Alles leuchtet. Aber leuchtet es auch ein?

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Stell dir vor, mein Sohn, zu deinem Geburtstag bekommst du eine echten Elefanten.

Echt jetzt?

Ja, echt. Und zwar keinen gewöhnlichen Elefanten. Der wäre im Zimmer ja ständig im Weg. Nein, ich habe im Internet einen kleinen, ungefähr Knie hohen Elefanten angeboten bekommen.

Und der ist echt?

Ja, ganz echt. Also lebendig. Der frisst dir aus der Hand, der läuft mit dir in die Schule und wartet dann draußen auf Dich. Der trompetet – ziemlich quietschend – und, das ist das allerbeste, der leuchtet sogar im Dunkeln.

Nee, Papa. Jetzt machst du Quatsch.

Kein Quatsch. Der ist wirklich lebendig, klein und leuchtet. Den hat ein genialer Mann erfunden.

Elefanten kann man doch gar nicht erfinden. Die gibt es doch schon.

Ja, die großen Grauen. Aber so ein süßer kleiner, der in dein Zimmer passt, den musste man speziell züchten. Man kennt jetzt die Bausteine, aus denen das Leben sich entwickelt. Und der Mann hat die Bauanleitung für Elefanten genommen und die Teile raus gelassen, die den Elefanten groß machen und Teile hinzugefügt, die ihn leuchten lassen. Und du kannst jetzt sogar noch die Farbe wählen.

Nee, echt?

Ja, wirklich. Rosa, Blau, Grün, Rot. Was Du willst.

Hm.

Und?

Geht auch Grau?

Ja, schon. Aber das leuchtet dann nicht so schön.

Kann man den dann auch ausschalten?

Wie ausschalten?

Na, wenn ich schlafen soll, muss man den doch ausschalten.

Stimmt. Das muss ich in der Gebrauchsanweisung nachschauen.

… – Papa?

Ja?

Irgendwie finde ich das nicht gut.

Was denn?

Na, so einen kleinen Elefanten, der leuchtet. Irgendwie unheimlich.

Okay. Also möchtest du so einen nicht zum Geburtstag?

Nee, besser nicht. – Bis du jetzt traurig, Papa?

Nein. Glücklich.

anglerfisch

Anglerfisch mit Laterne

Der neue Roman von Martin Suter ist sehr fabulös. Daran ändert auch nicht, dass die gentechnische Manipulation „Biolumineszenz“, also die Fähigkeit eines Tieres, selbst Licht erzeugen zu können, tatsächlich schon bei Säugetieren gelungen ist. In Südamerika gibt es leuchtende Schafe und in Südkorea sogar einen Hund, den man an- und ausschalten kann. Ja, wirklich. Doch das ist in der Gen-Forschung Spielerei. Darüber könnte man sich wohl ethisch schnell einigen, solche albernen Veränderungen zu unterlassen.

Entscheidend jedoch sind die gentechnischen Veränderbarkeiten, die derzeit bei Nutztieren – wie zuvor schon bei Nutzpflanzen – erforscht und sicher bald schon patentiert und „in Serie“ umgesetzt werden. Noch ist es kaum gelungen, Nutztiere wirklich nutzbringend genetisch so zu verändern, dass es sich auch ökonomisch lohnt. Doch nüchtern betrachtet, ist es das nur eine Frage der Zeit, bis es gelingt. Und somit stellt Martin Suter mit seinem neuem Roman „Elefant“ prinzipiell sicher die richtigen und wichtigen ethischen Fragen: Wollen wir das? Und wenn, wo sind die Grenzen?

Um sich aber diesen Fragen dann auch realistisch zu widmen, muss man den Niedlichkeitsfaktor im Roman ausblenden. Denn sicher halten wir rosa leuchtende Elefanten für zeitweilig süße Geschöpfe, jedoch letztlich für entbehrlich. Doch wie wäre es mit Rindern, die genetisch gegen Rinderwahn immun sind oder allergiefreie Milch produzieren? Oder wie wäre es mit Schweinen, die durch einen genetischen Eingriff resistent gegen einen Virus werden? Oder Tiere, die sich auf diese Weise als Organspender eignen? Hier fängt es an, dass man die Vorteile der Gentechnik – wie auch schon bei Pflanzen, wenn man vorausschauend weiß, dass wir irgendwann 10 Mrd. Menschen ernähren wollen – nicht alternativlos ignorieren kann.

