Jugend ohne Plot

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Denke ich an meinen einzigen Tagebuchversuch, den ich mit vierzehn Jahren auf sanften Druck meiner ersten „Liebe“ begonnen hatte, zieht es mir noch immer den Magen zusammen. Aus unerklärlicher Sentimentalität hatte ich diesen nach ca. dreißig Seiten abgebrochenen Versuch, meine chronologisch datierten Leiden des jungen B. aufzuzeichnen, bis ich Mitte zwanzig war aufbewahrt und dann noch einmal gelesen. Angewidert und voller Scham mich erinnernd, dass ich diese unechten Gefühlsduseleien gar der Initiatorin zu lesen gab, entsorgte ich diese unsägliche Lektüre umgehend in den Müllcontainer. Ich hoffe bis heute inständig, dass ich auch nie mit meinen damaligen eklektischen Ergüssen in Briefform – entliehen bei Goethe, Hesse, Salinger, Wilde und Balzac – noch einmal im Leben konfrontiert werde.

Diese unangenehmen Erinnerungen an mein pubertierendes Alter Ego wurden wieder geweckt durch die 4:0 Empfehlung des Literarischen Quartetts: der Roman „1933 war ein schlimmes Jahr“ von dem Amerikaner John Fante (1909 – 1983), neu übersetzt von Alex Capus. Die seltene Einhelligkeit des Urteils sollte mir ja zumindest keine große Enttäuschung zusichern und ließ auf eine begeisternde Zustimmung hoffen. Zudem wurde ja vom Verlag und von den Kritikern stetig noch Charles Bukowski als Protegé bestätigend zitiert:

„John Fantes Romane gehören zum Besten, was die amerikanische Literatur je hervorgebracht hat.“

fante-eichbornRecherchiert man diese Anekdote, wird deutlich, dass Bukowski sich nicht auf diesen Roman bezog, sondern auf „Ask the Dust“ (deutsch: „Ich – Arturo Bandini“). Doch den kenne ich nicht. Zudem zu denken sollte einem auch geben, dass der Roman nicht erstmals in deutscher Übersetzung erscheint, sondern schon 1986 im Eichborn Verlag als heiße Entdeckung veröffentlicht wurde, gute Kritiken erhielt, jedoch später schon die erste Auflage, wie auch die anderen drei Romane, erfolglos verramscht werden musste. Auch jetzt scheint die Quartett-Empfehlung wenig zu bewirken. Zumindest auf amazon harrte das Buch noch bis vor kurzem seiner ersten Bewertung.

Nebenbei bemerkt: Fante spricht sich „Fänti“ und nicht „Fante“, was selbst „Capote“-begeisterte Kritiker im Quartett offenbar nicht bemerkten.

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Ein verführerisches Angebot

Biblio

In solchen Momenten fühle ich mich sehr geschmeichelt und geehrt als ich diese Anfrage in meinem Postfach fand:

Ich bin ein 22-jähriger Student der schon sein ganzes Leben liest, so langsam aber allerdings den Überblick verliert über Bücher die man gelesen haben muss. Ich folge ihrem Blog schon eine Weile und mir gefallen ihre Buchvorstellungen ausgesprochen gut! Nach dem ich jetzt 2 Jahre den örtlichen Buchshop mit Fragen zu Literaturempfehlungen „genervt“ habe, wussten sie auch keine Neuvorschläge für mich.

Daher meine Frage an Sie: Welche Bücher muss man, ihrer Meinung nach, unbedingt gelesen haben? Dabei ist das Genre und die Thematik mir relativ gleichgültig, ob Trivialliteratur, Gesellschaftskritik, Fachbuch oder auch Biografien!

Wow, was für ein verführerisches Angebot. Und das auch noch nach dem ich zuvor offensichtlich einige junge Menschen vor den Kopf gestoßen habe, in dem ich Fantasy- und eskapistische Literatur zwar für akzeptabel, jedoch deren Reflexions- und Rezeptionsangebote für recht beschränkt erachte. Nebenbei: mein Angebot zum Austausch zwischen den Welten bekam noch keine Rückmeldung aus der „Szene“.

