Deutschlands Autoren im Wolken-Kuckucksheim

WolkenkuckkucksMan, warum mische ich mich da wieder ein? Bin weder Autor, Verleger noch Buchhändler, ich bin nur Leser – seit gut 40 Jahren. In dieser Zeit habe ich einiges gelesen, auch viel und gern von jenen Autoren, die derzeit mit Vehemenz und Larmoyanz die Entwicklung auf dem Buchmarkt beklagen. Verantwortlich dafür, dass es jetzt so ist, wie es ist, ist auch der Ort, in dem sich viele dieser Autoren seit Jahren befinden: im Wolkenkuckucksheim. Und das musste ich dann doch noch mal los werden.

Im Neuland leisten die etablierten Autoren den geringsten Beitrag zur Förderung des Lesens und der Literatur.

Daran, dass Literatur überhaupt noch relevant wahrgenommen wird, haben die etablierten Autoren in jüngster Vergangenheit den geringsten Anteil. Schon immer wurde der Einfluss von Literaten und Literatur auf die Gesellschaft maßlos überschätzt. Doch mit dem radikalen Wandel der Medien, verkriechen sich immer mehr Autoren schmollend im elitären Biotop des Buchmarktes, lassen sich vom ebenso einflusslosem Feuilleton hätscheln und gerieren sich – wie aktuell – als ritterliche Gralshüter von Tugend und Moral. Nur wenige der etablierten Schriftsteller stellen sich den Herausforderungen der Neuzeit und erweitern ihrer literarische Kampfzone für den Erhalt von guter Literatur. Das müssen andere übernehmen: ihre Leser und manche Buchhändler.

Zumindest stelle ich mich – wie viele ähnlich begeisterte Leser und auch einige Buchhändler(innen) – den Herausforderungen, die uns das Neuland stellt. Meine persönliche Herausforderung sehe ich darin, meinen siebenjährigen Sohn, meine Teenie-Patenkinder, meine Freunde und Bekannten und auch einige Unbekannte mit meiner Lust und Leidenschaft für Literatur sowie der Begeisterung über aktuelle Buchtitel anzustecken.

Dafür wende ich gern viel Zeit auf. Ich lese stundenlang vor, ich schreibe Rezensionen auf amazon und neuerdings im eigenen Blog, ich twittere, like und retweete Empfehlungen von anderen Bloggern und Feuilletonisten, ich verschenke Unmengen von Büchern und lenke bei jeder sich bietenden Gelegenheit das Gespräche auf – meiner Ansicht nach – lesenswerte Literatur. Dafür versuche ich auch mein virtuelles Netzwerk auszuweiten, wie es nur geht, Herr Grass. Es ist mühsam, nicht immer dankbar, aber mir ist es das wert.

Warum mache ich das? Zuvorderst aus einem Grund: ich will kein einsamer Leser sein. Ich will mich über Gelesenes austauschen, mehr verstehen und gern auch diskutieren. Ich lese nicht nur, um dem Alltag zu entfliehen oder mit dem Autor in bester Gesellschaft zu sein oder meine Bildungsbürgertapete zu verschönern. Ich lese auch, um Denkanstöße zu erhalten, die auch gern mal heftig vor den Kopf gestoßen werden. Ich lese auch, um meine Vorurteile und Klischees kritisch zu reflektieren. Aber auch, um über die von einigen Autoren kräftig den Kopf zu schütteln. Und ich lese, um die ständigen Veränderungen und Herausforderungen unserer Gesellschaft besser zu verstehen, ihnen begegnen zu können und mich mit anderen auszutauschen. Dabei versuche ich, mir nicht immer nur mein selbstgebasteltes Weltbild bestätigen zu lassen.

Deutschlands Literaturelite hat Null-Bock auf Neuland.

Solch beschriebenes Selbstverständnis von Literatur und Lesen vermisse ich bei einer großen Zahl von Autoren. Schon lange wächst bei mir die frustrierende Erkenntnis, dass viele nur noch einen elitären bildungsbürgerlichen Glaubenskrieg führen wollen, der jetzt akut in der Verteufelung von amazon gipfelt. Es wird ganz deutlich, dass viele Autoren gänzlich die Säkularisierung der Medien verpasst oder ignoriert haben und auch den Anschluss an die Neuzeit verweigern. Wenn jemand das Grab für die Buchkultur schaufelt, dann besonders diese wachsende Gruppe an kulturpessimistischen Eigenbrötlern, erzkonservativen Medienignoranten und selbsternannte Glaubenskämpfern für das Gute, Wahre, Schöne.

