Wieder ganz Gentleman, der Herr Bayer.

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Das Talent zum Phantasieren schreckt auch vorm Putzen nicht zurück.

Wie gerne ich Thommie Bayer lese, habe ich hier schon bekundet. Und dabei habe ich auch gerne angemerkt, dass ich ihn für einen wahren Gentleman unter den deutschen Autoren erachte. Denn seine erschaffenen Frauencharaktere sind aus meiner männlichen Lesersicht fast immer auch eine Hommage an das andere Geschlecht. Ich kann mich nicht erinnern, dass er je seinen weiblichen Figuren realitätsferne Naivität, nervige Zickigkeit oder gar dummdreiste Eitelkeit angedichtet hätte. Wer es besser weiß, der korrigiere mich. Mir ist so eine Haltung des Autors sympathisch und sie findet sich wieder stringent in seinem neuesten Werk „Weißer Zug nach Süden“.

In Anbetracht meines vor kurzem abgelegten Geständnisses, dass ich wohl als literarischer Macho konditioniert wurde, verwundert es vielleicht nicht, dass mich zunächst die Geschichte von Chiara nur schleppend interessierte. Einerseits war sie mir anfänglich zu sehr hingebogen. Junge Frau flüchtet aus sehr vage angedeuteten Gründen aus ihrem ebenso provisorischen wie perspektivlosen Leben in Italien zu einer Freundin nach Deutschland. Der Freundin passt das gerade prima, denn auch sie verspürt Lust auf einen Neuanfang und wenn schon, denn schon, dann doch auch gleich in New York. Dankbar überlässt sie Chiara ihr Heim, ihren aktuellen „Lover“ und ihre einträglichen Jobs zum Lebensunterhalt: Putzen von Wohnungen.

Mit dem Einstieg in den Roman wuchsen zudem bei mir die Bedenken, ob sich Thommie Bayer nicht doch auf einem sehr gefährlich schmalen Grad bewegt. Ich befürchtete zu Beginn, dass die sehr einfühlsame und einnehmende Beschreibung der weiblichen Hauptfigur Chiara in ein wenig gentlemanlikes Anbiedern an das andere Geschlecht kippen könnte. (Passiert natürlich nicht. Bei so einem Fehltritt hätte ich mir dieses Resümee verkniffen.)

Chiara, die eigentlich gelernte Illustratorin ist, sich jedoch damit beruflich nicht etablieren konnte, nimmt den Lebenstausch und die Jobs stoisch an und findet in einer der Wohnungen einen für sie anregenden Fluchtort zu ihrer Gedankenwelt. Die stilvolle Einrichtung der Wohnung behagt ihr. Offenbar weiß sie den recht erlesenen Geschmack zu schätzen. Und die Wohnung skizziert einen männlichen Bewohner, der für sie im Verlauf der Erzählung immer attraktiver wird: alleinstehend, 50+, gut situiert, intellektuell, Ästhet, mit dem kleinen Makel zu Pedanterie. Seine besonderen Vorzüge: er glänzt durch sichere Abwesenheit (Ist nur an vier Tagen die Woche dort, die anderen Tage lebt er in einer anderen Stadt.), verfügt über viel Empathie und Phantasie und beweist im Verlauf der Geschichte literarisches Talent.

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Thommie Bayer unübersehbar auf der LBM 15

Da bemüht Thommie Bayer doch einige Klischees und überhöht ein wenig die Hauptfigur in Hinblick auf ihr Einfühlungs- und Urteilsvermögens. Doch sobald man diese Einstiegshürde genommen hat – was aufgrund der unprätentiösen, humorigen Erzählweise von Thommie Bayer wie immer ein Leichtes ist – gelangt man auf eine höhere fiktionale Ebene der Erzählung, die bis zum Schluss überzeugend trägt. Da geht es dann eben nicht mehr um Plausibilität oder Authentizität, sondern um die Kraft der Vorstellung, um unsere Fähigkeit zur Imagination, um Inspiration und unsere Lust Lebensentwürfe selbst zu gestalten. Im Roman ist Chiara zwar noch skeptisch, was ihrer eigenen Fähigkeiten betrifft, Geschichten zu spinnen, jedoch erkennt sie das Vergnügen des Bewohners Vorden, das er offenkundig daran hat:

„Phantasie ist so, denkt sie auf einem Spaziergang, der sie wie zufällig Samstag Abend an Vordens Haus vorbeiführt – ein kleiner Anlass, eine CD im Player oder eine Mail von der ehemaligen Putzfrau aus New York, und schon entsteht eine Geschichte, eine Person, Motive, Ereignisse, ein ganzes Stück Leben geht los, nur weil ein kleines Zeichen es angestoßen hat.

Chiara hat diese Art von Phantasie nicht. Sie kann sich Dinge vorstellen, die ihr passieren sollten, sie kann träumen, sich Wünsche ausmalen oder Ängste wuchern lassen, aber sie hat nie ein Bild aus ihrem Inneren geholt. Es mussten immer existierende Dinge sein, Anblicke, etwas, was da ist und nur darauf wartet, von ihr gewürdigt zu werden.“

Der mit 144 Seiten Umfang doch recht knapp gehaltene Roman schenkt uns reichlich Trigger für weitere Geschichten. Thommie Bayer verlockt zu einer sehr entspannten Übung in kreativer Forterzählung. Ich denke da z. B. gerne an Menschen, denen man unterwegs kurz lächelnd begegnete, im Zug oder Flieger einen Moment lang plauderte oder anregende Gespräche an der Bar oder im Biergarten führte, sich jedoch darauf gedanklich nüchtern auf Nimmerwiedersehen verabschiedete. Wem bis kurz vor dem Ende noch nicht ganz geheuer ist, was für ein literarisches Spiel geboten wird, der wird dann doch noch aufgeklärt:

„Alles war so richtig, alles passte so gut, das wohnliche Versteck zum rechten Zeitpunkt, der gleich mitgewährte Lebensunterhalt, die Inspiration, die fesselnde Liebes- und Seelenverwandtschaftsgeschichte in ihrer und Vordens Phantasie, sogar ein Liebhaber für gelegentliche Schwächestunden – das konnte nicht so bleiben. So war das Leben nicht. So träumte man sich den Ausweg, wenn man in der Klemme steckte, so malte man sich zum Trost ein Bild mit der Unterschrift „Alles wird gut“. Solche Geschichten werden vom Lärm des Weckers beendet.“

Ich habe das Buch schmunzelnd geschlossen und mich bereichert gefühlt. Und dann gibt es da doch noch einiges, das auch ich noch durchspielen möchte. Mal sehen, ob da auch alles gut wird.

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