Paranoia-Literatur gelesen. (Nachtrag in der Debatte und super auf den Punkt gebracht: „Mitleid ist kein Marketingkonzept“ Markus Hatzer vom Haymon-Verlag Markus)

Um es an dieser Stelle noch mal deutlich zu machen: mir ist amazon schnuppe. Ich bin da ganz unfair. Ich wähle häufig amazon, weil es mir nützlich ist. Doch die Alternative zu amazon ist für mich nur ein Klick weiter. Meine ersten eBooks – wie die angesprochene Entdeckung von Nele Neuhaus – habe ich nämlich bei iBooks erworben. Ich hatte ein iPad und sah keine Notwendigkeit, mir auch noch einen kindle zuzulegen. Doch dann erfuhr ich, dass Apple und die Verlage in USA sich unlauter abgesprochen hatten, um amazons langfristige Strategie zu blockieren, eBooks wie Musikalben auf einen Durchschnittspreis $ 9,99 zu bringen. Daraufhin hab ich meine Marktmacht genutzt und mir dann doch noch einen kindle zugelegt, weil ich das „unfair“ fand. Und morgen kaufe ich mir vielleicht einen Tolino, wenn amazon nicht so spurt, wie ich das als Kunde will.

Buchmedien

Meine geliebten Contentträger: Notizbuch, Hardcover, eReader und Tablet. Übrigens Ursula Krechels „Landgericht“ gibt es jetzt endlich als günstiges Taschenbuch. Sehr zu empfehlen.

Amazon hatte damals die gleiche Strategie anwenden wollen, wie zuvor Apple bei Musik als sie alle Titel auf $ 0,99 bepreisten. Zu Beginn hat das Apple mit fehlender Deckung der Musiklabel gemacht. Apple hat Druck aufgebaut, auf die Kundenmacht gesetzt und ist dennoch ein horrendes finanzielles und unternehmerisches Risiko eingegangen. Es hätte ja auch schief gehen können, wenn die anderen Marktteilnehmer bei diesem Poker gewonnen hätten.

Wäre ich Aktionär von amazon, würde mich das derzeit sehr nervös machen. Denn als Investor und Berater in den neuen Märkten und Medien, weiß ich, wie schnell ein Unternehmen, das eben noch als Rising Star erachtet wurde morgen schon zu den armen Hunden gezählt wird. Doch als Kunde bin ich unfair oder wie man in einem anderen Markt ja gerne sagt: Ich bin doch nicht blöd!. Ich wähle einfach das, was ich für besser oder günstiger erachte.

Und so gestehe ich, dass ich in den 80er unserer großen Sortimentsbuchhandlung im Frankfurter Stadtteil Sachsenhausen den Rücken kehrte als Hugendubel in der Innenstadt eröffnete. Doch zugleich eröffnete auch das Lesecafe mit angeschlossener Buchhandlung, mit einem sehr spitzen belletristischen Sortiment. Da bin ich dann ebenso oft hingegangen, habe mich mit den Buchhändlern intensiv ausgetauscht, später angefreundet und mich als Student stundenlang bei einem Kaffee lesend in ihr Cafe gesetzt und mir dafür aber auch ein Buch dort gekauft. Das Lesecafe gibt es heute noch und läuft – soweit ich das weiß – weiter gut. Leider bin ich nur noch selten in meiner alten Heimat, aber wenn, dann immer wieder dort.

Und abschließend noch: was ist denn z.B. daran fair, wenn Verlage, wie Bonnier, heute ihre eigene eCommerce-Seite betreiben und ich dort die Bücher am Handel vorbei für den gleichen Preis erwerbe. Bekommen dann die Autoren das Geld, was ich dem Verlag gegenüber dem Handel erspart habe?

Leute, ich bin doch nicht blöd!