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Youtube ist kein Kita-Platz

mindyourhead

Liebe Schutzpatrone unserer Youtuber-Jugend,

nachdem ich meine Grenzen widerspruchsloser Toleranz gegenüber „Sara Bow & Co.“ beschrieb, bekam ich u. a. die Rückmeldung, ich würde den Fans von Sara vor den Kopf stoßen. Das habe ich zwar mit meinen Beitrag eigentlich nicht gemacht, da ich ihn gar nicht an die Fans adressierte. Dennoch würde ich auch sie vor den Kopf stoßen. Jedoch nicht ungefragt.

Jetzt bekommt gerade LeFloid auch harsches Feedback für die recht schnarchige Einlage mit unserer Bundeskanzlerin. Das wiederum löst bei vielen Kommentatoren dann gleich wieder einen ähnlichen Welpenschutz-Reflex wie bei Sara aus und sie springen ihm verständnisvoll bei.

Da ich der Ansicht bin, dass auch die neuen, jungen Medien keine Kita-Plätze sind, sollten wir hier mal die sich tummelnde Jugend sich selbst mit dem Feedback überlassen – wie z. B. auch dem vom Blogger Sosojaja, der hofft, dass Florian Mundt noch hinzulernen mag. Denn wir wollen doch LeFloid wünschen, dass er nicht zum ersten Johannes B. Kerner der Generation Youtube wird. Alt genug sind sie ja alle zu entscheiden, was sie davon annehmen wollen und was nicht.

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Notizen zur Selbstbedienung (9)

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Studieren? Wie es Euch gefällt, Ihr Waschlappen!

StudentenfutterHey, wo bleibt die Empörung, der Aufschrei über den Titel des aktuellen Buches von Christiane Florin? Eine Dozentin der Politikwissenschaften schreibt im Titel ihres Buches im Jahr 2014 „Studenten“! Hallo! Hat sie noch keine Genderdebatte führen müssen. Das ist ja mal so was von politisch inkorrekt. Das heißt doch „Studierende“. Das ist echt nicht okay. Florin

Dem Wunsch nach mehr Provokation, um eine Debatte ins Rollen zu bringen, will ich mit diesem Einstieg gerecht werden. Den Wunsch äußert die Dozentin und Journalistin Christiane Florin in ihrer aktuellen Bestandsaufnahme „Warum unsere Studenten so angepasst sind“. Doch wird es mir wohl ebenso wenig gelingen, wie ihr, die nun seit gut zwei Jahren versucht, Studierenden der Generation Y aus der Reserve zu locken. Mehr als eine lauwarme, substanzlose Empörungswelle ist heute einfach nicht mehr drin.

Persönlich halte ich mich aus Gender-Diskussionen heraus. Als Mann kann man dabei selten punkten. Christiane Florin ist sich ihres Titel-Fauxpas bewusst. Denn schon sehr früh erklärt sie im Buch, dass sie an der Uni auf ihre „Pauschalvermännlichung kein Widerspruch“ erfuhr. Und so schreibt sie munter im ganzen Buch auch von Studenten. Ich find das okay. Etwas „okay“ zu finden, ist nach Christiane Florin auch derzeit das Nonplusultra der Studierenden. „Okaysein ist das oberste Lernziel.“ „Okay ist das wahre Exzellent.“ schreibt sie und ich „LOL“. Überhaupt ist das Büchlein für einen 61er-Jahrgang wie mich zunächst einmal nur amüsant. Die Autorin nimmt sich und ihr Ansinnen zwar sehr Ernst, doch beschreibt sie es nicht bitterernst. Das machen dann aber die vielen Kommentatoren ihrer Zeitungsbeiträge und Interviews.

