Wenn in Schwabing die Langeweile einzieht

irrenhaus

Sicher überschätzen Autor und Leser die Bedeutung des ersten Satzes. Der Erfolg eines Romans hängt doch wohl kaum von ihm ab. Oder doch? Wie macht es ein ehemaliger Verleger, der selbst einen Roman verfasst? Er schreibt einfach einen überzeugenden Einstiegssatz, einen, der einen packt und durch den gesamten Roman tragen kann:

„Zum ersten Mal in meinem Leben wollte ich mich mit Hingabe langweilen.“    

Und wenn gebildete Romanfiguren etwas mit „Hingabe“ betreiben sollen, dann dürfen sie sich darauf intensiv vorbereiten. So lässt Michael Krüger seinen namenlos bleibenden Ich-Erzähler, von Beruf Archivar, gleich mal zwanzig Jahre sich mit der Theorie der Langeweile befassen und gar ein Heidegger-Studium heranziehen:

„Ein Leergelassensein von der Welt, das wollte ich erreichen.“

Vierzigjährig erhält er dann die Chance, die ersehnte Langeweile zu praktizieren. Er erbt ein Mietshaus in Schwabing. Und dort bietet sich zugleich eine leerstehende sechs Zimmer Wohnung an, in die er ohne viel Sack und Pack einzieht. Seinen Beruf als Archivar hängt er an den Nagel.

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Schämt Euch!

didiereribon

Dieses Buch könnte ein Anfang sein. Mit der „Rückkehr nach Reims“ legt Didier Eribon ein Bekenntnis ab, dem viele Erkenntnisse folgen könnten. Doch lese ich in den Feuilletons und Blogs die zahlreichen, begeisterten Besprechungen, so gewinne ich den Eindruck, dass dieses Buch von allen Lesern zustimmend und befriedigt  – ohne offene Fragen – geschlossen wurde.

Didier Eribon (Interview), geboren 1953, wird verehrt als einer der es geschafft hat, in Frankreich: aus einfachsten, proletarischen Verhältnissen stammend, früh sich zu seiner Homosexualität bekennend und politisch unerschütterlich bis heute sozialistisch, ist er in Paris als bedeutender Intellektueller etabliert. Neben seiner akademischen Arbeit als Soziologe, wurde er international für seine Biografie über Foucault gerühmt, die jedoch auf Deutsch vergriffen ist (Laut Suhrkamp wieder lieferbar: 06.12.2016.)

Didier Eribon war mir zuvor unbekannt. Nimmt man den deutschen Wikipedia-Eintrag als Gradmesser seiner internationalen Bedeutung, so muss mir das nicht allzu unangenehm sein. Deutlich umfangreicher ist der französische Eintrag. Trotz stetigem Bedeutungsverlust umweht Personen in Frankreich, die man als „Intellektuelle“ bezeichnet, noch immer eine popikonische Aura.

Warum hat mich dieses Buch so unbefriedigt zurückgelassen? Und zwar so unbefriedigend wie eine Zigarette, über deren Genuss Oscar Wilde einmal treffend schrieb: Eine Zigarette ist das vollendete Beispiel eines vollendeten Genusses. Sie ist köstlich und lässt einen unbefriedigt.

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