Chinareise Teil 2
In seinem China-Crashkurs „Bliefe von dlüben“, weist Christian Y. Schmidt – den ich schon in Teil 1 meines China-Resümees vorgestellt habe – daraufhin, dass es zwischen Peking und Shanghai eine ewige Fehde gäbe. Die sei vergleichbar, wie z. B. die zwischen New York und Washington (kannte ich bislang gar nicht) oder die, zwischen Berlin und München. Zu letzteren gibt es jedoch einen eklatanten Unterschied.
Während Shanghai und Peking ihre Eitelkeiten um die aktuelle Vorherrschaft chinesischer Metropolen mit Prestigeprojekten ausfechten, die jeweils aus dem eigenen selbstgefüllten und milliardendicken Stadtsäckel finanziert sind, alimentiert bei uns das Land der Lederhosen die Stadt der leeren Hosen. Wenn ich – der heute gerne in München lebt – ab und an nach Berlin reise, komme ich mir vor, wie ein alter Papa, der sein studierendes Kind besucht, um sich zu vergewissern, ob die monatliche Stütze nicht nur im Nachtleben verprasst wird. Ebenso wenig wie ich objektiv mit meinem Urteil bin, bekennt sich auch Christian Y. Schmidt zu Peking, da er nun mal dort lebt. Der Neid zwischen Peking und Shanghai (wie auch München und Berlin) lässt sich wohl auf einen wesentlichen Punkt fokussieren: Alter vs. Jugend.
Peking repräsentiert die alte Dame und Shanghai die junge Frau. Während man in Peking Geschichte und Traditionen pflegt, ist man in Shanghai offenbar radikal auf die Moderne fixiert. In Shanghai muss das Veraltete im Zweifel immer weichen. Einen heftigen Modernisierungsschub erhielt die Stadt nach Aussage unserer Freunde nochmals durch die Weltausstellung 2010. Seither sei die Metropole auch extrem sauber, was uns – nicht nur hier – wirklich aufgefallen ist. Chinas Metropolen sind wirklich sehr sauber.
Die Expo in Shanghai (das Gelände haben wir nicht besucht) ist für mich in der Nachbetrachtung von China wieder ein gutes Beispiel, wie klischeehaft in den Medien über China berichtet wird. Wer das Thema heute googelt findet wenig Berichte über die Ausstellung selbst, sondern einzig nur die Vorberichte über die Zwangsumsiedlung von 18.000 Menschen, Festnahme von 6.000 Prostituierten und Kleinkriminellen im Vorfeld und einem Pyjama-Ausgehverbot für die Bewohner von Shanghai. Wissen sollte man aber auch, wie der Spiegel schreibt, dass mehr als 3,3 Milliarden Euro investiert wurden oder gar bis zu 40 Mrd. $, wie die Welt kolportiert, mehr als 300 Kilometer neue U-Bahn-Strecken geschaffen wurden, zahllose Straßen neu gepflastert, Parks angelegt, Häuserfassaden bemalt. Der Bund, die Uferpromenade am Huangpu, wurde komplett renoviert. Viele alte Häuser wurden durch moderne Apartmentblocks ersetzt oder mit Sichtblenden abgeschirmt.
Bei uns vergab man (im welchen Sinne des Wortes muss der Leser selbst entscheiden) diese einmalige Chance der Stadterneuerung im Jahr 2000 an/in Hannover. Damals kamen gerade mal 1/5 der Anzahl an Besuchern und gekostet hat es auch schon über 1,5 Mrd. Euro. Sicher sollte man vorsichtig sein mit Relativieren und Vergleichen. Doch wenn eine 20. Mio. Metropole 18.000 Menschen (knapp 0,1 % der Bevölkerung) umsiedelt, würde das z. B. auf Stuttgart bezogen bedeuten, dass man ca. 700 Menschen umsiedeln müsste. Die Vorstellung, dies in heutigen Stuttgart21 Zeiten politisch durchzusetzen zu wollen, lässt erahnen, was passiert, wenn auch China irgendwann lupenrein demokratisiert ist. Da kann man vielleicht verstehen, warum die Stadtplaner in China derzeit so Gas geben.
Ach, ja über die Geschichte mit dem Pyjama berichtet auch Christian Y. Schmidt und man findet jede Menge Bilder bei Google. Wenn man sich die ansieht, würde man wohl ähnliches Verhalten in Deutschland psychologisch beargwöhnen und diese Menschen eventuell gerne begutachten lassen. In China verbietet man es einfach und kaum einer hält sich dann dran. Zumindest schreibt das Schmidt. Und, oh, Wunder, besonders häufig sollen solch bekleidete Chinesen in der Nähe von Krankenhäusern gesichtet worden sein. Wer weiß, noch ein paar Jahre, dann gilt Shanghai auch als hip und trendy in Modefragen und der Pyjama ist en Vogue.