Doch von dieser Ambivalenz lesen wir nichts im neuen Roman des Bestsellerautors, den ich zu seinen besseren zähle. Sicher kommt auch dieses Werk nicht an seine ersten Romane „Small World“ und „Die dunkle Seite des Mondes“ – beide auch verfilmt – heran, doch weitaus lesenswerter als der doch recht hanebüchen konstruierte vorhergehende Roman „Montecristo“ ist er auf jeden Fall.

Martin Suter beherrscht sein Handwerk brillant. Geschichten erzählen kann er. Und er versteht es, seine thematisch intensiven Recherchen interessant zu literarisieren, sei es die künstliche Befruchtung von Elefantenkühen, das elendige Dasein eines Wanderzirkus und seiner Elefanten oder auch das bedrückende Schicksal von Obdachlosen und deren Lebensumstände in einer der wohlhabendsten Städte der Welt leben.

Bis hierin möchte ich diesen Roman als gute Unterhaltung und vorbildliche Werkstatt-Literatur empfehlen. Wer – wie ich – Martin Suters Erzählungen mag, wird sich über diesen Roman freuen. Und die ersten Kritiken stimmen fast alle darin überein, dass man sich prächtig unterhalten fühlt.

Doch zum Ende sei ebenso vermerkt, dass der Autor – wie schon in vielen seiner letzten Arbeiten – auch diesmal die Welt naiv simplifiziert und archetypische Figuren gestaltet, die unverkennbar jeweils das Gute oder das Böse repräsentieren.

Golden Rock

Der Golden Rock in Myanmar

Wenn ein Obdachloser als Held wider Willen zur Hauptfigur erkoren wird, dann war der natürlich in seinem früherem Leben keine gescheiterte Existenz, sondern eine sehr geschätzte und erfolgreiche Persönlichkeit. Und wenn er dann einer Tierärztin begegnet, die ihn aus der Sackgasse seines Lebens lotst, dann ist das natürlich nicht einfach eine Tierärztin, sondern auch eine Millionenerbin. Wird dann noch etwas Mystik benötigt, um die Rettung des Corpus Delicti plausibel werden zu lassen, wählt man am besten eine exotische Nebenfigur, die man hierzulande als Elefantenflüsterer bezeichnen kann, idealerweise aus einem fernöstlichen Sehnsuchtsland (weil noch soooo ursprünglich), wie z. B. Myanmar. Wer das Land kennt – ein Besuch gleicht einer faszinierende Zeitreise – oder wenigstens den Weltbestseller von Jan-Philipp SendkerDas Herzenhören“ gelesen hat, der weiß, dass eine solche Figur die Imagination nicht einmal verklärt.

Das Böse verkörpert nicht nur ein skrupelloser, einzig auf Reputation und Geld fixierter Wissenschaftler, sondern auch vom Kapitalismus korrumpierte, wirtschaftliche Allmacht anstrebende Chinesen, die sich gar unlauterer Mittel bedienen, um der wissenschaftlichen Sensation habhaft zu werden. Fertig ist das zeitgeistige Klischee.