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Der aktuelle Artikel zum Buch in der Zeit

Auf knapp 80 Seiten fast Frau Dr. Florin noch einmal unterhaltsam das Unbehagen zusammen, was die Autorin seit Jahren verspürt und erstmals in einem Artikel in der Zeit 2012 „Ihr wollt nicht hören, sondern fühlen.“ öffentlich machte. Da ist zum einen die Rolle als Dozentin, die sie seit Anbeginn des Jahrtausends in Bonn auf der Kathederbühne spielen darf. „Das studentische Publikum erwartet einen Alleinunterhalter, eine Mischung aus Dieter Bohlen und Dieter Nuhr. Klar in den Ansagen wie Bohlen und dabei so nett anpolitisiert wie Nuhr.“ schreibt sie dazu.

Studierende seien heute weit mehr Konsumierende. Es folgen einige literarisch gelungene Spitzen gegen die aktuelle Generation der Studierenden: „Intellektueller wird in dieser Atmosphäre zum Schimpfwort.“ Und „der Satz „Das ist doch Feuilleton!“ gilt darob meinen Studenten als Synonym für übellaunige intellektuelle Selbstbefriedigung.“ Ich wage dies noch zu ergänzen und zu behaupten, dass „Opportunist“ – eine der größten Beleidigungen in meiner Jugend – die heutige Jugend nur noch milde lächelnd an sich abperlen lässt. Diese Einschätzungen aus der Perspektive einer Dozentin der Generation „Babyboomer“ sind ja nicht wirklich überraschend. Sie wurden ja schon Jahre zuvor von den Lehrern gegeben, die diese Generation zum Schulabschluss führte. Überraschend sind vielmehr die Reaktionen darauf. Wer sich die Mühe macht, die hunderte Kommentare zu durchforsten, die auf die Provokationen von Christiane Florins Statements folgen, dem wird dann schon etwas mulmig.

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Von Studierenden gern zitiert wird Florins Hinweis, dass sich fast alle ihre Studenten schwer tun, die Bundeskanzler vollständig in chronologischer Reihenfolge zu benennen. Das sei doch nun in Zeiten von Wikipedia wirklich nicht so relevant, man wolle ja nicht bei „Wer wird Millionär“ mitspielen. Häh? Entschuldigung, aber das sind Politikstudenten, nicht Physik oder Philosophie! Wir reden hier von 8 Kanzlern seit 1949, nicht von allen amerikanischen Präsidenten. Wenn ein Musikstudierender nicht mal wissen mag, ob Brahms auf Beethoven folgte oder umgekehrt, dann sollte er sich schleunigst ein anderes Fach suchen.

Vielleicht liegt in der Generalisierung ihrer Bestandsaufnahme auch Schwäche und Erschütterndes zugleich. Ihre Beobachtungen werden von den Medien und Lesern gerne auf die gesamten Studierenden, ja gar auf die Generation Y verallgemeinert. Doch Christiane Florins Studienobjekte sind „nur“ angehende Geisteswissenschaftler und Journalisten – Journalisten! Und darin liegt wiederum das Erschütternde. Denn sie darf bislang unwidersprochen schreiben: „Ich hatte die Studenten zu Akteuren erklärt, obwohl sie sich als Opfer empfinden.“ und setzt noch drauf: diese Generation „weiß nicht einmal, ob sich eine Haltung überhaupt lohnt.“ Politikstudierende mit dem Berufsbild „Publizist“, die auf solche Provokationen keinen leidenschaftlichen, aber bitte auch substantiellen Widerspruch erheben, sind wirklich eine Waschlappen-Generation. Da hat man sich ja früher in Schülerzeitungen engagierter gezeigt.