Zurück zur Fehde zwischen Peking und Shanghai. Christian Y. Schmidt schreibt dazu, die Abscheu voreinander sei größer als bei allen anderen Städten im Clinch. „Vollkommen zu Recht.“, meint er, „Die Shanghaier sind nämlich elende Protzer, die nichts unversucht lassen, um uns Pekinger zu übertreffen.“ Ganz von der Hand zu weisen, ist das wohl nicht. Zumindest, wie ich in Teil 1 schon angedeutet habe, wirkt Shanghais Fassade beeindruckender als Peking. Die Silhouette macht einfach mehr her als die riesige Ausbreitung der verbotenen Stadt – zumindest bei all denen, die man nicht zur Kernzielgruppe von Studiosus zählt.
Bitte, nicht missverstehen. Wenn man die verbotene Stadt besucht, muss man schon ein Banause sein, wenn man davon nicht zutiefst beeindruckt zurückkehrt – ähnlich wie von der Chinesischen Mauer. Doch letztlich muss man sich auch eingestehen, dass die Herrscher von damals, die uns diese Sehenswürdigkeiten hinterließen, heute wohl eben eher Projekte wie die Skyline in Shanghai befördern würden. Diese Annahme nährte auch unser Stopp-Over auf der Chinareise: Dubai. Da sind ja Kronprinzen noch heute aktiv beim Projekt „Unsere Stadt soll schöner werden.“ Doch dort fehlt ansonsten alles, was eine Metropole wie Shanghai hat: ein quirlige Großstadtatmosphäre voller geschäftiger, anmutiger, kurioser, witziger, plaudernder, umtriebiger, reizvoller, exzentrischer, frivoler Menschen, seien sie Händler, Shopper, Flaneure, Touristen, Geschäftsleute oder sonst was.
Als wolle der Zufall meine These von alt vs. jung unterstützen, war eine der ungewöhnlichste Begegnungen mit Bewohnern von Peking ein stark frequentierter Treffpunkt der überwiegend von der älteren Generation besucht wurde. In einer dafür eigens angelegten Parkanlage nahmen wir zunächst staunend, dann begeistert an gemeinsamen Trimm-Dich-Aktivitäten teil – besonders mein siebenjähriger Sohn und sein gleichaltriger chinesischer Freund Ben. Ob die Chinesen sportlich auffällig aktiv sind, vermag ich nicht zu beurteilen, doch sind sie offenbar sehr gesellig.
Ähnliches konnte ich schon jeden morgen mit meinem ersten Kaffee in der Hand aus der Wohnung unseres Freundes vom 21. Stock in der gegenüberliegenden Hauseinfahrt beobachten, wo sich täglich ca. 50 vorwiegend ältere Bewohnerinnen einfanden, um einen flotten Tai-Chi-Synchrontanz zu absolvieren. Das ging so ca. 30 Minuten. Getanzt wird bekanntlich auf diese und auch auf klassische Weise viel in China. Besonders amüsiert waren alle, wenn ich mich dazugesellte und mitzumachen bemühte. Das hat sie vor Lachen fast aus dem Takt gebracht. Überhaupt muss man sich in den chinesischen Städten wirklich schon so aufdringlich bzw. auffällig benehmen, um als Langnase neugierige Blicke auf sich zu ziehen. Mit meinen 193cm war ich es bislang gewohnt, in asiatischen Ländern für Amüsement und Erstaunen zu sorgen. Hier passierte dies nur ab und an auf dem Land.
Ansonsten bin ich in China nur ebenso auffällig geworden wie in Deutschland oder USA: ich rauche noch – gern und zum Missfallen meiner kleinen Familie. Bei unseren USA-Besuchen bereitete ich mich mental auf Ausgrenzung, missbilligende Reaktionen und aggressive Intoleranz im Land vor. Doch bei China war ich zuvor entspannt und erwartete noch ein liberales, tolerantes Land ohne bemerkenswerte Einschränkungen für Raucher. Ein weiteres Klischee, das ich schnell beerdigen musste. Obwohl noch nicht die angekündigten Hardliner-Gesetze in Kraft sind, die Rauchen in der Öffentlichkeit gänzlich verbieten sollen, sieht man nur noch wenige Leute auf den Straßen rauchen. Und das in dem Land, in dem bislang jeder dritte gerne rauchte und die Zigarette noch vor kurzem bedeutend für den sozialen Kitt war, wie bei uns in den siebziger Jahren. Annähernd 10% der Staatseinnahmen in China sollen sich dem Tabakkonsum verdanken. Und darauf will man jetzt staatsseitig zugunsten der Volksgesundheit verzichten. In Deutschland wären dies ca. 50 Mrd. €. jährlich. Tatsächlich nimmt der Finanzminister derzeit über die Tabaksteuer ca. 15 Mrd. € ein. Dennoch konnte ich meinem Laster recht unbehelligt frönen. Und eine besondere Überraschung bot mir die chinesische Bahn: in den Schlafwagenzügen, die wir zweimal nutzten, gibt es offiziell noch Zonen, wo Rauchen erlaubt ist.
