Buchliebhaber sind nicht die besseren Literaturliebhaber

IMG_0697Wenige Tage vor der beginnenden Wallfahrt nach Frankfurt häufen sich wieder die Artikel zur aktuellen Lesekultur. Das Lamentieren, ob noch gute Literatur geschrieben wird und – meines Erachtens wichtiger – ob noch gute Literatur gelesen wird, steht wieder hoch im Kurs. Denn es sind die beliebtesten Themen des Feuilletons, deren überwiegende Leserschaft sich gerne in ihrem bildungsbürgerlichen Anspruch bestätigt sehen möchte.

Die Leserschaft des Feuilletons labt sich förmlich in den alljährlichen wiederkehrenden, kulturpessimistischen Bädern, die ihnen die Redakteure gerne bereiten – nicht zu heiß und nicht zu kalt. Denn die Redakteure ahnen auch, dass ihre Leser einer ernsthaften heißen Literaturdebatte gar nicht folgen könnten. Nur eine winzige Minderheit liest aktuelle und wirklich neue Literatur, die oftmals gar nicht in den etablierten Verlagen erscheint und die der Redaktion unaufgefordert Rezensionsexemplare sendet.

CircleUm Aufmerksamkeit für ein Buch auch ins Feuilleton zu lenken müssen heute gehypte Übersetzungen aus USA wie „The Circle“ herhalten, deren literarische Bedeutung gegen Null tendiert. Dave Eggers hat in seinem Interview mit Dennis Scheck denn auch erklärt, dass er lang überlegt hat, ob er dem Thema ein Sachbuch oder einen Roman widmen soll. Zu seinem Glück (weniger zu unserem) hat er die Form des Romans gewählt. In dem Genre ist die nachzüglerische Zielgruppe für Netzwelt-Dystopien deutlich größer.

Interessant an solchen Bestsellern ist: sie sind das beste Argument für die Digitalisierung von Literatur. Denn solche Trendliteratur in Buchform ins Regal zu stellen ist wirklich Platzverschwendung. Sie entsteht nach smarter Analyse des aktuellen Zeitgeistes, die heute mittels Bigdata deutlich einfacher geworden ist. Hiervon lassen sich offenbar selbst auch Literaturkenner wie Dennis Scheck blenden, der in seiner Empfehlung für den „Circle“ nicht mal auf die sonst überall verwiesenen literarischen Schwächen des Romans eingeht.

IMG_0699Und damit komme ich zum Auslöser meines Blogeintrages: den Artikel „Die Macht der Bücher“ von Kurt Kister in der SZ vom Wochenende. Das gut gemeinte Plädoyer für das gedruckte Buch ist meines Erachtens mal wieder das Tucholsky-Gegenteil von gut, also völlig misslungen. Denn wieder einmal schüttet es Öl ins Feuer einer Debatte, die im Jahr 2014 unnötig und allmählich obsolet sein sollte.

Der Satz, über den wohl viele Leser gestolpert sind und entweder begeistert beklatschten (z.B. buzzaldrins bücher) oder empört als elitären Altvorderen Gedanken zitierten, lautet

„Ja, es gibt einen Unterschied zwischen Büchermenschen und Textherunterladern“.

Dieser Satz ist verkürzt aus dem Artikel herausgehoben worden und steht im Text etwas anders:

„Wer Bücher liebt, kauft sie nicht unbedingt, um sie zu lesen. Das ist einer der großen Unterschiede zwischen Büchermenschen und, kaum despektierlich gemeint, Textherunterladern.“

Sehr verehrter Herr Kister, ich respektiere Ihre Liebe zum Buch. Auch ich liebe gedruckte Bücher, aber Ihre beschriebene Haltung untergräbt ein wesentliches Ansinnen vieler, die heute noch Literatur schaffen, und alle anderen, die sie begeistert rezipieren: es suggeriert den Eindruck, als wenn Buchliebhaber die besseren Literaturliebhaber seien. Es ist exakt diese elitäre Antwort, die viele auf die Gretchenfrage „Wie hältst Du es mit dem eBook?“ geben und damit meines Erachtens mit dem gedruckten Buch auch synonym die Literatur in eine antiquierte, ja erzkonservative Nische rücken.

Keinen Musikliebhaber würde ich danach bewerten, ob er Musik im Konzert, auf Schallplatte, auf CD, im Radio, über iTunes oder Spotify bevorzugt genießt. Sondern einzig – und das natürlich sehr subjektiv – danach, was er hört. Dabei bewundere ich besonders jene, die sich vielen Genres interessiert und begeistert zuwenden können. Und von Musikkritikern erwarte ich, dass sie mir die Avantgarde nahelegen und nicht, dass sie mir erklären, dass die neue Aufnahme von Lang Lang eigentlich nur in analoger Form auf Vinyl gepresst das wahre Klangereignis sei.

Herr Kister, ich habe Sie in einer kritischen Bemerkung auf Facebook von dotbooks zu Ihrem Artikel (eBook-Plattform) als Liebhaber des Buches verteidigt. Sie selbst erachten sich ja nicht als Feuilletonist, sondern primär als Leser. Doch in dieser Eigenschaft sollten nicht nur Sie, sondern alle, die in Ihr Ansinnen jubelnden einstimmen, sich selbstkritisch noch mal hinterfragen:

Behandele ich nicht fälschlich die Liebe zum Buch synonym mit der Liebe zur Literatur?