Vorsicht ansteckend: Paranoia

Augen

Die Tage der Menschheit sind gezählt. Die digitalen Daten-Geister, die wir riefen, werden wir nicht mehr los. Sie vernichten unsere Privatsphäre, determinieren unsere Schicksale und degradieren uns alsbald zu willenlosen Konsumzombies. Doch bevor es zum Exodus unsere Gedanken- und Willensfreiheit kommt müssen wir noch mächtig leiden – als Opfer unserer maroden Infrastruktur oder als Marionetten im Machtspiel einer mafiosen Elite von Medienmogulen und Oligarchen. Tröstlich nur, dass auch diesen Machtgierigen letztlich irgendwann die Luft zum Atmen ausgeht da der ökologische Supergau schon unabwendbar begonnen hat.

So ließe sich mein aktuelles, literarisch erschüttertes Weltbild zusammenfassen. Um das zu erlangen, bedurfte es nur der Lektüre dreier Bestseller aus dem Genre „Zukunftsthriller“: „Drohnenland“ von Tom Hillenbrand, „Black Out“ von Marc Elsberg und sein aktuelles Werk „Zero“. Alle drei fand ich lesenswert und empfehle ich gerne als Urlaubslektüre.

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Zuerst wurde ich aufmerksam auf „Drohnenland“ von Tom Hillenbrand. Eine konventionelle Krimihandlung (Mord an einem EU-Abgeordneten in Brüssel) mit einem heldentauglichen Europol-Agentenpaar als Hauptfiguren wird hier eingebettet in eine beklemmend fiktive Zukunftskulisse. Auf deren Gestaltung legte der Autor besonders viel Wert. Hillenbrand siedelt die Geschichte ungefähr im Jahr 2050 an. Er denkt sehr faszinierend aktuelle technische Entwicklungen, ökonomische und ökologische Prognosen sowie sich daraus entwickelnde geopolitische Verschiebungen weiter.

Geopolitisch haben sich in „Drohnenland“ die Mächte dahingehend verschoben, dass die USA kaum noch eine Rolle spielt, Europa um seine Bedeutung kämpft, Asien und Russland deutlich an Gewicht gewonnen haben, jedoch die wirtschaftliche Vormachtstellung nun Brasilien innehat. Denn Brasilien hat durch riesige Gezeiten- und Wellenkraftwerke alle anderen Regionen als Energielieferant überflügelt. In Europa profitiert davon am meisten Portugal das viele Brasilianer für sich als attraktiven Lebens- und Investitionsstandort entdecken. Andere Teile Europas hingegen sind Opfer des Klimawandels. Die Niederlande sind fast unbewohnbares Sumpfland, auch Hamburg steht weitgehend unter Wasser und in Brüssel regnet es unentwegt.

Die Bevölkerung in „Drohnenland“ lebt totalüberwacht durch omnipräsente Drohnen und stetig durchforstete Netzwerke. Die Mehrheit hat sich damit arrangiert und lebt in vermeindlicher Sicherheit. Drohnen in allen nur erdenklichen Größen – auch unzählige staubkorngroße Minidrohnen – durchschwirren jeden zugänglichen Raum. Die damit gesammelten Daten ermöglichen es vergangene Geschehnisse wie ein 3-D-Film zu rekonstruieren und aktuelles Geschehen zu spiegeln. Zudem werden all so gewonnen Daten für gesellschaftspolitische und personenbezogene Prognosen herangezogen. Ab einer Wahrscheinlichkeit von mehr als 50% staatsfeindlicher oder gesetzeswidriger Tendenzen wird es kritisch. Besser vorzeitig eliminieren als abwarten ist dann die herrschaftspolitische Devise.

IMG_8288Die latente Angst des Einzelnen sich im Fahndungsraster von Europol zu verfangen bilden den Kern der Paranoia die sich beim Lesen zunehmend entwickelt. Denn auch wer sich völlig harmlos glaubt und verhält, kann aufgrund von Herkunft, Ausbildung, soziales Umfeld und einiger unbedachten Meinungsäußerungen schnell in den Kreis potentiell Verdächtiger geraten. Und auch was heute schon suspekt wirkt, ist in Drohnenland prekär: wer Datenspuren vermeidet, nichts über seine Person preisgibt, keine aktive Netzpräsenz zeigt und gar verschlüsselte korrespondiert, gerät sehr schnell ins Visier der Präventionsermittler.