Und ich muss dann Christiane Florin recht geben, wenn sie das Gefolge der Piraten-Partei sinnbildlich für ihre Studierenden hernimmt: „Die junge Piraten-Partei gilt schon als politisches Leergut. Aber erst einmal war ihr Aufstieg ein geiles Gefühl, und das ist die Hauptsache.“ Dass alles so „gefühlig“ geworden ist, stößt ihr im Uni-Betrieb am meisten auf. Doch letztlich geht es ihr – wie vielen Generationen-Nörglern – selbstverständlich nicht nur um ihre Studenten. Sie sind ja nur paradigmatisch für einen gesellschaftlichen Wandel, den man bedauern kann oder als wünschenswert feiern. GenerationY-Revolutionaere

„Effizient und smart zu sein – das waren mal Unternehmensziele, heute sind es gesellschaftliche Werte.“ sagt Christiane Florin in einem Interview. Vielleicht hat sie da recht. Denn wenn zugleich neben ihrem Buch sich zwei Autoren zusammentun und ein Buch schreiben, das ernsthaft den Titel führt: „Die heimlichen Revolutionäre. Wie die Generation Y die Welt verändert.“ und dann folgendes über Dozenten wie Christiane Florin und die heutigen Studierenden in einem Artikel äußern, muss man ihr wohl recht geben:

„Lehrer, Ausbilder und auch die Dozenten an den Hochschulen werden immer mehr zu Beratern und Supervisoren. Die Ergebnisse werden von den Studenten in Teamarbeit erstellt, der Dozent hat eine Rolle als Coach. Wie schwierig es ist, diese Rolle zu finden, hat jüngst die Dozentin Christiane Florin in ihrem Bildungsessay „Warum unsere Studenten so angepasst sind“ demonstriert… Sie beklagt die fehlende Streitkultur an Hochschulen und wiederholt die üblichen Klischees. Die Mehrheit der Studenten sei brav und pragmatisch, wünsche sich klare Ansagen statt Dialog auf Augenhöhe. Florin täuscht sich, sie hängt einer traditionellen Dozentenrolle an, hat nicht erkannt, was die Studierenden wirklich wollen: Ergebnisorientiert, spielerisch und mit regelmäßigen Rückmeldungen zum erreichten Stand selbstständig arbeiten.“ schreiben Klaus Hurrelmann und Erik Albrecht in einem Artikel des Tagesspiegels. Herr Hurrelmann, Herr Albrecht, wenn dies die mehrheitliche Haltung der Studierenden von heute ist, dann bitte führt endlich gnadenlos horrende Studiengebühren ein. Jeder soll dann ein zinsloses Darlehn dafür bekommen, aber bitte später auch ordentlich zurückzahlen.

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Der aktuelle Artikel in der Zeit zu Klaus Hurrelmanns Buch

Als Student zählte ich zur „Null-Bock-Generation“. Ich hab mich dagegen nicht mit weinerlichen Kommentaren gewehrt und meiner Elterngeneration den Vorwurf gemacht, sie habe mich nun mal so erzogen. Ich habe es zähneknirschend erst mal zur Kenntnis genommen. Ich hab meine lange Zeit des Studiums sehr genossen, doch nicht das Studium. Ich wusste auch wirklich lange nicht, was ich eigentlich will. Denn „Freiheit macht Stress.“ schreibt Christiane Florin und trifft damit den Nagel auf den Kopf. Mit den vielen Optionen klar zu kommen und Entscheiden lernen, das war die größte Herausforderung meiner Studienzeit. Doch so eine dämliche Beschreibung meines Berufszieles wie Christiane Florin ihre Studenten zitiert „Irgendwas-mit-Marketing“, „Irgendwas-mit-Management“ oder „Irgendwas-mit-Medien“ wäre mir zu keinem Zeitpunkt über die Lippen gekommen.