„Die Macht der Bücher“, wie Sie Ihren Artikel rhetorisch geschickt überschreiben, ist nicht die Macht der Literatur, die Leser- und Gesellschaft beeinflussen könnte. Diese Macht wurde schon immer weit überschätzt seitdem Literatur geschaffen wird. Es ist die Macht, die der Gegenstand Buch über Sie gewonnen hat. Das Buch ist Ihr Objekt der Begierde. Und das ist von mir auch kaum despektierlich gemeint.

FotoZu guter Letzt will ich nicht versäumen auf ein ganz aktuelles Beispiel hinzuweisen, wo die gewählte Form des Buches der darin enthaltenen Literatur besonders geglückt ist: Botho Strauss „Herkunft“ stelle ich mir gern ins Regal und wäre in digitaler Form um ein besonderen Eindruck ärmer.

Und zu aller guter Letzt ist die aktuelle Replik vom sobooks Verlagsprojekt auf einen Artikel im Spiegel wieder Beispiel dafür, wie die bildungsbürgerliche Skepsis neue Wege und Formen der Literaturvermarktung bremst anstatt sie zu stützen. Der Claim von sobooks heißt im übrigen „Aus Liebe zum Lesen“ und nicht „Aus Liebe zum Buch.“

3 Gedanken zu “Buchliebhaber sind nicht die besseren Literaturliebhaber

  1. Ich habe deinen Artikel mit Interesse gelesen und muss gestehen, dass ich den Essay von Kurt Kister gar nicht so negativ wahrgenommen habe, wie du. Er verdammt das Digitale schließlich nicht und räumt dem E-Reader doch auch ein Existenzrecht ein, auch wenn er selbst es bevorzugt in einem anderen Aggregatzustand zu lesen. Das Fazit, zu dem du kommst, habe ich selbst in dem Artikel nicht wiederfinden können: „[…] es suggeriert den Eindruck, als wenn Buchliebhaber die besseren Literaturliebhaber seien.“ Es ging in diesem Artikel für mein Empfinden doch kaum um ein besser oder schlechter, sondern um die Liebe zur Literatur. Für ihn spiegelt sich diese Liebe nicht im reinen Lesen von Büchern wieder, sondern auch darin, Bücher zu besitzen. Ich gestehe, so geht es mir auch – ich habe Bücher gerne um mich, um hineinzublättern, um sie in die Hand zu nehmen. Das bedeutet nicht, dass ich von oben herab auf E-Reader-Leser blicke und mich für etwas Besseres halte, ich besitze selbst einen E-Reader. Das bedeutet einfach nur, dass ich gerne Bücher lese und besitze.
    Ich finde am wichtigsten ist, dass das Digitale als Ergänzung wahrgenommen wird – so nehme ich meinen E-Reader zumindest wahr. Ich werde ihn wieder mal zu schätzen wissen, wenn es das nächste Mal auf Reisen geht.

    • Dein Blogeintrag war mit Auslöser für diesen Artikel. (Hab ihn vergessen zu verlinken, hole ich aber nach) Ich hatte dazu gestern auch per Mail kommentiert. Dass Kurt Kister es nicht bewusst darauf ausgelegt haben wollte, hier als Gegner des Digitalen verstanden zu werden, ging mir beim ersten Lesen auch so. Erst als ich die Reaktion bei Dotbook las musste ich mir eingestehen, dass wir Buchliebhaber eben genau diesen synonymen Eindruck erwecken. Was gut gemeint war kommt eben bei den eBook Enthusiasten nicht gut an. Und das kann ich verstehen, denn wie ich es versucht habe zu beschreiben, gedrucktes Buch und Literatur bilden nur eine Schnittmenge. Doch dort, wo das gedruckte Buch heute nicht mehr Teil der Literatur ist, schauen viele professionelle Literaturkenner gar nicht mehr hin. Eben weil sie Buchliebhaber sind. Und schaden damit meines Erachtens der Zukunft der Literatur.

  2. Obwohl ich der Vernichtung von Dave Eggers keineswegs zustimmen kann – aus vielen, oft bereits von mir dargelegten Gründen – gefällt mir dein Artikel. Und das, obwohl ich (noch) keinen E-Reader habe. Das bisher allerdings nicht aus lauter Abneigung vor dem Digitalen, sondern aus finanziellen Gründen. Ich war früher auch bedeutend kritischer eingestellt und das aus der Beobachtung heraus, dass viele mediale Entwicklungen irgendwann zum Verschwinden ihres Vorgängers führen. Man wurde bisweilen ja dazu gezwungen, bestimmte Sprünge in Technik und Medium einfach mitzumachen, weil es das, womit man sich arrangiert hatte, nicht mehr gab. Das war auf dem Handymarkt so (mittlerweile können Smartphoneverweigerer ja auch wieder auf ganz simple, wenn auch hässliche Modelle zurückgreifen, wenn da auch nicht mehr groß investiert wird) …das war bei Kassetten so und Videos, da hat sich das Trägermedium verändert und die ursprünglichen Medien verdrängt. Das wird beim Buch wohl nicht so sein, viele, die sich allerdings nicht viel damit auseinandersetzen, befürchten das noch immer. Und so sehr ich es schätze, Musik und Bücher digital verfügbar zu haben, werde ich wohl immer ein Leser bleiben, der dem gegenständlichen einen leichten Vorsprung einräumt. Nicht, weil ich das andere abwerten wollte, die Anschaffung eines E-Readers ist bereits geplant. Ich glaube, es muss sich durchsetzen, dass beides nebeneinander existieren, einander ergänzen kann; dass jedes seinen Ort und seine Verwendung hat.

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