Für die Fans von Verschwörungstheorien sind solche staatlichen Machenschaften schon heute gang und gäbe und die Enthüllungen von Edward Snowden, dessen Existenz allmählich beängstigend verblast, rührten zu Tränensturzbächen auf ihre Gebetsmühlen. Doch diese Vorahnungen nützen den Netz- und Datenphobikern und Kulturdefätisten nichts. Denn wie Terry Pratchett, der englische Fantasyautor (von dem ich noch nie etwas gelesen habe und das auch nicht ändern mag) schon sehr treffend bemerkte: „Nur weil du paranoid bist, heißt das nicht, dass sie nicht hinter dir her sind.

IMG_0665Dass man gar nicht so weit in die Zukunft fabulieren muss, um paranoide Leser zu erzeugen, veranschaulichen die beiden Romane von Marc Elsberg. Sie spielen in der Gegenwart bzw. in der nahen Zukunft. In der Welt seines jüngsten Romans „Zero“ greift der Autor einzig bei der Verbreitung von Datenbrillen und der Funktion der Gesichtserkennung zeitlich voraus. Beides Techniken, die heute schon in der Betaphase sind. Sie vervollkommnen die technischen Möglichkeiten einer visuellen Totalüberwachung, wie sie schon durch die omnipräsente behördliche Videoüberwachung in Metropolen wie London angedeutet sind.

London ist auch die Heimat der Heldin Cynthia in der Geschichte. Eine alleinerziehende Journalistin, die privat von ihrer digital-native Teenietochter Viola und beruflich von ihrem Chefredakteur und Kollegen widerstrebend und skeptisch in die digitale Welt gedrängt wird. Einzig eine Singlebörse bildet zuvor ihre freiwillige Online-Erfahrung. Durch einen tödlichen Vorfall im Freundeskreis ihrer Tochter wird ihr investigativer Nerv gereizt. Schon bald steht sie im medialen Mittelpunkt eines Polit- und Wirtschaftsthrillers, in dem es um die Enthüllung der enorm manipulativen Macht eines Internetunternehmens namens Freeme geht, das stets das Gute will, jedoch das Böse schafft. Die mächtigen Strippenzieher, die die Enthüllung verhindern wollen, sitzen nicht nur im Management des Konzerns, sondern auch im weißen Haus. Einzig eine anonyme Hackertruppe, die sich „Zero“ nennt und als anarchische Netzaktivisten gegen die Datenkraken rebellieren, wird letztlich zum überlebenswichtigen Verbündeten von Cynthia.

Marc Elsberg versteht es grandios, dem aktuellen Disput zwischen Evangelisten und Skeptikern über die Licht- und Schattenseiten der digitalen Welt neue Nahrung zu geben. Denn er beschreibt ein denkbares Szenario, das die Allmachtfantasien, die sich mit den schon heute existierenden Internetunternehmen verknüpfen, beängstigend fortschreibt. Und dennoch liefert der Roman auch genügend Argumente dafür, dass es aussichtslos ist, die Zeit zurückdrehen zu wollen. Somit ist der Roman zudem ein Plädoyer für mehr Wachsamkeit und Medienkompetenz jedes einzelnen.

IMG_8303Und um dies auch handfest zu unterstützen, hat Marc Elsberg eine sehr empfehlenswerte Internetpräsenz begleitend zum Buch eingerichtet. Er macht uns ganz konkret darauf aufmerksam, was wir so beiläufig alles preisgeben, wenn wir online sind und mit welchen einfachen Mitteln wir uns ein wenig davor schützen können, uns gänzlich ausziehen zu lassen. Doch alle Paranoiker seien noch mal daran erinnert, was ich oben schon angemerkt habe: wer heute beginnt, aktiv seine Datenspuren zu verwischen, seine Netzpräsenz zu anonymisieren oder kryptisch zu kommunizieren, wird bald zu den verdächtigen Subjekten zählen.