Am Ende ihrer Bestandsaufnahme macht Christiane Florin noch eine Bemerkung, die alle aufhorchen lassen sollte, die aktuell journalistisch tätig sind oder immer noch gerne werden möchten: „Dass mit einem geistvollen Text weniger Geld zu verdienen ist als mit einer Zahnfleischbehandlung ist bekannt. Neu ist jedoch, dass die künftigen Denker (und Textverfasser Anm. von mir) die Degradierung von Gedanken zum Content widerspruchslos mitmachen.“

Doch so berechtigt Frau Dr. Florin diese fatalistische Hinnahme in der Medienbranche kritisiert muss sie sich auch selbst fragen, was macht sie eigentlich noch da an der Uni. Denn an dem offenbar frustrierenden Uni-Alltag, den sie uns so amüsant zartbitter beschrieben hat, konnte sie seit Jahren nichts verbessern. Angelsachsen würden ihr dann nur knapp zurufen: Love it, change it or leave it. Nach fast 14 Jahren unbefriedigender Tätigkeit, wäre es doch wirklich an der Zeit, es zu lassen.

Aber ich will nicht das letzte Wort in der Sache haben, da ich mich dem Eindruck nicht erwehren kann, dass Christiane Florin noch immer hofft. Deshalb hier nun zum Schluss ihr schöner Appell: „Angesichts dieser Bildungskonsumenten wird der Grat vom Lehr- zum Leerauftrag schmal: ich vermisse in den Seminaren nicht die Axt, sondern das Argument. Ich vermisse nicht die Ideologien, sondern die Ideen. Ich vermisse nicht die Meinungsstärke, sondern die Urteilskraft.“

Nachtrag am 13. November: recht amüsant, wenn gesellschaftskritische Vorurteile auf harte Faktenrealität treffen:

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Quelle: Spiegel

Was von Facebook und Co. so übrig bleibt.

IMG_8345Ich mag die Romane von Thommie Bayer sehr. Seit „Das Aquarium“ lese ich seine Romane und lege sie vielen meiner (alten) Freunde ans Herz oder zumindest auf den Gabentisch. Sein Roman aus 2010 „Fallers große Liebe“ fand ich besonders lesenswert und zugänglich für ein breite Leserschaft. Dennoch waren die Reaktionen meist verhalten und ich frage mich, warum sich meine Begeisterung so selten überträgt. Eine mögliche Antwort gibt vielleicht sein vorletzter Roman „Vier Arten, die Liebe zu vergessen.„: die Verklärung von Jugendfreundschaften, besonders unter Männern.

image-8Männerbünde sind sich über Jahrzehnte treu. Viele Frauen, die später in die Leben der Männer eintreten, finden dies oft unerklärlich. Mit Recht vermissen sie, was ihre Männer denn mit diesen Jugendfreunden aus dem Sportverein, der Schule, der Skatrunde, der Bundeswehr oder dem Pfadfinderverein noch gemeinsam haben. Sie erkennen nicht, dass Männer nicht nur Blender sein können, sondern weit mehr Ausblender sind. Die Bindung zu den Freunden vergangener Zeit basiert oft einzig auf einem singulären gemeinsamen Interesse oder Erlebnis: Musik, Autos, Sport, Kartenspiel oder Fan sein. Alles andere – politische Ansichten, Wertediskussionen, Lebensstil und persönliche Entwicklungen – werden beim späterem Wiedersehen lässig ausgeblendet. Entsprechend oberflächlich und monothematisch sind häufig die Plaudereien von alten Freunden. Und dennoch stellt sich bei solchen Treffen eine wohlig vertraute Verbundenheit unter den Männern ein.

Exakt so verläuft auch das Wiedersehen der vier Jugendfreunde nach zwanzig Jahren in Thommie Bayers Roman. Insofern ist die Geschichte auch ein – vom Autor wohl nicht beabsichtigtes – Gedankenspiel was wäre wenn wir unseren in Facebook & Co. wiedergefundenen Jugendfreunden im realen Leben noch mal begegneten.