Damit bedient mir Martin Suter zu sehr das schlichte literarische Gemüt, das am Ende keine Fragen offen haben möchte. Das ist jedoch sein gutes Recht. In einem Interview zu diesem Roman bemerkt er denn auch:

„Ich schreibe keine Romane, um Debatten auszulösen oder neu zu beleben. Ich will einfach Geschichten erzählen, die auf der ersten Seite beginnen und auf der letzten enden. Wenn die eine oder andere darüber hinaus noch etwas nachwirkt, habe ich allerdings auch nichts dagegen.“

Und damit kommen wir zur schlichten Moral der Geschichte, die nicht deckungsgleich mit der des Autors ist. Denn er betrachtet die Möglichkeiten der Gentechnologie differenziert:

Nun, das Heilen von Krankheiten und das Erhalten von Leben kann ja auch als Respektsbezeugung gegenüber der Natur betrachtet werden. Man kann und soll den wissenschaftlichen Fortschritt nicht verbieten. Man muss sich aber klar sein, dass der Versuch, ihm Grenzen zu setzen, mit größter Wahrscheinlichkeit scheitern wird.

Doch die einfache Schlussfolgerung des Romans taugt kaum zur ethischen Debatte: Gentechnik ist ein Übel und schafft letztlich nur Unheil. Sie fußt auf unserer gutmeinenden Geisteshaltung in einer Wohlstandsgesellschaft. Denn die vermag vielleicht auf die Fortschritte verzichten zu können. Doch für den Rest der Weltbevölkerung sind sie derzeit die einzige Hoffnung, um unser globales Bevölkerungswachstum auch in Zukunft ausreichend versorgen und viele gegenwärtige Leiden verringern zu können.

Es geht bei der Gentechnik eben nicht nur um die Frage, ob Nutzpflanzen und -tiere eine immer weiter zu verbessernde, notwendige Ressource sind, sondern auch, ob wir mögliche körperliche und geistige Leiden von Millionen Menschen und auch Tieren verhindern wollen. Gerne darf jeder sich literarisch der utopischen Harmonie von Mensch und Natur hingeben. Doch im realen Leben sollten wir anerkennen, dass dies ein anachronistisches Unterfangen ist. Die Menschheit kann die Zeit nicht zurückdrehen. Und solange sie auf Erden existiert, wird sie nicht mehr die Idylle für alle erschaffen.

Wie so oft, kann man auch in diesem Fall konstatieren, dass die Büchse der Pandora nunmehr geöffnet ist. Lasst sie uns nicht schließen, bevor auch die Hoffnung in die Welt tritt. Auch wenn die nach Ansicht Nietzsches die übelste der Übel der Menschheit ist. Ich setze auf sie.

Gefallen hat der Elefant auch Buch-Haltung, Buchlotsin, besonders verständlich Pinkfisch und leseschatz.

5 Gedanken zu “Alles leuchtet. Aber leuchtet es auch ein?

  1. Mir geht es mit Suter genau wie dir. Interessante Themen, gut und süffig geschrieben, blendend unterhaltend (Ich habe mich sogar bei Montecristo noch amüsiert). Aber jedes Mal stelle ich fest, dass es doch zu luftig ist, wie ein zu süßes Dessert und dann nehme ich mir vor, kein weiteres Buch von ihm mehr zu lesen. Ob ich diesmal standhaft bleibe?

  2. Tja der Suter. Ich bin immer hin und her gerissen. Er ist ein guter Handwerker, aber seine Geschichten interessieren mich leider nicht mehr so. Ich freue mich für seine Fans dass es mal wieder einen schönen Roman von ihm gibt.

    Die Formulierung „schlichtes literarisches Gemüt, das keine Fragen stellt“ ist etwas steil. Meinst du Leute, die Feel-Good haben wollen, aber gut geschrieben? Es klingt sonst eher negativ nach „intellektuell und anspruchslos“.

    • Martin Suters Romane sind für mich gute Unterhaltungsliteratur (geworden) wie ein Krimi oder Thriller. Die lese ich dann, wenn ich nicht geistig gefordert werden will. Denn sie sind meist nach vorhersehbaren Schemata konstruiert und mit Stereotypen bevölkert. Wie bei jeder Unterhaltungskultur gibt es dabei Werke, die handwerklich höchst beeindruckend sind und auf der anderen Seite banale bzw. triviale oder gar schlechte Arbeiten. In diesem Punkt ist die Zunft der Kulturschaffenden nicht anders als die Zunft der Handwerker.

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