Wer nicht zu den Netz- und Datenphobikern zählt und sich von der Paranoia dieser beiden Romane kaum anstecken lässt, der wird dann vielleicht von wachsender Angst bei der Lektüre von Marc Elsbergs Bestseller „Black out“ befallen. Zumindest ich muss gestehen, dass mir nach den knapp 800 Seiten, die ich ziemlich atemlos gelesen habe, jetzt schon mulmig wird, wenn bei uns die Sicherung rausfliegt. Über 900 Rezensionen auf amazon deuten an, dass dieses Buch viele Leser gepackt hat. Fast zwei Drittel sind sehr positiv. Doch auch 50 Verrisse finden sich da, die recht einhellig die fehlende Wirklichkeitsnähe und die Langatmigkeit der Erzählung beklagen. Beides kann ich nicht teilen.

IMG_8295Sicher – wie der Autor selbst im Nachwort schreibt – sind einige Fiktionen der Dramaturgie geschuldet und mögen im realen Ernstfall so nicht eintreten. Doch der Kern der Geschichte bleibt davon unberührt und erschreckend plausibel. Es geht um einen europaweiten, langanhaltenden Stromausfall den terroristische Weltverbesserer verantworten. Deren Ziel ist die Vernichtung der bestehenden Wohlstandsgesellschaft zugunsten einer neuen Weltgemeinschaft, die in Zukunft achtsamer und mehr im Einklang mit der Umwelt leben soll. Dafür nehmen sie bewusst Millionen Opfer in Kauf, auch wenn sie selbst das Ausmaß der Katastrophe – Supergaus von Atomkraftwerken in Europa – nicht gänzlich vorausahnten.

Was „Black out“ so besonders packend macht, ist die völlig realitätsnahe Beschreibung, wie sich innerhalb von nur zwei Wochen unsere Gesellschaft wandelt, wenn sie stromlos ist. Von einer sich anfänglich höchst solidarisch verhaltenden Not-Gemeinschaft wandeln wir uns in eine anarchische, jegliche Moral und Nächstenliebe verlustig gehende, ja mörderische Masse Mensch.

Dass es am Ende doch noch einigermaßen gut ausgeht verdanken wir einem alleinstehenden italienischen IT-Spezialisten der sich als ebenso genialer wie integrer Hacker erweist. Zum Lohn findet er auf seiner dramatischen Odyssee durch Europa auch seine große Liebe. Die Geschichte um diesen Helden wider Willen mag etwas kitschig sein. Doch angesichts der sehr realistisch geschilderten Apokalypse verschafft sie ein wenig Trost in einer ansonsten zwar dramatisch spektakulär geschilderten doch sehr düsteren Vision über den Zusammenbruch unsere Gesellschaft, wenn man ihr mal den Saft abdreht.

IMG_8306Einen aktuellen Kick bekommt dieser Roman durch den kürzlich verbreiteten Bericht der NASA, dass wir 2012 nur knapp an einer weltweiten Katastrophe vorbeigeschrammt sind. Ein enormer Sonnensturm hätte diese verursacht, wenn er unser Erde frontal erreicht hätte. Weltweiter Strom- und Elektronikausfall und Billionen-Schäden wären die Folgen gewesen, die wir noch über Jahre zu spüren bekommen hätten.

Auch für diesen Roman hat Marc Elsberg mit seinem Verlag eine recht informative Website eingerichtet, die zumindest ein paar Tipps und Hinweise für den Ernstfall bereitstellt.

Wem meine inhaltlich knappen Zusammenfassungen der Romane nicht anschaulich genug sind, dem empfehle ich einen Besuch auf Kaffeehaussitzer. Dies ist nicht nur einer der lesenswertesten, sondern auch schönsten Literaturbloggs, die ich kenne. Sowohl sein Projekt „Schöne neue, paranoide Welt“ ist spannend zu verfolgen als auch seine Buchbeschreibungen zu „Drohnenland“ und „Zero“ sind sehr, sehr lesenswert – sowie all die vielen anderen. Zudem führen dort weitere Links zu anderen Bloggern, die sich ebenfalls mit den Romanen befasst haben.

So, und jetzt lasse ich jeden mit seiner Paranoia wieder allein.