Da die Geschichte des Romans jedoch nicht von der Ödnis wortkarger und wenig tiefgründiger Unterhaltungen vierer Mitvierziger, ehemals verbundener Männer getragen werden kann, treten jede Menge Frauen in gewichtigen Nebenrollen auf. Bei der Gestaltung der weiblichen Figuren ist der Romancier Bayer ein wahrer Gentleman. Alle Frauen sind sehr attraktiv, talentiert, reif, selbstbewusst und erfolgreich. Das mag nun etwas konstruiert klingen, ist wohl aber in Anbetracht der Geschichte und des Autors Intention legitim. Denn wie viele Romane Bayers zuvor ist auch dieser für mich zuvorderst eine Liebeserklärung an die Frauen. Und das behagt auch mir.

Die zweite Liebeserklärung ist der Musik im besonderem und der Kunst im allgemeinem gewidmet. Denn in beidem reüssierte Thommie Bayer ebenfalls erfolgreich, z. B. mit „Der letzte Cowboy„. Und nicht zuletzt ist der Roman schlussendlich dann doch noch eine versöhnliche Hommage an die wahre Männerfreundschaft, die sich in besonders harten Zeiten ohne viele Worte, jedoch durch Taten bewährt. Und von diesen Freunden hat man ja auch ein paar in seinem sozialen Netzwerk. Und denen lege ich auch besonders gerne wieder den Roman von Thommie Bayer ans Herz.

IMG_8355Und auch der aktuelle Roman „Die kurzen und die langen Jahre“ von Thommie Bayer ist wieder was für Liebhaber im mehrfachen Sinne. Wer Bayer kennt und schätzt wie ich, wird auch diese Geschichte zweier sich ewig Liebenden, die jedoch nie zueinander finden, gerne lesen. Die Geschichte beginnt ausführlich in der Jugendzeit der Baby-Boomer und zeichnet dann zwei Lebensgeschichten, die am Ende deutlich gerafft werden und bis in die Gegenwart führen. Also fast 40 Jahre. Wieder werden wir, die Baby-Boomer, die wir dabei gewesen sind, in der ein oder anderen Erinnerung schwelgen. Und da wir ja unbeachtet und alleine lesen, werden wir uns so mancher Sentimentalität nicht schämen. Die Nachgeborenen werden – wenn sie denn wollen – eingeführt in eine vergangene Zeit, in der Jugendliche noch keine Zukunftsbedenken und Existenzsorgen hatten. Eine Jugend, die zwar gesellschaftskritisch, jedoch nicht kulturpessimistisch war. Im Gegenteil, wir waren herrlich naiv davon überzeugt sowohl unsere individuelle Zukunft als auch die zukünftige Gesellschaft frei bestimmt und ungezwungen gestalten zu können. Ja, wir rauchten noch unbeschwert, ernährten uns von Miracoli und Nutella, fanden Werbung prima und zählten „Werbetexter“ zu den intellektuellen Berufsgruppen.

IMG_8357Und es war auch eine Jugendzeit, in der man noch seine Sexualität ebenso ungelenk wie ungehemmt entdecken konnte. Keine Angst vor Aids, die Pille war fast selbstverständlich weit verbreitet und Sex- und Pornovideos waren eine Rarität. Und das wichtigste: die Lust aufeinander war noch nicht verdorben durch die Befürchtung, dass auf einen One-Night-Stand 500 Likes und giftige Kommentare folgen könnten.

Vor kurzem sprach ich mit meinem volljährigem Patenkind über Zeitreisen. Er überraschte mich damit, dass er gerne in die Zeit meiner Jugend reisen würde. Er glaube, dass die 60er/70er eine der schönsten Jugendzeiten gewesen sind. Gleich wollte ich das relativieren und feststellen, dass die aktuelle Zeit seiner Jugend der meinigen in nichts nachstünde. Doch nach einem kurzem Moment der Besinnung, konnte ich das dann nicht mit dem Brustton der Überzeugung sagen. Denn ich würde nicht tauschen wollen.

Nachtrag 4.Februar: Denkzeiten hat mal bei Thommie Bayer nachgefragt. Ein paar schöne Antworten hat er gegeben.

Hier geht es zu allen Werken, die beim Piper Verlag erschienen sind.