Viele Autor(innen) würden ihren Kindern eher eine xbox oder Playstation kaufen als einen eReader.

eReader_buchSeit den ersten eReadern in den 90er erachtet die Mehrheit der etablierten Autoren es als blasphemisch, ihre Werke darauf zu lesen. Es erwächst aktuell eine Generation an Lesern, die in diesem elitären Literatenmilieu Abbitte leisten müsste, dass sie digitale Formen bevorzugt und den Download schätzt. Ich befürchte, dass bald die Hardliner unter den Autoren noch als Exorzisten in die Schulen eingeladen werden, um die abtrünnige Jugend von diesem verführerischen, jedoch unmoralischen Weg wieder zurück zum tugendhaftem Einkauf in die Buchhandlung zu lenken.

Und hinzu kommt noch der ungebrochene Glaube der literarischen Zunft an die feuilletonistische Kraft. Der Glaube demonstriert die wachsende Weltferne, die nicht begreifen mag, wer zukünftig Einfluss nimmt, was gelesen wird. Ein oberster Vertreter dieser Weltferne ist der PEN Präsident Josef Haslinger, der in seinem Interview allen ernstes über das Selbstpublishing bei amazon sagt:

„Amazon sorgt eher dafür, dass sie auf dem Abstellgleis landen. Wann haben Sie je im Feuilleton eine Rezension über ein Buch gelesen, das nur bei Amazon erschienen ist? Man ist von vornherein in einem relativ amateurhaften Ambiente gelandet. Zwar kommt man leicht zu einer Veröffentlichung, aber man wird von der seriösen Buchkritik nicht beachtet.“

Also bitte, Herr Haslinger. Der Einfluss des Feuilletons auf den Erfolg eines Buches geht nach meiner Beobachtung gegen Null. Aber dafür ist der Einfluss von leidenschaftlichen Lesern, die bloggen, Rezensionen verfassen, verleihen und verschenken und virale Empfehlungen verbreiten deutlich gestiegen. Und dass dem so ist, verdankt sich weder dem traditionellem Buchhandel, noch den Autoren oder den Verlagen und auch nur indirekt amazon. Der Erfolg von Büchern verdankt sich zunehmend der Aktivität ihrer begeisterten Leser, die sich die neuen technischen und viralen Möglichkeiten angeeignet haben und jetzt immer intensiver nutzen. Hingegen sind viele etablierte Autoren kaum in den neuen Medien aktiv. Vielleicht empfinden es einige ja auch als Abstieg aus ihrem Olymp, sich ganz profan und direkt mit ihren Lesern auszutauschen.

Liebe etablierte Literaten, wenn ihr kein Bock habt am öffentlich Diskurs teilzunehmen, dann schreibt zumindest Bücher, die uns Leser nachdenklich machen, uns vor den Kopf stoßen, uns dazu bringen, in den neuen Medien heftig zu diskutieren und für Euch, für die Literatur und für das Lesen zu kämpfen. Und auch wenn es euch nicht gefällt, doch wie man an den Sarrazins und Pirinçcis sieht, ist der Einfluss der Leser auf den Erfolg von Büchern deutlich größer als der von Feuilletons, stationärem oder online Handel. Und zu guter Letzt: habt endlich die Reife, zu erkennen, dass ihr und wir nicht zu der auserwählten Generation zählen, die den Zenith der Kulturgeschichte erlebt. Auch unsere Kinder werden noch jede Menge zur Kulturgeschichte beitragen, das sich zu lesen, zu sehen und zu hören lohnen wird.

Was von Facebook und Co. so übrig bleibt.