Tolerant erwiesen sich die Chinesen, denen wir begegneten, auch in allen Fragen des modischen Geschmacks. Neben dem Pyjama- Tick gibt es zum Beispiel noch die lässige Bauchfrei-Mode. Nein, nicht bauchfreie Mädels, sondern gestandene Männer ziehen bei Hitze gerne auch mal den Bauch blank. Ein Schnappschuss ist mir dazu gelungen. Hab es aber nicht noch mal versucht.
Weit mehr Schnappschüsse wünschte ich mir von den trendigen, hippen, modisch eigenwilligen Frauen von Shanghai zu machen. Dabei ging ich nicht so couragiert vor, wie ein paar junge Chinesinnen, die uns ab und an kichernd ansprachen und baten, mal ein Foto mit echten Langnase machen zu dürfen. Ich schoss da lieber mit dem Handy aus der Hüfte – und traf dann auch ab und an mal.
Als ideales Jagdrevier erwies sich das derzeit sehr angesagte Shoppingviertel Tianzifang. Schätzungsweise 200 kleine Läden in schmalen, nur Fußgängern offenen Gässchen befinden sich hier. Neben allerlei Souvenirtrash, gibt es auch interessante Kunsthandwerk-Galerien, Modeläden und Gastro-Angebote. Unser Highlight war das Candy-Lab. Hier werden winzige, ebenso bunte wie leckere Bonbons vor Ort fabriziert und in Reagenzgläsern verkauft. Das war der Hit für die Jungs und gefiel auch mir. Könnte man sich auch in New York, San Francisco oder London vorstellen. Ob das auch in Berlin ankäme?
Doch zurück zu den Eindrücken, was in der modischen Szene Shanghais gerade hip ist. Auffälligstes Accessoire der Frau von Shanghai ist ihre Handtasche. Ja, auch bei uns – für uns Männer schwer nachvollziehbar – zählt die Handtasche zu den wesentlichen Insignien einer mode- und statusbewussten Frau von Welt. Der grobe Unterschied liegt in der deutlich grelleren Farbwahl in Shanghai – doch mag ich irren, wenn ich darin eine kulturelle Eigenart zu erkennen glaube. Es kann auch nur generationenbedingt sein. Den feinen Unterschied mache ich an der Art der Präsentation fest. Während die Damen in der Münchner Innenstadt ihre Taschen locker pendeln lassen (Maximilian- oder Theatinerstraße) oder fest unter den Arm pressen (Kaufingerstraße, Stachus), überwiegt in Shanghai das „Vor-sich-her-tragen“, also Schulterriemen und dann bäuchlings fixieren. Ein bisschen so, wie wir als Kinder unsere Kindergartentaschen trugen.
Bei der Kleidung überraschte mich die Freizügigkeit. Wer immer es sich leisten kann oder glaubt, leisten zu können, zeigt viel Bein und auch sonst viel Haut – blasse Haut, denn vornehme Blässe ist bei den Städtern in China angesagt. Manchmal wird sie zwar Textil bedeckt, jedoch gerne stark transparent. Die favorisierten Farben der Stoffe sind sehr feminin und harmonieren perfekt mit den Bonbons von Candy Lab. Alles in allem wäre das zwar nicht mein bevorzugter „Style“, den ich bei Frauen wünschte, doch letztlich wirkten viele Kombinationen auf mich geschmackvoll und ausgewählt. Zuhause drücke ich weit öfter schonend die Augen zu – in München und Berlin.
Und glücklicherweise überstehen die heranwachsenden Frauen in China die modische Konditionierung aus ihren Kindertagen. Denn, das was man an pinken Plüsch, Prinzessinnen-Style und Barbie-Sweetness in den Kinderboutiquen hier angeboten bekommt, liegt nun gänzlich außerhalb meines interkulturellen, modischen Toleranzbereiches.
Im nächsten wohl abschließenden Teil 3 will ich über den touristischsten Part unserer Reise resümieren. Ein voll gepackter Tag in Hangzhou, 3 Tage in Guilin und dazwischen zwei 18stündige Nachtzugfahrten. Hier trafen wir überall auf ein sehr reiselustiges Volk: die Chinesen.

Der Yu-Garten in Shanghai: Die Goldfische hier im Garten nennen sie „Happy Fish“. Es waren zumindest ziemliche „Fat-Fish“.