IMG_8345Ich mag die Romane von Thommie Bayer sehr. Seit „Das Aquarium“ lese ich seine Romane und lege sie vielen meiner (alten) Freunde ans Herz oder zumindest auf den Gabentisch. Sein Roman aus 2010 „Fallers große Liebe“ fand ich besonders lesenswert und zugänglich für ein breite Leserschaft. Dennoch waren die Reaktionen meist verhalten und ich frage mich, warum sich meine Begeisterung so selten überträgt. Eine mögliche Antwort gibt vielleicht sein vorletzter Roman „Vier Arten, die Liebe zu vergessen.„: die Verklärung von Jugendfreundschaften, besonders unter Männern.

image-8Männerbünde sind sich über Jahrzehnte treu. Viele Frauen, die später in die Leben der Männer eintreten, finden dies oft unerklärlich. Mit Recht vermissen sie, was ihre Männer denn mit diesen Jugendfreunden aus dem Sportverein, der Schule, der Skatrunde, der Bundeswehr oder dem Pfadfinderverein noch gemeinsam haben. Sie erkennen nicht, dass Männer nicht nur Blender sein können, sondern weit mehr Ausblender sind. Die Bindung zu den Freunden vergangener Zeit basiert oft einzig auf einem singulären gemeinsamen Interesse oder Erlebnis: Musik, Autos, Sport, Kartenspiel oder Fan sein. Alles andere – politische Ansichten, Wertediskussionen, Lebensstil und persönliche Entwicklungen – werden beim späterem Wiedersehen lässig ausgeblendet. Entsprechend oberflächlich und monothematisch sind häufig die Plaudereien von alten Freunden. Und dennoch stellt sich bei solchen Treffen eine wohlig vertraute Verbundenheit unter den Männern ein.

Exakt so verläuft auch das Wiedersehen der vier Jugendfreunde nach zwanzig Jahren in Thommie Bayers Roman. Insofern ist die Geschichte auch ein – vom Autor wohl nicht beabsichtigtes – Gedankenspiel was wäre wenn wir unseren in Facebook & Co. wiedergefundenen Jugendfreunden im realen Leben noch mal begegneten.

Da die Geschichte des Romans jedoch nicht von der Ödnis wortkarger und wenig tiefgründiger Unterhaltungen vierer Mitvierziger, ehemals verbundener Männer getragen werden kann, treten jede Menge Frauen in gewichtigen Nebenrollen auf. Bei der Gestaltung der weiblichen Figuren ist der Romancier Bayer ein wahrer Gentleman. Alle Frauen sind sehr attraktiv, talentiert, reif, selbstbewusst und erfolgreich. Das mag nun etwas konstruiert klingen, ist wohl aber in Anbetracht der Geschichte und des Autors Intention legitim. Denn wie viele Romane Bayers zuvor ist auch dieser für mich zuvorderst eine Liebeserklärung an die Frauen. Und das behagt auch mir.

Die zweite Liebeserklärung ist der Musik im besonderem und der Kunst im allgemeinem gewidmet. Denn in beidem reüssierte Thommie Bayer ebenfalls erfolgreich, z. B. mit „Der letzte Cowboy„. Und nicht zuletzt ist der Roman schlussendlich dann doch noch eine versöhnliche Hommage an die wahre Männerfreundschaft, die sich in besonders harten Zeiten ohne viele Worte, jedoch durch Taten bewährt. Und von diesen Freunden hat man ja auch ein paar in seinem sozialen Netzwerk. Und denen lege ich auch besonders gerne wieder den Roman von Thommie Bayer ans Herz.

IMG_8355Und auch der aktuelle Roman „Die kurzen und die langen Jahre“ von Thommie Bayer ist wieder was für Liebhaber im mehrfachen Sinne. Wer Bayer kennt und schätzt wie ich, wird auch diese Geschichte zweier sich ewig Liebenden, die jedoch nie zueinander finden, gerne lesen. Die Geschichte beginnt ausführlich in der Jugendzeit der Baby-Boomer und zeichnet dann zwei Lebensgeschichten, die am Ende deutlich gerafft werden und bis in die Gegenwart führen. Also fast 40 Jahre. Wieder werden wir, die Baby-Boomer, die wir dabei gewesen sind, in der ein oder anderen Erinnerung schwelgen. Und da wir ja unbeachtet und alleine lesen, werden wir uns so mancher Sentimentalität nicht schämen. Die Nachgeborenen werden – wenn sie denn wollen – eingeführt in eine vergangene Zeit, in der Jugendliche noch keine Zukunftsbedenken und Existenzsorgen hatten. Eine Jugend, die zwar gesellschaftskritisch, jedoch nicht kulturpessimistisch war. Im Gegenteil, wir waren herrlich naiv davon überzeugt sowohl unsere individuelle Zukunft als auch die zukünftige Gesellschaft frei bestimmt und ungezwungen gestalten zu können. Ja, wir rauchten noch unbeschwert, ernährten uns von Miracoli und Nutella, fanden Werbung prima und zählten „Werbetexter“ zu den intellektuellen Berufsgruppen.

IMG_8357Und es war auch eine Jugendzeit, in der man noch seine Sexualität ebenso ungelenk wie ungehemmt entdecken konnte. Keine Angst vor Aids, die Pille war fast selbstverständlich weit verbreitet und Sex- und Pornovideos waren eine Rarität. Und das wichtigste: die Lust aufeinander war noch nicht verdorben durch die Befürchtung, dass auf einen One-Night-Stand 500 Likes und giftige Kommentare folgen könnten.

Vor kurzem sprach ich mit meinem volljährigem Patenkind über Zeitreisen. Er überraschte mich damit, dass er gerne in die Zeit meiner Jugend reisen würde. Er glaube, dass die 60er/70er eine der schönsten Jugendzeiten gewesen sind. Gleich wollte ich das relativieren und feststellen, dass die aktuelle Zeit seiner Jugend der meinigen in nichts nachstünde. Doch nach einem kurzem Moment der Besinnung, konnte ich das dann nicht mit dem Brustton der Überzeugung sagen. Denn ich würde nicht tauschen wollen.

Nachtrag 4.Februar: Denkzeiten hat mal bei Thommie Bayer nachgefragt. Ein paar schöne Antworten hat er gegeben.

Hier geht es zu allen Werken, die beim Piper Verlag erschienen sind.

Sowohl als auch.

BildBevor ich mir die Frage von Nina auf Libromanie beantworte, ob ich es bevorzuge, Rezensionen vor dem Buch oder nach dem Buch zu lesen, stell ich mir die Frage: Was wünsche ich mir von einer Rezension?

Zunächst interessieren mich nur begeisterte Rezensionen. Sehr selten widme ich mich den Ein-Stern-Nörglern, auch wenn da mal ganz intelligente und wirklich leidenschaftliche darunter sind.  Wenn ich stöbernd durch Buchhandlungen streune und auf interessante Titel stoße, bei denen mir der Autor nicht bekannt ist, rufe ich mir die Bewertungen bei amazon & Co. ab. Da lese ich auch ein paar Rezensionen mobil quer. Doch ich ignoriere jegliche Inhaltsangaben, besonders solche, die wie ausführliche Reisebeschreibungen daherkommen. Bücher sind für mich fast immer eine Einladung zu einer Entdeckungsreise. Und die möchte ich gerne noch so jungfräulich wie möglich selbst machen. Andere ziehen da sicher einen multimedialen Diavortrag vor.

Von Rezension wünsche ich mir zuvorderst einen lustvollen Stimmungsbericht des Lesers. Was hat sie/ihn nachdenklich gemacht, angeregt, weiter zu denken, was hat sie/ihn amüsiert, gerührt, hat sie/er laut gelacht. Anschauliche Analogien, die mir die Intention des Buches veranschaulichen, Introspektionen über die Wirkung des Buches oder auch Briefe an den Autor wären Stilmittel, die ich mir für Rezensionen öfter wünschen würde.

BildMeine Intention zu eigenen Rezensionen ist zunächst eine subjektive, kritische und bewusste Reflexion über das Gelesene – oder besser „Erlebte.“ Es ist also zuerst ein persönlicher Logbuch-Eintrag. Erst im Verlauf des Notierens entscheide ich mich, ob ich eine öffentliche Rezension daraus werden lasse. Zunächst will ich mir die Erinnerung deutlicher bewahren, will mir manches klarer machen und manches auch selbstkritisch hinterfragen. Und dabei helfen mir dann auch die im Nachhinein gelesenen Rezensionen anderer Leser, denen ich dann auch gerne mal mit einem „ja“ für hilfreich danke.

Rätselhaft bleibt mir in diesem Zusammenhang der Charakterzug immer häufiger auftretender Rezensionsleser, die interessante und umfassende Rezensionen mit „nein“ , also als nicht hilfreich beurteilen, nur weil sie offenbar nicht mit dem Urteil übereinstimmen. Doch muss ich dies wohl zu den vielen weiteren Dämlichkeiten der Menschheit hinzuzählen, die das Netz heute transparenter denn je macht.